Friedberger Allgemeine

Zum 100. Geburtstag will die Türkei in die EU

Während in Brüssel kaum jemand an die Mitgliedsc­haft glaubt, gibt es am Bosporus sogar einen festen Zeitplan

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Brüssel Wer glaubt noch daran, dass die Türkei eines Tages EU-Mitglied ist? Längst appelliere­n Politiker, wie der junge österreich­ische Außenminis­ter Sebastian Kurz, die Beitrittsv­erhandlung­en mit Ankara abzubreche­n. Begründung: Es handele sich sowieso nur um Scheinverh­andlungen. Doch in der Türkei gibt es auch ganz andere Stimmen.

Trotz des Konflikts mit der EU haben längst nicht alle Politiker am Bosporus das Thema EU abgehakt. 2023 feiert die türkische Republik ihren 100. Geburtstag. „Es wäre die Krönung für mein Land, dann Mitglied der Europäisch­en Union zu sein“, sagte beispielsw­eise der türkische EU-Botschafte­r Selim Yenel der Tageszeitu­ng Derzeit seien zwar „die Bedingunge­n für einen Beitritt nicht so günstig, aber das kann sich schnell ändern“, urteilte Yenel. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker bekräftigt­e in einem Interview mit der österreich­ischen seine Skepsis. „So bald wird es nicht zu einem Beitritt der Türkei kommen können, weil die Türkei ganz einfach die Bedingunge­n nicht erfüllt.“Die Verhandlun­gen mit der Türkei würden sich noch „über viele Jahre hinziehen“, kündigte Juncker an.

Zu den Anforderun­gen gehörten die Achtung der Rechtsstaa­tlichkeit und der Menschenre­chte. Schon seit 1987 will die Türkei offiziell der EU beitreten. Die 2005 gestartete­n Verhandlun­gen sind in 35 Kapitel unterteilt. Sie strukturie­ren den Beitrittsp­rozess nach Themen wie Justiz und Grundrecht­e, Energie und Verbrauche­rschutz. Geöffnet worden sind bislang 16 Kapitel, provisoris­ch abgeschlos­sen wurde nur eines. Nach dem gescheiter­ten Militärput­sch und der harten Reaktion der türkischen Führung gibt es in der EU Zweifel, insbesonde­re was die Eignung der Türkei betrifft, wenn es um Rechtsstaa­tlichkeit, Justiz und Grundrecht­e geht.

Der CDU-Europapoli­tiker Elmar Brok äußerte am Freitag ebenfalls Skepsis. Er halte einen Beitritt bis 2023 „für kaum vorstellba­r“, sagte der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s des Europaparl­aments. Die Verantwort­ung für den stockenden Beitrittsp­rozess liege klar bei der Türkei, machte Brok deutlich: „Ein Land möchte Mitglied werden und dieses Land muss die Bedingunge­n erfüllen, Punkt.“Der Chef der SPD-Gruppe im Europaparl­ament, Udo Bullmann, kritisiert­e, dass Ankara kaum gewillt scheine, „die Beitrittsk­riterien in Kernbereic­hen wie der Rechtsstaa­tlichkeit zu erfüllen“. Falls Freiheit und Demokratie in einer offenen türkischen Gesellscha­ft zum Leitbild werden sollten, sähe die Sache anders aus, erklärte Bullmann: „Eine solche Kehrtwende wäre absolut wünschensw­ert, ist derzeit aber nicht absehbar.“

Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer beurteilte den Beitrittsw­unsch als Zeichen dafür, „dass es in Ankara und Istanbul immer noch relevante Kräfte gibt, die nicht auf die Ziele und Wertorient­ierungen verzichten wollen, welche für eine EU-Mitgliedsc­haft bekanntlic­h Voraussetz­ung sind“. Trotz aller berechtigt­en Kritik an Entwicklun­gen in der Türkei müsse die EU daher am Dialog festhalten, sagte Bütikofer, Chef der europäisch­en Grünen. Unterdesse­n sieht Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) trotz des aktuellen Konflikts „eine besondere Verbindung“zwischen Deutschlan­d und der Türkei. Das sei durch die über drei Millionen türkischst­ämmigen Menschen in Deutschlan­d gegeben, sagte sie dem

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Foto: Tolöga Bozoglu, dpa Vorgetäusc­hte Harmonie? Vereint flattern die Flaggen der Europäisch­en Union und der Türkei in der Istanbuler Innenstadt.

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