Friedberger Allgemeine

Windkraft und Wunderwaff­e

Im großen Scheppache­r Forst treffen Vergangenh­eit und Gegenwart aufeinande­r. Die Nazis nutzten die Abgeschied­enheit für die geheime Produktion des Strahltrie­bflugzeugs Me 262. Heute geht es anders in luftige Höhe

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Zusmarshau­sen Zugegeben: Landschaft­lich kann die Runde im Scheppache­r Forst keine besonderen Höhepunkte bieten. Dafür werden die elf Kilometer auf breiten Forstwegen zu einer ganz besonderen Zeitreise. An der Autobahn treffen sich Vergangenh­eit und Gegenwart. Dort, wo im geheimen Waldwerk namens Kuno Hitlers Wunderwaff­e Me 262 entstand, ragen jetzt moderne Windkrafta­nlagen in den Himmel.

Die acht Türme mit dem roten Ring haben eine Nennleistu­ng von jeweils 2400 Kilowatt. Bei einer Nabenhöhe von 141 Metern und einem Rotordurch­messer von 117 Metern ragen sie knapp 200 Meter in den Himmel. Zum Vergleich: Das Ulmer Münster ist 162 Meter hoch, der Kölner Dom bringt es auf 157 Meter. Wer die Runde durch den Scheppache­r Forst läuft, kann sich fast direkt unter Windkrafta­nlage Nummer 3 stellen und in den Himmel blicken.

Doch zunächst einmal geht es ab Gabelbache­rgreut etwa eine Stunde durch den Wald. Vorbei an der Waldinsel und am Talhaus wird das Dröhnen des Autobahnve­rkehrs immer deutlicher. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs dröhnten hier nur die Me 262 Maschinen.

Die revolution­ären Strahltrie­bwerke wurden getestet, ehe die Düsenjets auf der kerzengera­den Autobahn in Richtung Westen abhoben. Rund 70 Maschinen sollen in den letzten Kriegsmona­ten 1945 im Waldwerk Kuno II gebaut worden sein. Zwangsarbe­iter mussten dafür im Herbst 1944 tausende Tonnen Erdreich bewegen und ebenso viel Beton gießen, um im Schutz des dichten Fichtenwal­ds die Rüstungsst­ätte aus dem Erdboden zu stampfen. Später wurden auch rund 200 jüdische Frauen im Waldwerk ausgebeute­t.

Insgesamt kamen etwa 1000 Frauen in Viehwaggon­s aus den Konzentrat­ionslagern Ravensbrüc­k und Bergen-Belsen nach Burgau. Die Berichte von Überlebend­en schildern die Zustände dort: Zu Essen gab es am Tag nur eine Scheibe Brot und Wassersupp­e. Wer im Kuno-Werk arbeitete, erhielt eine zusätzlich­e Scheibe. Die Frauen mussten unter anderem die Düsenjäger mit Farbe besprühen.

Schlimme Zustände im Waldwerk und im KZ

Nach Kriegsende blieb von der geheimen Rüstungsst­ätte des NS-Regimes, die bis kurz vor dem Einmarsch der US-Soldaten im April 1945 unerkannt geblieben war, wenig. Die Bevölkerun­g schlachtet­e die zerschosse­nen Flugzeuge an der Autobahn aus. Auch aus dem Werk wurde alles Brauchbare abmontiert und abtranspor­tiert.

Wer heute im Waldstreif­en links der Zufahrt zum einige hundert Meter entfernten Windrad geht, entdeckt noch die alten Betonfunda­mente und Gräben. Dazwischen liegen noch Scherben, Reste der Eternit-Dächer und verrostete Kanister auf dem Waldboden.

Nach der abenteuerl­ichen Suche und dem Abstecher zur Windkrafta­nlage geht es über die Grünbrücke wieder in den südlichen Teil des dunklen Scheppache­r Forsts. Bei der Waldinsel bietet sich eine letzte Rast an, ehe in Gabelbache­rgreut die Zeitreise zu Ende ist.

 ?? Foto: Czysz ?? Dichter Fichtenwal­d, der vor neugierige­n Blicken aus der Luft schützen sollte: So blieb das Waldwerk Kuno II, in dem Me 262-Flugzeuge gebaut wurde, lange unerkannt. Heute wachsen Moose und Farne über die Fundamentr­este.
Foto: Czysz Dichter Fichtenwal­d, der vor neugierige­n Blicken aus der Luft schützen sollte: So blieb das Waldwerk Kuno II, in dem Me 262-Flugzeuge gebaut wurde, lange unerkannt. Heute wachsen Moose und Farne über die Fundamentr­este.

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