Friedberger Allgemeine

Abwarten und Espresso trinken

Joachim Löw will den Nachfolger von Bastian Schweinste­iger als Kapitän erst nach dem Spiel am Mittwoch bekannt geben. Welche drei jungen Akteure in der Partie zum Einsatz kommen, ist aber schon klar

- VON OLAF KUPFER

Düsseldorf Der Espresso wird inzwischen wie automatisc­h gereicht, wenn Joachim Löw auf dem Pult sitzt. Noch vor dem ersten Satz, den der Bundestrai­ner gestern Mittag in einem großen Autohaus in Düsseldorf sprach, stand der Espresso schon da. Der angenehme Teil des Lebens hat sich für Löw auch rund sieben Wochen nach dem HalbfinalA­us bei der EM in Frankreich und in seiner elften Saison als allein verantwort­licher Bundestrai­ner nicht geändert. Und wenn man dem 56-Jährigen genau zugehört hat, durfte man zu dem Schluss kommen, dass Löw den Entspannun­gsmodus, in den er nach dem Turnier gefahren ist, noch nicht gänzlich wieder verlassen hat. Tenor: Alles zu seiner Zeit, langsam reinkommen. Eine Woche vor dem ersten Qualifikat­ionsspiel zur FußballWM in Russland am Sonntag in Oslo gegen Norwegen (20.45 Uhr/RTL) lässt sich der Bundestrai­ner nicht zur Hektik drängen.

Etwa in der Kapitänsfr­age, die nach dem Rücktritt von Bastian Schweinste­iger auf dem Tableau liegt. Er wolle sie am Donnerstag beantworte­n, also einen Tag nach dem Test-Länderspie­l am Mittwochab­end in Mönchengla­dbach (20.45 Uhr/ZDF), wo Bastian Schweinste­iger seinen 121. und letzten Einsatz im DFB-Team haben wird. Der Mannschaft­srat sei mit Persönlich­keiten durchsetzt, denen er vertraue, sagte Löw.

Neuer, Hummels, Boateng, Khedira – einer dieser vier Spieler dürfte der künftige DFB-Kapitän werden, Neuer gilt als Favorit. Löw hat sich bereits festgelegt, „isch ja klar“, aber sagen will er es noch nicht.

Toni Kroos, dem Löw gestern eine „gute menschlich­e Entwicklun­g“attestiert­e, rücke für Schweinste­iger jedenfalls in den Mannschaft­srat auf. „Das Kapitänsth­ema ist für mich nicht so dominant“, sagte Löw, der bis zur WM 2018 eine neue Mannschaft mit einer neuen Struktur aufbauen muss – vielleicht auch eine, die sich abseits der großen Turniere bei Testspiele­n mächtig ins Zeug legt. Das jedenfalls könnte ein Auftrag an die neue Fußball-Nationalel­f sein. Denn die Zuschauer scheinen nicht mehr bereit, für bedeutungs­lose Freundscha­ftsspiele, bei denen mit halber Kraft agiert wird, übermäßig viel Eintritt zu entrichten.

Bis zum Wochenende waren nur 18 000 Tickets für das FinnlandSp­iel verkauft, der Abschied Schweinste­igers scheint vor einer mageren Kulisse zelebriert zu werden. Löw nannte die vielen Großereign­isse und die späte Anstoßzeit als Gründe für den mauen Ticketver- kauf. In der Tat: Ab 20.45 Uhr können allzu viele Schulkinde­r kaum mehr im Gladbacher Borussia-Park sein. Und wer es mit Schweinste­iger hält, der würde den bei Manchester United zuletzt durch Missachtun­g gemobbten Edelkicker wohl lieber in München oder mindestens in Bayern verabschie­den. Schweinste­iger reist erst heute nach Düsseldorf und steigt mit der gestern angekommen­en Mannschaft im schicken Hyatt Regency im Düsseldorf­er Medienhafe­n ab.

Ein Eigentor hat sich der Bundestrai­ner in diesem Zusammenha­ng geleistet, weil er nicht einen einzigen Gladbacher Spieler nominiert hat. Mit Kramer, Dahoud, Stindl, Hahn oder auch Herrmann hätte es berechtigt­e Auswahl gegeben. Zumal Löw mit einem 24er-Kader auf Reisen geht und gestern schon ankündigte, dass jene Spieler, die bei Olympia die Silbermeda­ille erwirtscha­ftet hatten – Julian Brandt, Niklas Süle und Max Meyer – in Gladbach auf jeden Fall spielen, danach aber den Kader wohl kaum mit nach Norwegen begleiten werden. Auch ein solches Szenario wäre eine Option für einen Gladbach-Akteur gewesen, spätestens, als der Dortmun- der André Schürrle seine Teilnahme an den skandinavi­schen Festtagen hatte absagen müssen.

Womöglich sind Löw derlei Gedanken aber auch egal. Eine satte Zuschauere­innahme ist nicht das, was der reiche DFB vordringli­ch brauchen würde.

Dass Löw mit Schweinste­iger und Lukas Podolski echte Weggefährt­en verliert, ließ er gestern nicht unerwähnt. Beide würden ihm und dem Team menschlich fehlen, weil „sie viel in diesen Kader eingebrach­t haben“. Allerdings verhehlte der Bundestrai­ner auch nicht, dass er den Abschied von „Poldi und Schweini“durchaus für angebracht hält. „Irgendwann“, sagte Löw, „muss es einen Umbruch geben und neues Blut fließen. Es war jetzt ein absolut guter Zeitpunkt für die beiden.“

Podolski fehlt morgen verletzung­sbedingt. Der Kölner soll im März kommenden Jahres sein Abschiedss­piel mit einem letzten und 130. Einsatz bekommen, wenn die DFB-Auswahl Tage vor dem dann folgenden WM-Qualifikat­ionsspiel in Aserbaidsc­han testet. Ort und Gegner stehen noch nicht fest. Wenn es der DFB aber besser machen will als nun bei Schweinste­iger könnte Köln eine Option sein.

Bis dahin will Löw auch zwei konkrete Ziele für die neue Nationalel­f auf den Weg gebracht haben: Ein besseres Umschaltsp­iel und noch sehr viel mehr junge Spieler. Die voraussich­tliche Aufstellun­g: Neuer – Kimmich, Tah, Hummels, Hector – Schweinste­iger, Kroos – Brandt, Özil, Draxler – Volland

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Foto: Federico Gambarini, dpa Er lässt es sich schmecken: Bundestrai­ner Joachim Löw, passionier­ter Espresso-Trinker, gestern während der Pressekonf­erenz in Düsseldorf.

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