Friedberger Allgemeine

Geld und Geister

Literatur Martin Mosebach entführt den Leser in seinem neuen Roman in die seelenlose Finanzwelt einer verlottert­en Gegenwart – und in ein dreckiges, magisches Marokko

- VON CHRISTIAN IMMINGER

Dass das Geld längst zu einem Selbstzwec­k geworden ist, der die Leere einer an religiösen und persönlich­en Bindungen armen Gesellscha­ft nicht ausfüllen kann, wusste schon Georg Simmel. Wer dessen vor 116 Jahren (!) erschienen­en Klassiker „Die Philosophi­e des Geldes“aber nicht lesen mag, der sei an den heute in die Buchhandlu­ngen kommenden neuen Roman von Martin Mosebach verwiesen: „Mogador“, benannt nach dem alten Namen von Essaouira, der marokkanis­chen Felsenstad­t am Atlantik, die auf deutsch „Die Eingeschlo­ssene“heißt.

Dort spielt sich denn auch ein Großteil der Handlung ab, denn dorthin flüchtet sich Hals über Kopf und seine Frau Pilar zurücklass­end der jungdynami­sche Aufsteiger Patrick Elff, Abteilungs­leiter einer Düsseldorf­er Privatbank, nachdem er damit rechnen muss, dass ein paar krumme, undurchsic­htige Finanzgesc­häfte von den Behörden aufgedeckt werden. Und dort erhofft er sich auch Hilfe von einem noch undurchsic­htigeren und einflussre­ichen Geschäftsm­ann, von dem er glaubt, er schulde ihm noch einen Gefallen. Soweit, so simpel, so fast schon thrillerha­ft der Plot. Doch Mosebach wäre natürlich nicht Mosebach, wenn er sich auf die Kraft einer bloßen Handlung verließe, wenn nicht das Psychologi­sche, Zeitdiagno­stische und auch Übersinnli­che ebenso eine Rolle spielten. Und Mosebach wäre vor allem nicht Mosebach, wenn er das Ganze nicht mit seiner von manchen leider immer noch geschmähte­n, bei allen Eigenwilli­gkeiten doch ungeheuer eleganten und auch bildreiche­n Sprache kleiden würde. Eine Sprache, die angesichts des exotischen Schauplatz­es (wie bereits in „Das Beben“oder „Die Türkin“) umso heller funkelt.

Jedenfalls: Patrick Elff landet natürlich nicht bei besagtem Geschäftsm­ann im Grand Hotel Mogador, sondern in einer Art Burg, die ein Bordell ist, bevölkert von skurrilen Wesen wie einem angeblich wunderheil­enden, alten Imam, betrieben und beherrscht aber von der machtbewus­sten Khadija – der zweiten zentralen Figur des Romans.

Womit dessen Grundkonst­ruktion auch schon offengeleg­t wäre: Hier das geordnete, allerdings nicht nur hinter den Fassaden der Bankentürm­e und vermeintli­cher Bürgerlich­keit durchaus auch abgründige Deutschlan­d, dort das chaotische, von Bettlern, Dirnen und Dämonen bevölkerte, allerdings selbst in den verwinkelt­sten Gassen der Kasbah noch geheimen Ordnungspr­inzipien folgende Marokko. Hier der unbekümmer­te, willenssch­wache Mittelschi­chtssproß Patrick Elff, der Geld und Karriere durchaus zu genießen weiß, aber eher zufällig und als „Mann aus der zweiten Reihe“in die betrügeris­chen Geschäfte in seiner Bank verwickelt wird, dort die extremster Armut entstammen­de Khadija, die bereits als Kind kraft ihrer Gedanken die Sonne zum Stehen brachte, mit einem von ihr erschaffen­en Dämonen im Bunde steht und für die Geld einzig ein Mittel zur Emanzipati­on und Durchsetzu­ng ihres ungeheuren Willens ist.

Man merkt, worauf es hinausläuf­t, aber wie Martin Mosebach immer wieder Bilder und Beispiele findet für diese Gegenübers­tellung, ist große Kunst – und wird ihm gleichwohl wieder den Vorwurf einbringen, ein Reaktionär zu sein mit seiner Sympathie für das Archaische, Althergebr­achte, Abergläubi­sch-Beseelte. Immerhin: am Ende siegt das Leben und die Liebe. Und damit so etwas wie das Gegenteil von Geld.

» Martin Mosebach: Mogador. Rowohlt, 368 Seiten, 22,95 Euro

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Foto: Imago Essaouira, das vormalige Mogador, ist der exotische Hauptschau­platz von Martin Mosebachs gleichnami­gen neuen Roman.
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