Geld und Geister
Literatur Martin Mosebach entführt den Leser in seinem neuen Roman in die seelenlose Finanzwelt einer verlotterten Gegenwart – und in ein dreckiges, magisches Marokko
Dass das Geld längst zu einem Selbstzweck geworden ist, der die Leere einer an religiösen und persönlichen Bindungen armen Gesellschaft nicht ausfüllen kann, wusste schon Georg Simmel. Wer dessen vor 116 Jahren (!) erschienenen Klassiker „Die Philosophie des Geldes“aber nicht lesen mag, der sei an den heute in die Buchhandlungen kommenden neuen Roman von Martin Mosebach verwiesen: „Mogador“, benannt nach dem alten Namen von Essaouira, der marokkanischen Felsenstadt am Atlantik, die auf deutsch „Die Eingeschlossene“heißt.
Dort spielt sich denn auch ein Großteil der Handlung ab, denn dorthin flüchtet sich Hals über Kopf und seine Frau Pilar zurücklassend der jungdynamische Aufsteiger Patrick Elff, Abteilungsleiter einer Düsseldorfer Privatbank, nachdem er damit rechnen muss, dass ein paar krumme, undurchsichtige Finanzgeschäfte von den Behörden aufgedeckt werden. Und dort erhofft er sich auch Hilfe von einem noch undurchsichtigeren und einflussreichen Geschäftsmann, von dem er glaubt, er schulde ihm noch einen Gefallen. Soweit, so simpel, so fast schon thrillerhaft der Plot. Doch Mosebach wäre natürlich nicht Mosebach, wenn er sich auf die Kraft einer bloßen Handlung verließe, wenn nicht das Psychologische, Zeitdiagnostische und auch Übersinnliche ebenso eine Rolle spielten. Und Mosebach wäre vor allem nicht Mosebach, wenn er das Ganze nicht mit seiner von manchen leider immer noch geschmähten, bei allen Eigenwilligkeiten doch ungeheuer eleganten und auch bildreichen Sprache kleiden würde. Eine Sprache, die angesichts des exotischen Schauplatzes (wie bereits in „Das Beben“oder „Die Türkin“) umso heller funkelt.
Jedenfalls: Patrick Elff landet natürlich nicht bei besagtem Geschäftsmann im Grand Hotel Mogador, sondern in einer Art Burg, die ein Bordell ist, bevölkert von skurrilen Wesen wie einem angeblich wunderheilenden, alten Imam, betrieben und beherrscht aber von der machtbewussten Khadija – der zweiten zentralen Figur des Romans.
Womit dessen Grundkonstruktion auch schon offengelegt wäre: Hier das geordnete, allerdings nicht nur hinter den Fassaden der Bankentürme und vermeintlicher Bürgerlichkeit durchaus auch abgründige Deutschland, dort das chaotische, von Bettlern, Dirnen und Dämonen bevölkerte, allerdings selbst in den verwinkeltsten Gassen der Kasbah noch geheimen Ordnungsprinzipien folgende Marokko. Hier der unbekümmerte, willensschwache Mittelschichtssproß Patrick Elff, der Geld und Karriere durchaus zu genießen weiß, aber eher zufällig und als „Mann aus der zweiten Reihe“in die betrügerischen Geschäfte in seiner Bank verwickelt wird, dort die extremster Armut entstammende Khadija, die bereits als Kind kraft ihrer Gedanken die Sonne zum Stehen brachte, mit einem von ihr erschaffenen Dämonen im Bunde steht und für die Geld einzig ein Mittel zur Emanzipation und Durchsetzung ihres ungeheuren Willens ist.
Man merkt, worauf es hinausläuft, aber wie Martin Mosebach immer wieder Bilder und Beispiele findet für diese Gegenüberstellung, ist große Kunst – und wird ihm gleichwohl wieder den Vorwurf einbringen, ein Reaktionär zu sein mit seiner Sympathie für das Archaische, Althergebrachte, Abergläubisch-Beseelte. Immerhin: am Ende siegt das Leben und die Liebe. Und damit so etwas wie das Gegenteil von Geld.
» Martin Mosebach: Mogador. Rowohlt, 368 Seiten, 22,95 Euro