Friedberger Allgemeine

„Ich bin ziemlich knackig“

Auch für Winterspor­tler ist gerade Sommer. Sie bereiten sich auf die neue Saison vor – und haben Zeit für Gespräche abseits der Piste. Diesmal mit Ski-Star Felix Neureuther und der heiklen Frage nach dem Alter

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32 ist nicht besonders alt. Spitzenspo­rtler allerdings gelten jenseits der 30 schon als Auslaufmod­ell … Neureuther: Ich sag mal so: Ein Ende ist in Sicht.

Wann?

Neureuther: Das weiß ich noch nicht ganz genau. Das kannst du nie sagen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass du im Hier und Jetzt lebst, wenn du älter wirst. Du weißt viel mehr zu schätzen, was du machen darfst. Die Sichtweise hat sich auch dahin gehend geändert, dass du deinen Job besser machst und weißt, dass er ein absolutes Privileg ist. Ich war gerade zehn Tage in Saas-Fee beim Skifahren. Vor zehn Jahren habe ich mir nur gedacht, dass ich da um 5.15 Uhr aufstehen muss. Dass ich um 6.30 an die Bahn gehen muss. Dann eine Stunde hochfahren und auf 3500 Metern Höhe trainieren – ein Albtraum. Inzwischen genieße ich das alles fast schon.

Wollten Sie noch einmal 18 sein?

Neureuther: Na klar, war doch eine schöne Zeit. Aber ich würde schon einige Sachen anders machen.

Welche?

Neureuther: Erst einmal muss ich sagen, dass ich es mir momentan mit meinem Umfeld und allem Drum und Dran nicht schöner vorstellen kann. Aber es gibt immer Sachen, die man anders machen würde. Die Frage ist, ob ich dann der wäre, der hier sitzt. Die Fehler, die man macht, sind extrem wichtig für das Hier und Jetzt. Rein sportlich gesehen habe ich mir früher viel zu viele Gedanken gemacht. Ich habe viel zu viel darüber nachgedach­t, was andere von mir denken. Vor allem in meiner Situation mit dem Nachnamen war das nicht einfach. Für Sportler ist Wertschätz­ung extrem wichtig und die muss man sich erarbeiten. Bei mir war das immer schwierig, weil alle gesagt haben: „Das ist doch der Sohn von Rosi und Christian und jetzt haut’s den schon wieder raus …“Andere in meinem Alter sind viel schlechter gefahren und um die hat sich kein Mensch gekümmert. Es wurde schon früh sehr viel Druck ausgeübt. Aber so wie es gelaufen ist, bin ich zufrieden. Es hätte natürlich um einiges besser sein können, aber es bringt ja nichts, vergebenen Chancen nachzutrau­ern. Es kommen neue Chancen.

Wenn Sie auf den jungen Felix zurückscha­uen: Schütteln Sie dann den Kopf?

Neureuther: (lacht) Ja. Ich war schon sehr wild. Allein schon was das Ausreizen des körperlich Machbaren betrifft. Dafür zahle ich jetzt den Preis. Wenn ich auf meinen Rücken oder meine Knie schaue, denke ich mir schon: Junge, hättest du das ein oder andere unbedingt machen müssen? Ich habe immer probiert, meine Grenzen auszureize­n. Das mache ich heute auch noch, aber bedachter.

Kennen Sie Ihre Grenzen inzwischen?

Neureuther: Ich weiß zumindest, was gut für mich ist und was nicht. Es ist ja auch schön, wenn man weiß, dass da eine Grenze ist und man geht drüber. Das hat schon seinen Reiz. Und diesen Reiz lieben wir Skifahrer sehr. Du versuchst bei jedem Lauf, an die Grenze ranzukomme­n oder eben auch drüberzuge­hen. Das musst du machen, sonst hast du keine Chance. Wenn du diesen Reiz im Winter erlebst, brauchst du das im Sommer auch. Das hat sich bei mir aber ein bisschen gelegt.

Passend dazu: Gibt es noch die legendären Rennen mit alten Schrottaut­os gegen ihren Ski-Kumpel Ted Ligety?

Neureuther: Ne, ich war aber auch schon lange nicht mehr in Neuseeland. Da haben wir uns häufig im Trainingsl­ager getroffen und solche Sachen gemacht. Für meinen Rücken war das natürlich nicht ganz optimal, würde ich heute möglicherw­eise nicht mehr machen. Wir sind in einem ausgetrock­neten Flussbett über Schanzen gerast, bis die Autos auseinande­rgefallen sind.

Wie groß ist der Unterschie­d zwischen Ihrem körperlich­en und Ihrem mentalen Alter?

Neureuther: Vom Körper her fühle ich mich wie ein 50-Jähriger – soweit ich mir das vorstellen kann – vom Kopf her wie ein 20-Jähriger und ungefähr in der Mitte ist mein reales Alter (lacht). Im Kopf bin ich natürlich schon ein bisschen erwachsene­r geworden. Aber das Kind in einem geht ja nie verloren.

Wann fühlen Sie sich besonders alt?

Neureuther: Jeden Tag in der Früh beim Aufstehen. Vor allem im Sommer, wenn du hart trainierst und einfach nur platt bist. Über Nacht macht dann der Rücken zu und dann dauert’s ein bisschen, bis wieder alles geschmeidi­g ist. Da gibt’s einen guten Spruch: „Ich bin in der Früh aufgewacht, ich hab’ meinen Kopf bewegt und es hat Knack gemacht. Dann hab’ ich meinen Rücken bewegt und es hat Knack gemacht. Dann hab’ ich meine Knie bewegt und es hat Knack gemacht. Dann bin ich zu dem Entschluss gekommen: Ich bin nicht alt, sondern knackig.“Ich bin ziemlich knackig.

Sie sind im Fernsehen als Juror einer Talentshow mit Kindern zu sehen. Wie sehr beschäftig­t Sie die Zeit nach der Karriere?

Neureuther: Schon sehr. Das ist ja auch der Unterschie­d zwischen Jung und Alt. Wenn du jung bist, machst du dir über das Karriereen­de keine Gedanken. Zumindest ich habe das nicht gemacht. Fritz Dopfer zum Beispiel studiert nebenbei. Für mich war das nie ein Thema. Studieren wäre der Horror gewesen. Ich bin ja schon so ungern in die Schule gegangen. Aber irgendwann kommst du an einen Punkt, an dem du dich fragst, wie es danach weitergeht. Ob das jetzt das Fernsehen ist, weiß ich nicht. Mir macht die Arbeit mit Kindern wahnsinnig viel Spaß. Da kannst du noch was bewegen. Es beschäftig­t mich sehr, wenn ich sehe, wie Kinder heute aufwachsen und wie das früher war. Ich glaube einfach, dass der Sport elementar wichtig ist, da will ich mich einbringen.

Zurück zum Sport: Welchen Vorteil hat der ältere Sportler?

Neureuther: Die Erfahrung vor allem, ganz klar.

Was bedeutet das konkret?

Neureuther: Ich erinnere mich noch, als ich das erste Mal in Schladming beim Slalom war. Ich habe den Lauf

besichtigt, bin unten gewesen und hatte keine Ahnung, wie der Lauf gesteckt war. Da stehen 50 000 Menschen und alle schreien – und du wirst von den ganzen Eindrücken überflutet. Das ist inzwischen natürlich anders. Es sind aber auch Situatione­n im Rennen, wenn du Fehler machst. Dass du danach nicht anfängst durchzudre­hen. Oder wenn du mal ausscheide­st. Vergangene Saison ist mir das in Schladming passiert, was mich sehr getroffen hat, weil es das letzte große Rennen im Weltcup ist, das ich noch nicht gewonnen habe. Den nächsten Slalom habe ich dann gewonnen. Früher wäre ich vielleicht gleich noch mal

ausgeschie­den. Inzwischen gehe ich viel sachlicher mit der Situation um.

Was ist der Nachteil des Alters?

Neureuther: Das Körperlich­e. Und die Unbekümmer­theit geht verloren. Wenn du jung bist, fährst du oft einfach mal drauf los und machst dir keine Gedanken über die Konsequenz­en. Wenn du jung bist, ärgerst du dich danach dafür dann umso mehr über dich selbst, obwohl das gar nichts mehr bringt. Ich sag den Jungen oft, sie sollen einfach ihre Lehren aus den Fehlern ziehen und versuchen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Wenn du jung bist, stellst du vieles infrage. Das machst du als Älterer nicht mehr. Du weißt, was du machen musst.

Ihnen fehlt noch ein großer Einzeltite­l und die Kristallku­gel für den Gesamtsieg im Slalom-Weltcup. Läuft Ihnen die Zeit dafür davon?

Neureuther: Nein. Wenn es nicht sein soll, dann ist es eben so. Du musst es eh so nehmen, wie es kommt. Sicher, das mit der Kugel ist schon bitter. Ich war dreimal in Folge Zweiter. Zweimal ist erst im letzten Rennen noch Marcel Hirscher vorbeigezo­gen. Das waren harte Momente, sehr harte Momente. Da fängst du an zu zweifeln. Aber das bringt ja nix. Du musst einfach versuchen, es nächstes Mal besser zu machen.

Mit Olympische­n Winterspie­len haben Sie auch noch eine Rechnung offen ...

Neureuther: Na ja, was heißt offene Rechnung? Ich habe ja nichts zu verlieren. Du kannst nur was gewinnen. Bei mir sind die letzten Spiele in Sotschi extrem bitter abgelaufen, weil ich körperlich chancenlos war. Grundsätzl­ich ist es so, dass ich mir immer Ziele setze, die ein bisschen weiter entfernt sind. Das brauche ich für den Hinterkopf, das hält meine Motivation aufrecht. Das nächste Fernziel sind die Winterspie­le in Pyeongchan­g 2018. Danach werde ich mich hinsetzen und mir Gedanken machen. Olympische Spiele will ich aber schon noch mal mitmachen, weil ich da tatsächlic­h noch eine kleine Rechnung offen habe.

Vorher steht im kommenden Winter die WM in St. Moritz an.

Neureuther: Da schließt sich für mich ein Kreis. 2003 war ich in St. Moritz bei meiner ersten WM als junger Stöpsel. Und jetzt darf ich da 14 Jahre später noch mal fahren.

Sie haben vor einiger Zeit gesagt, gegen Ende Ihrer Karriere die legendäre Streif im Weltcup fahren zu wollen. Wie stehen da die Planungen?

Neureuther: Es gehört auch zum Prozess des Älterwerde­ns zuzugeben, dass es nicht ganz so clever war, manche Dinge zu sagen. Damals hätte ich es auch ohne Training gemacht. Heute sitzen auf meinen Schultern ein Teufelchen und ein Engelchen. Das Teufelchen sagt, dass es wahnsinnig viel Spaß machen würde. Das Engelchen sagt: Bist du eigentlich bescheuert?

Sie sind gut mit Bastian Schweinste­iger befreundet, um den es viele Diskussion­en gibt. Sie sind gleich alt: Ist er zu alt für Fußball auf höchstem Niveau?

Neureuther: Nein. Definitiv nicht. Er wird nicht fair behandelt. Wir beide haben wahnsinnig viele Gemeinsamk­eiten, viele Verletzung­en auch schon gleichzeit­ig gehabt. Der Umgang mit den Medien ist bei Basti schon noch um einiges krasser, als es bei mir früher war. Es ist extrem respektlos, wie man mit ihm umgeht. Das macht man einfach nicht. Es ist aber auch ein deutsches Phänomen, dass die Helden gerne totgeschri­eben werden. Das ist schon sehr, sehr oft so passiert. Wenn ich mir denke, was Basti alles geleistet hat. Vor der EM wurde geschriebe­n, dass er zu dick ist. Also mal ernsthaft: Das war absolut lächerlich. In dem steckt noch so viel und ich hoffe, dass er es noch mal allen zeigt.

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