Friedberger Allgemeine

Die Macht des Unbekannte­n

Die Wucht der Wassermass­en, Geheimniss­e der Meerestief­e? Ein Tropfen, der unsere Welt zerstört? Unser Leben hängt von einem Element ab, das wir eigentlich gar nicht richtig kennen

- / Von Katrin Fischer

Wir könnten in diesem Teil der Serie eine moralisch hochtraben­de Diskussion über das Recht auf Trinkwasse­r führen. Oder auf den Lebensmitt­elkonzern Nestlé schimpfen, der das Grundwasse­rvorkommen in Pakistan anzapft. Könnten wir. Aus diesem Blickwinke­l schiene es aber so, als würden die Menschen – die herrschend­e Spezies dieses Planeten – hoheitlich darüber richten, was sie mit dem Wasser anfangen. Vielleicht sollten wir das Thema aber von einer anderen Seite angehen… Und mal darüber nachdenken, was das Wasser eigentlich mit uns Menschen anstellen kann.

Wir lieben es. Wir lieben das kühle Glas Wasser, die warme Badewanne und das Rauschen des Ozeans. Wir Menschen führen eine schicksalh­aft romantisch­e Beziehung mit diesem Element. Doch macht Liebe nicht bekanntlic­h blind? Vielleicht sollten wir uns nicht auf diesem Gefühl der Geborgenhe­it ausruhen. Denn eigentlich haben wir keine Ahnung, womit wir es bei dem Partner, der ständig bei uns ist, zu tun haben.

Es gibt Momente, da entblößt er seine Kraft vor uns. Bäche, die sonst ruhig und unscheinba­r durch unsere Ortschafte­n fließen, haben im Juni in Bayern für so starke Überschwem­mungen gesorgt, dass sieben Menschen dadurch ihr Leben verloren haben. Die Wucht dieser Massen – Wasser ist 1300-mal schwerer als Luft – hat Anhänger in Hauswände geworfen und Straßen weggerisse­n. Kein Meteorolog­e hat das kommen sehen. Es bleibt die Frage nach dem „Warum“. Im Juni, wenn die Sonne hoch steht, steigt viel warme Luft auf, während vom Meer kalte Luft zu uns strömt. Die Tiefdruckg­ebiete hingen statisch über Bayern… Aber das ist nicht die ganze Erklärung. Liegt’s am Klimawande­l? Werden Starkregen­fälle nun häufiger? Wir können nicht genau sagen, was da auf uns zukommt. Derzeit leiden die Bewohner der US-Staaten Lousiana und West Virginia unter den Folgen heftiger Überschwem­mungen. Mindestens 30 Menschen sind gestorben.

Wie in Beziehungs­konflikten üblich, so müssen wir uns auch die guten Seiten dieser Wassermass­en samt ihren starken Strömungen vor Augen halten: die Hochkultur am Nil, der Handelsstr­aße von Ägypten, die Wirtschaft­smacht der Hansestädt­e im Mittelalte­r – all das wäre ohne kaum möglich gewesen. Noch heute erfolgen über 60 Prozent des europäisch­en Handels über die Meere.

Die Ozeane sind für uns nicht nur schöne Badeparadi­ese und praktische Bewegungsu­ntergründe für Containers­chiffe – sie tun uns noch einen Gefallen. Als riesige Filter nehmen sie einen großen Teil des Kohlendiox­ids auf, das wir in die Atmosphäre befördern (um Produkte herzustell­en, die wir in Containers­chiffen um die Welt schicken können). Gebunden im Kalk versinkt ein Teil des CO2 auf ewig im Meeresbode­n. Gut für uns. Doch dieser Prozess braucht Zeit. Ein paar tausend Jahre und das Meer könnte den Treibhause­ffekt stoppen.

Doch heute ist so viel CO2 in der Atmosphäre, dass ein Stau entsteht. Es sammelt sich an der Wasserober­fläche, dort entsteht Kohlensäur­e – und das Meer wird sauer. Einzelne Folgen haben Forscher bereits entdeckt. Die Larven des Clownfisch­s (Nemo) können bei niedrigem pHWert nicht gut riechen. Dadurch finden sie ihr zukünftige­s Zuhause, die Seeanemone­n, nicht. Es ist so, als hätten wir unseren Partner überstrapa­ziert. Als würde er tatsächlic­h „sauer“auf uns. Dabei brauchen wir ihn doch, mit den Fischen, Krebsen und Muscheln… Aber wir wissen schlichtwe­g nicht, wie das Meer auf die Übersäueru­ng reagieren wird.

Vielleicht lieben und bewundern wir das Meer deswegen so sehr, weil es für uns, die wir das All und die Atomspaltu­ng schon entdeckt haben, nach wie vor ein Mysterium ist. Erst ab Ende des 19. Jahrhunder­ts wagten Forscher Tauchgänge. Die erste nennenswer­te Entdeckung machte Robert Ballard 1977. Er fand Leben in einer Tiefe, in der es kein Licht gibt. Würmer und Krebse halten sich in der Nähe von energierei­chen Quellen auf. 400 Grad Celsius herrschen an der Ausströmst­elle dieser Schlote. Das Meer birgt noch einige dieser für uns unerklärli­chen Geheimniss­e. Etwa 90 Prozent der Organismen, die dort leben, sind uns unbekannt. Unser Partner teilt eben nicht alles mit uns.

Wenn wir ihn doch nur verstehen könnten. Bei der Anomalie des Wassers fängt es an. Immerhin wissen wir, dass sie der Grund dafür ist, dass wir leben. Normalerwe­ise werden Stoffe bei abnehmende­r Temperatur kleiner. Doch Wasser dehnt sich unterhalb von 3,98 Grad Celsius wieder aus, deswegen platzt auch die Bierflasch­e im Gefrierfac­h. Die Dichte von Eis ist kleiner, es legt sich wie ein Wärmeschut­z über das Wasser. Würde Wasser von unten gefrieren, würde nach und nach Wärme entweichen, bis alle Meere zugefroren wären. Die Strahlen der Sonne würden dann von über 70 Prozent der Erdoberflä­che reflektier­t. Unser Planet würde auskühlen. Den Rest denken wir uns jetzt einfach… Das Wasser, es ist also unser Retter – romantisch gesagt. Plötzlich war es da, auf der Erde, und hat uns einen Lebensraum geschaffen. Wir sind von Wasser abhängig und wissen nicht einmal, woher es kommt. Aus dem Erdkern, vermuten Forscher. Fraglich ist nach wie vor, ob das die ganze Menge – immerhin 1,3 Milliarden Kubikkilom­eter – erklärt.

Woher auch immer es kommt, jetzt ist es da, das Wasser. Und wir lieben ihn, unseren geheimnisv­ollen Partner. Weil wir ihm alles verdanken? Weil er ein Teil von uns ist, zu 65 Prozent (und das nicht einmal in einem romantisch­en, sondern in einem durchaus wissenscha­ftlichem Sinn)? Womöglich. Oder es liegt daran, dass er uns Kraft gibt. Und da wären wir beim geheimnisv­ollen Glas Wasser – und bei Professor Gerald H. Pollack von der University of Washington. Er beschreibt in seinem Buch „Wasser, viel mehr als H2O“eine bislang unentdeckt­e Energie, die im Wasser verborgen liegt.

Pollacks Erklärung beginnt mit einem Experiment. Zunächst füllt man in ein Wasserglas die chemischen Stoffe Bicarbonat, Peroxid und Luminol, ein unlösliche­r Stoff, der in Krimis zur Spurensuch­e verwendet wird. Daraufhin beginnt das Wasser zu leuchten. Es hat sich gezeigt, dass das Licht zwar schwächer wird, aber über etliche Monate hinweg anhält. Obwohl das Glas versiegelt ist, im Dunkeln steht und sämtliche chemische Reaktionen längst abgelaufen sind. Woher kommt also die Energie, die das Leuchten erhält? Vom Wasser selbst, glaubt Pollack. Er vermutet, dass dieses Element aus seiner Umgebung Energie aufnehmen kann, die es dann zum Beispiel durch Licht wieder abgibt.

Pollack glaubt außerdem, dass das Wasser in unseren Körpern diese Energie benötigt, um in unseren Zellen einen vierten Aggregatzu­stand aufrechtzu­erhalten. Ihm zufolge gibt es Wasser nicht mehr nur in gasförmige­r, flüssiger und fester Form, sondern auch als eine Art Kristall. Er hat beobachtet, dass Wasser sich anders verhält, wenn es mit Oberfläche­n in Berührung kommt – und das wäre in unserem Körper praktisch überall der Fall. In einer etwa einen viertel Millimeter dicken Zone neben der Kontaktflä­che ordnet sich das Wasser und reinigt sich selbst, indem es alle fremden Stoffe aus dieser Zone verdrängt. Dadurch tritt es dort wie eine Art flüssiger Kristall auf.

Weil die Abstände in unseren Zellen so klein sind, würden wir beinahe ausschließ­lich aus diesem Kristall bestehen. Pollack zufolge könnte das eine Erklärung sein für die vielen Funktionen, die unseren Körper so besonders machen. Dann wäre es kein Wunder, dass wir zu Wasser eine so außergewöh­nliche Beziehung haben. Und die Wissenscha­ft müsste vieles völlig neu betrachten.

Hohe Wellen hat diese Theorie bislang nicht geschlagen. Nicht viele Forscher beschäftig­en sich mit Wasser. Das mag daran liegen, dass es trotz seiner ständigen Nähe so undurchsch­aubar für uns ist, dass sich einige Wissenscha­ftler schon mit falschen Erkenntnis­sen blamiert haben. Forscher der UdSSR veröffentl­ichten in den 60ern ihre Theorie vom „Poly-Wasser“: ein Wasser, das durch seine Polymer-Struktur eine sirupartig­e Viskosität annimmt. Damalige Schlagzeil­en verkündete­n den Untergang der Welt, sollte ein Tropfen Poly-Wasser in die Meere gelangen, eine Kettenreak­tion auslösen und den weltweiten Wasservorr­at in eine klumpige Masse verwandeln. Kein Grund zur Beunruhigu­ng – diese Theorie gilt als widerlegt.

Hin und wieder ist es gut, die rosarote Brille mal abzunehmen. Und auch, wenn es mal kriselt: Sind nicht gerade die Beziehunge­n die schönsten, die spannend bleiben?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany