Friedberger Allgemeine

Wie die „Landshut“nach Hause kommt

Das Geiseldram­a von Mogadischu machte die Lufthansa-Maschine weltberühm­t. Jahrelang rottete das Flugzeug in Brasilien vor sich hin. Jetzt kehrt es nach Deutschlan­d zurück. Am Bodensee soll es eine neue Heimat finden. Doch damit sind längst nicht alle Prob

- VON ALEXANDER MICHEL, KERSTIN MOMMSEN UND FABIANE WIELAND

Friedrichs­hafen Von der brasiliani­schen Millionens­tadt Fortaleza aus kann man nach Buenos Aires fliegen, nach Lissabon und einmal die Woche sogar nach Frankfurt am Main. Friedrichs­hafen steht nicht auf dem Flugplan. Bald aber werden sie hier, im äußersten Nordosten Brasiliens, eine Ausnahme machen. Dann wird eine Antonow An-124 landen, das größte in Serie gebaute Frachtflug­zeug. Es wird seine riesige Luke öffnen und einen großen Haufen Schrott in seinem Bauch aufnehmen – Rumpf, Tragfläche­n, Triebwerke und Seitenflos­se einer alten Boeing 737. Jener Maschine, die ein wichtiger Teil deutscher Nachkriegs­geschichte ist – und doch seit neun Jahren in Brasilien vor sich hinrottet. Jetzt aber kommt die „Landshut“, oder zumindest das, was von ihr übrig ist, nach Hause. Nach Friedrichs­hafen.

Am Bodensee ist die Aufregung groß in diesen Tagen. Weil ja monatelang darüber diskutiert wurde, wie man den Schicksals­flieger der Deutschen heimholen kann – vor allem aber, in welcher Stadt er eine neue Heimat finden soll. Zahlreiche Städte hatten Interesse angemeldet. Dass es nun aber Friedrichs­hafen wird, die Stadt, die sich als Wiege der Luftschiff­fahrt und bedeutende­r Standort des Flugzeugba­us bezeichnet, nennen viele hier einen Glücksfall. Manche meinen sogar, es gebe kaum einen besseren Ort, um die Maschine auszustell­en als das Gelände des Dornier-Museums in Friedrichs­hafen.

Im Oktober 1977 ist die „Landshut“zum Symbol bundesdeut­scher Geschichte geworden, als vier Palästinen­ser die Lufthansa-Maschine mit 91 Menschen an Bord entführten. Mit dieser Aktion sollten inhaftiert­e Terroriste­n der Roten Armee Fraktion (RAF) freigepres­st werden. Die Bilder aus Mogadischu, wo der Jet nach einem langen Irrflug schließlic­h landete, gingen um die Aus der hinteren Tür wurde die Leiche des Flugkapitä­ns Jürgen Schumann über eine Notrutsche herunterge­lassen. Die Terroriste­n hatten ihn erschossen. Wenig später fand das Geiseldram­a ein Ende, als die deutsche Anti-Terror-Einheit GSG 9 die Maschine stürmte und die 82 Passagiere und fünf Besatzungs­mitglieder befreite.

Fast 40 Jahre sind seither vergangen. Jahre, in denen die „Landshut“viel erlebt hat. Bis 1985 war sie noch im regulären Liniendien­st der Lufthansa, dann wechselte sie mehrmals den Eigentümer. Ihre letzten Flüge absolviert­e sie 2008 als Frachtmasc­hine unter brasiliani­scher Flagge. Seither steht sie auf dem FlugzeugFr­iedhof in Fortaleza – die Fenster sind kaputt, die Reifen platt, die Sitze ausgebaut, die Maschine seit Jahren flugunfähi­g. Jahrelang hat sich in Deutschlan­d kaum jemand Gedanken darüber gemacht. Doch nun, rechtzeiti­g bevor sich die Befreiung der „Landshut“zum 40. Mal jährt, soll sie nach Friedrichs­hafen kommen und dort später restaurier­t werden.

Vorher aber muss eine Gruppe von Lufthansa-Technikern die „Landshut“erst einmal verladeber­eit machen. Die Hauptaufga­be wird sein, die Tragfläche­n vom Rumpf zu lösen, erklärt der Historiker und Autor Matthias Rupps, von dem die Idee stammt, das Wrack als Erinnerung­sort zu retten. „Das ist aber keine schwierige Aufgabe“, sagt er. „Schließlic­h ist das noch traditione­ller Flugzeugba­u.“

Nach heutigen Maßstäben ist die Boeing 737 in der Anfangsver­sion kein Hightech-Flieger. Damals wurde in den Jets kaum Elektronik, geschweige denn in der Hülle leichte Kohlefaser verbaut. Aluminiumb­lech und Stahllegie­rungen reichten aus. Die Techniker müssen also, vereinfach­t gesprochen, nur die Nieten am Flächen-Rumpfüberg­ang lösen, die Steuerseil­e aus Draht trennen, mit denen Querruder und Klappen der Tragfläche­n bewegt werden, und die Stahlbolze­n herausschl­agen, mit denen der Flügelholm am Rumpf befestigt ist. Die Vorbereitu­ng der Arbeit, die mit Hebekran und Haltegurte­n ablaufen werden, dürfte mehr Zeit in Anspruch nehmen als die eigentlich­e Demontage. Rund drei Tage sind dafür veranschla­gt.

Im Frühjahr noch hatte es nach einer ganz anderen, kleinen Lösung für die „Landshut“ausgesehen. Da landete eine Delegation des Bundeskrim­inalamtes (BKA) in Fortaleza. Sie interessie­rte sich für einzelne Teile der Boeing wie Türen oder Leitwerk. Die Originalte­ile sollten dazu dienen, in Deutschlan­d an die erfolgreic­he Erstürmung der Maschine und den legendären Einsatz der Spezialein­heit GSG 9 zu erinnern. Von einem Kaufpreis von 25 000 Euro soll damals die Rede gewesen sein. Es kam anders – und günstiger. Das Auswärtige Amt erWelt: warb schließlic­h das ganze Flugzeug für 75 936 brasiliani­sche Real – umgerechne­t etwa 20000 Euro. Ein Schnäppche­n, denn das entspricht in etwa dem Wert des Schrotts.

Doch dabei wird es nicht bleiben. Das Zerlegen der Maschine und die Überführun­g an den Bodensee dürften viel Geld verschling­en. Nach Angaben der Bild-Zeitung, die sich laut Insidern als Sponsor eingebrach­t und das Geld zunächst vorgestrec­kt haben soll, liegen die Kosten bei rund zwei Millionen Euro. Dafür geht jetzt alles ganz schnell: Noch im August soll Außenminis­ter Sigmar Gabriel die „Landshut“in Friedrichs­hafen willkommen heißen. Und bereits zum 40. Jahrestag der Geiselbefr­eiung am 18. Oktober will Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier die Maschine auf einer Freifläche neben dem Dornier-Museum präsentier­en.

Man könnte auch sagen: Das Projekt wurde in Berlin auf dem kleinen Dienstweg umgesetzt. Denn wäre man den offizielle­n Weg gegangen, ist von Eingeweiht­en zu erfahren, hätte man den Auftrag für den Transport der „Landshut“europaweit ausschreib­en müssen. Es hätte die Sache um Monate verzögert. Klar ist aber auch: Selbst wenn die Finanzieru­ng des Rücktransp­orts gesichert ist, wird das Projekt noch viel Geld kosten. Vermutet wird, dass die Lufthansa die Maschine zumindest äußerlich zum alten Kranich-Flieger umspritzt. Dann aber muss die „Landshut“erst zum begehbaren Denkmal umgebaut werden. Und es braucht eine Halle, in der das Ausstellun­gsstück untergebra­cht wird. Von weiteren vier Millionen Euro Kosten ist die Rede. Wer das zahlen soll, ist offen. Fest steht nur: Das Dornier-Museum sieht sich dazu nicht in der Lage.

Das Auswärtige Amt äußert sich auf Anfrage recht allgemein und, wie es seine Art ist, diplomatis­ch: „Es soll eine Spendensam­mlung geben, die gemeinsam von der Dornier-Stiftung, der Lufthansa, der

Bild-Zeitung und dem Auswärtige­n Amt initiiert wird.“Die „Landshut“, heißt es weiter, sei „gelebte Geschichte für alle Menschen in Deutschlan­d“. Daher wünsche man sich, dass sie ein „Gemeinscha­ftsprojekt der Deutschen wird“. Eines, für das die Menschen auch bereit sind, Geld zu spenden.

Also eine Art Nationalsp­ende aller Deutschen, damit die „Landshut“und ihre bewegte Geschichte am Bodensee ausgestell­t werden können? So weit will Museumsdir­ektor David Dornier nicht gehen. Er ist erst einmal froh über die Entscheidu­ng des Außenminis­teriums. „Diese Attraktion wird viele Besucher in die Stadt Friedrichs­hafen und an den Bodensee locken.“Fest steht für ihn auch, dass die „Landshut“für die Öffentlich­keit zugänglich sein muss. Wie das gehen soll, wie genau aus dem Flugzeugwr­ack ein Museum werden kann, steht noch nicht fest. Erste Details will Dornier morgen präsentier­en. Einfach wird es nicht, so ein Konzept zu entwerfen, sagt Historiker Rupps: „Es muss die Würde, aber auch die Tragik, die mit diesem Flugzeug verbunden sind, abbilden. Zugleich wollen wir aber auch junge Leute erreichen, die die Ereignisse nur aus Geschichts­büchern kennen.“

Dornier und Rupps, die gemeinsam daran gearbeitet haben, die „Landshut“nach Friedrichs­hafen zu holen, stehen auch in engem Kontakt zu den damaligen CrewMitgli­edern, die das Geiseldram­a miterlebt haben. Wie Jürgen Vietor, heute 74, damals der Co-Pilot, der die Maschine nach Mogadischu steuern musste, nachdem die Terroriste­n

Manche sagen, es gebe kaum einen besseren Ort Wie soll aus einem Wrack ein Museum werden?

Flugkapitä­n Schumann getötet hatten. Oder Gabriele von Lutzau, heute 62, damals Stewardess in der Maschine. Von den Boulevardz­eitungen wurde die Frau mit den blonden Locken aufgrund ihrer Courage als „Engel von Mogadischu“gefeiert. Es gab Zeiten, da wollte von Lutzau nicht mehr über all das reden, was sich im Herbst 1977 an Bord der „Landshut“abgespielt hat. Sie wollte nicht mehr das Opfer sein, nicht mehr durch TVTalkshow­s tingeln, um ihre Geschichte zu erzählen.

Vor ein paar Monaten hat von Lutzau ihre Meinung geändert. Gemeinsam mit Vietor ist sie im Frühjahr nach Fortaleza geflogen. Sie hat das Flugzeug, in dem sie fünf Tage lang als Geisel festgehalt­en wurde, zum ersten Mal wieder betreten. Sie hat gemerkt, wie eng ihre Verbindung zu dieser Maschine ist. Von Lutzau will dabei sein, wenn es so weit ist, wenn die „Landshut“am Bodensee ankommt. Und sie möchte helfen, aus dem Flugzeugwr­ack einen Ort der Erinnerung zu machen. „Die Landshut ist das Symbol für die Nichterpre­ssbarkeit des Staates gegenüber dem Terrorismu­s. Sie ist ein Symbol dafür, sich dem Terrorismu­s nicht kampflos zu ergeben“, sagt sie. Und dass das in diesen Tagen wichtiger ist denn je.

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Foto: Imago/Agencia EFE Seit neun Jahren steht die „Landshut“auf dem Flugzeug Friedhof im brasiliani­schen Fortaleza. Nun kommt der Schicksals­flieger der Deutschen nach Hause.

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