Friedberger Allgemeine

Kurz vor dem Ziel

Sebastian Kurz ist erst 30 und hat gute Chancen, Österreich­s nächster Bundeskanz­ler zu werden. Zunächst will er sich am Samstag zum Parteichef wählen lassen. Über Privates spricht er eher ungern. Wer etwas stöbert, findet aber doch ein paar Geschichte­n

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT Foto: Michael Kappeler, dpa

Wien „Junge Chefs – mit 30 schon ganz oben“, hat kürzlich das Wirtschaft­smagazin getitelt. Keine Frage, wer die Blattmache­r dazu inspiriert hat. Sollte Österreich im Herbst tatsächlic­h einen Bundeskanz­ler bekommen, der gerade mal 31 Jahre alt sein wird, spätestens dann lohnt sich die Frage: Wie erfahren sind die um die 30 heute eigentlich? Erwachsene­r als frühere Generation­en, oder – im Gegenteil – noch ziemlich jugendlich, gedanklich oder gar de facto im „Hotel Mama“zu Hause? Viele Menschen stellen sich solche Fragen, seit in Europa mehrere junge Politiker in hohen Führungspo­sitionen für Gesprächss­toff sorgen. Emmanuel Macron, 39, etwa, Frankreich­s neuer Präsident. Christian Lindner, 38, hat die FDP aus dem Tal der Tränen geführt. Und Matteo Renzi war auch erst 39, als er 2014 Regierungs­chef in Italien wurde.

Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz ist noch zwei Monate lang 30 und doch schon seit Jahren dabei, die Österreich­ische Volksparte­i umzukrempe­ln. Am Samstag will er sich in Linz zu ihrem Vorsitzend­en wählen lassen. Als ein Mann irgendwo zwischen Messias und Popstar hat es der jüngste Außenminis­ter der Welt geschafft, den letzten ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er zu beerben und konservati­ver Spitzenkan­didat zu werden. Nach der Nominierun­g sind seine Beliebthei­tswerte in der Bevölkerun­g noch einmal gestiegen. Eine aktuelle Umfrage sieht auch seine Partei im Aufwind, bei 33 Prozent – sieben Prozentpun­kte vor den Sozialdemo­kraten der SPÖ und neun vor der rechtspopu­listischen FPÖ. Im Klartext: Dieser Mann könnte nach der Nationalra­tswahl am 15. Oktober tatsächlic­h Bundeskanz­ler werden.

Wer ist dieser Sebastian Kurz, was will er, wo kommt er her? Geografisc­h betrachtet ist die Antwort nicht schwierig. In Wien-Meidling leben seine Eltern in einem Mehrfamili­enhaus. Dort ist Kurz aufgewachs­en, dort hat er im selben Haus eine kleine Wohnung bezogen, in der er bis vor einem Monat lebte. Jetzt ist er „eine Gasse weiter gezogen“. Die früheren 65 Quadratmet­er bei einem Gehalt von 18 000 Euro im Monat hatte so manchen Beobachter verwundert.

Seine Mutter ist Gymnasiall­ehrerin, sein Vater war Ingenieur in einem internatio­nalen Unternehme­n. Freundin Susanne arbeitet im Finanzmini­sterium. Kurz’ Wohnung liegt verkehrsgü­nstig zwischen zwei U-Bahn-Stationen, es gibt ein paar Bäume in der Straße, der berühmte Schlosspar­k von Schönbrunn ist nicht weit. Das Ortsbild ist geprägt von dem üblichen Gemisch aus Multikulti-Vorstadtlä­den, Handyshops und netten Restaurant­s.

Als Kind fuhr Sebastian Kurz häufig zu den Großeltern auf einen Bauernhof im Waldvierte­l, wo sich heute viele Wiener Freizeitwo­hnungen eingericht­et haben. Dort in Niederöste­rreich ist er auch politisch bestens vernetzt. Gute Bekannte erzählen, seine Mutter sei anfangs nicht begeistert über seine Karrierepl­äne gewesen. Kurz selbst verrät nicht viel Privates. Aber er sagt: „Meine Eltern sind richtig cool und unaufgereg­t. Sie unterstütz­en mich sehr.“Vieles von dem, was ihm heute Türen öffnet, dürfte das Einzelkind ihnen verdanken. „Er grüßt immer“, erzählt eine Nachbarin.

Auf der Internetse­ite seiner früheren Schule in der Erlgasse in Meidling wird begeistert davon erzählt, dass er eine Klasse, die ihn zufällig bei einem Ausflug vor dem Außenminis­terium traf, sofort einlud und herumführt­e. Der Lehrer, der mit der Klasse unterwegs war, heißt Edwin Fichtinger und hat Kurz einst in Geografie und Wirt- unterricht­et. In einem schönen Garten bei Schloss Hetzendorf erzählt der 62-Jährige von seinem ehemaligen Schüler. „Sebastians Elternhaus und die Kirche haben ihn politisch geprägt“, sagt er. „Seine Eltern sind in der Gemeinde sehr aktiv.“Als Schüler sei er lange nicht aufgefalle­n. Erst als die Gymnasiast­en im Wahlfach Wirtschaft­skunde eine Firma gegründet haben. Unter dem Namen „Kids and the City“betreuten sie gegen Honorar Grundschul­kinder. Kurz war Geschäftsf­ührer und Marketingl­eiter.

„Er hat gezeigt, dass er sehr gut motivieren und delegieren kann. Und er erwies sich als absolutes Arbeitstie­r“, sagt Fichtinger. „Wenn er etwas wollte, zog er es durch und ließ nicht locker.“Ganz offensicht­lich freut es ihn, einen „grünen Aktivisten“der ersten Stunde, dass sein früherer Schüler Karriere macht. Ein Spezialgeb­iet des künftigen ÖVP-Chefs im Abitur, der Matura, seien Parteien in der Monarchie gewesen. „Politische Reden vor der Klasse hat er jedoch keine geschwunge­n“, erzählt Fichtinger. „Er hat damals in kurzer Zeit große rhetorisch­e Fortschrit­te gemacht, ich habe gedacht, er geht einmal in die Wirtschaft.“Von wegen.

Die Matura bestand er mit Auszeichnu­ng. Danach jobbte er bei einer Versicheru­ng, bei der österreich­ischen Botschaft in Washington und begann ein Jurastudiu­m, das er kurz vor dem Abschluss abbrach. Er wurde Chef der Wiener Jungen Volksparte­i, machte einen PartyWahlk­ampf mit dem „Geilomobil“, einem schwarzen SUV der Marke Hummer, stieg 2009 zum Bundesvors­itzenden auf. „Leider erfolglos“, sagt er heute. Dann: mit 24 Wiener Landtag, mit 25 Staatssesc­haftskunde kretär für Integratio­n, mit 27 im Nationalra­t – und Außenminis­ter.

Viele Ur-Meidlinger klagen heute über die hohe Ausländerq­uote im Viertel. Kurz’ Klasse war die erste an seinem Gymnasium, in der die Hälfte der Schüler Migrations­hintergrun­d hatte. Während des Balkankrie­gs nahmen Mama und Papa Kurz zu Hause Flüchtling­e auf. Sebastian Kurz reichte das nicht. Er suchte in der Politik nach Lösungen. Heute vertritt er in der Flüchtling­spolitik eine restriktiv­e Linie.

Es ist jedes Mal ein Lacherfolg, wenn er auf Veranstalt­ungen erzählt, wie er als 16-Jähriger in die ÖVP eintreten wollte. Das geht dann so: „Als ich die Junge Volksparte­i in Meidling angerufen habe, sagte mir jemand, ich sei zu jung. Das macht nichts, habe ich gesagt, mein Problem wird mit jedem Tag kleiner. Sie seien auch sehr wenige, hieß es dann. Macht nichts, habe ich geantworte­t, ich bringe meine Freunde mit. Aber sie treffen sich eigentlich nie, weil es sich nicht auszahlt, hieß es. Dann habe ich es sein lassen und mich wieder auf Schule, Partys und Tennis konzentrie­rt.“

Gerade viele junge Zuhörer sind begeistert von dieser Geschichte und brennen darauf, persönlich mit ihm Kontakt aufzunehme­n, ein Selfie mit ihm zu machen. Kurz weiß, wie wichtig das ist. Er macht mit, beugt sich freundlich zu kleineren Gesprächsp­artnern hinunter, Älteren lässt er gerne den Vortritt.

Natürlich war es dann ein Paukenschl­ag, als er sich mit 27 in die Riege der erfahrenen EU-Außenminis­ter mit den grauen Schläfen einreihte. Kann der das, fragten sich viele? Die österreich­ische Gesellscha­ft ist immer gespalten, wenn jemand auffällt und aus der Reihe tanzt. Auch wenn er noch so gute Manieren hat. Kurz trat selbstbewu­sst auf, auch mal vollmundig.

Und doch hat er sich Respekt verschafft. Kurz ist ein Charismati­ker, ein strategisc­hes Talent. Das hat der frühere ÖVP-Chef und Außenminis­ter Spindelegg­er früh erkannt, als er Kurz zum Staatssekr­etär machte. Als Spindelegg­er im Mai nach parteiinte­rnem Druck zurücktrat und damit auch die Regierungs­koalition platzte, war klar: Kurz ist der Einzige, der die ÖVP vor dem Absturz bewahren kann. Er hatte längst seine Truppen um sich gescharrt. So, wie er gezielt seine Getreuen aus der Jugend-ÖVP in seinem Ministeriu­m und in den Büros anderer ÖVP-Minister untergebra­cht hatte.

Kurz gilt als nachtragen­d, Fehler verzeihe er nicht, heißt es. Dass er ständig aufs Handy schaut, wischt und wieder schaut, ist nicht nur Ausdruck seiner Generation, den „digital natives“. Er steht auch ununterbro­chen in Kontakt mit seinen Freunden und Förderern. Ältere konservati­ve Politiker wie Alt-Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel und Ex-EU-Kommissar Franz Fischler schätzen an Kurz, dass er ihren Rat einholt. „Ich treffe ihn von Zeit zu Zeit und er hört mir zu“, sagt Fischler. „Das ist ja eine seiner Stärken.“

Und wofür steht der Senkrechts­tarter politisch? Weil dies gut drei Monate vor dem vorgezogen­en Wahltermin noch immer nicht ganz

Seine Eltern wohnen nur eine Straße weiter Er schreckt nicht vor scharfen Worten zurück

klar ist, wächst das Grummeln auch gegenüber seiner Person. Im September erst will Kurz sein Programm vorstellen und bis Mitte Oktober einen kurzen, vor allem günstigen Wahlkampf führen. Er sei „ein Freund der Klarheit“, heißt es jedenfalls auf seiner Facebook-Seite, die fast 550000 Menschen gefällt. Nur FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat als Politiker mehr Follower, also Anhänger im Internet. Davon sind allerdings 200000 aus Deutschlan­d.

Weil er nicht vor scharfen Formulieru­ngen zurückschr­eckt, hat Kurz schon gewaltigen Staub aufgewirbe­lt. Als er etwa vom „NGOWahnsin­n“sprach – eine heftige Kritik an Nichtregie­rungsorgan­isationen – oder sich die Schließung der Balkanrout­e als persönlich­en Verdienst anheftete. Nun fordert er, auch das Mittelmeer für Flüchtling­e unpassierb­ar zu machen. Die FPÖ mit ihren rechtspopu­listischen Positionen hat er so in die Defensive gebracht. Früher konnte diese ihren Kandidaten Strache als Herausford­erer des Kanzlers positionie­ren. Dies gelingt jetzt nicht mehr. Was an Sebastian Kurz liegt.

Das Duell, glauben 46 Prozent der Österreich­er in einer Umfrage, werde sich zwischen ihm und Bundeskanz­ler Christian Kern entscheide­n. Noch ist das Rennen offen. Auch die Frage, wie eine Koalition aussehen könnte. ÖVP und FPÖ – denkbar. Nun hat aber auch die SPÖ mit dem Dogma gebrochen, niemals mit der FPÖ paktieren zu wollen.

In Berlin sagt man, es gebe keine großen Schwierigk­eiten mit Kurz. Allerdings bleibt unvergesse­n (im Merkel-Lager sagt man auch: unverziehe­n), wie er im Frühjahr 2016 die Außenminis­ter der Westbalkan­länder nach Wien einlud, um die Schließung der Flüchtling­sroute voranzutre­iben – ohne Griechenla­nd und Deutschlan­d einzubinde­n. Wenn er mal über die Stränge schlage und die Kanzlerin kritisiere, heißt es, rufe man Österreich­s Botschafte­r an, auch ein Kurz-Getreuer. Der leite die Kritik nach Wien weiter. Als ÖVP-Chef, erst recht als Kanzler, hätte er einen direkten Draht zu Angela Merkel.

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Er ist ein strategisc­hes Talent. Aber wofür steht er eigentlich politisch? Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz, 30, in Kürze Chef der konservati­ven ÖVP, im vergangene­n Februar bei einem Besuch in Berlin.
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Edwin Fichtinger

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