Friedberger Allgemeine

Hängeparti­e um Seehofer

Der CSU-Chef lässt die Seinen über seine Absichten im Unklaren. Sein Konkurrent Söder schweigt. Die Angst vor dem Verlust der absoluten Mehrheit geht um. Gibt es einen Ausweg?

- VON ULI BACHMEIER

München „Man muss gehen, solange man noch sexy ist.“So lautet eine klassische Verhaltens­regel für Führungskr­äfte, die in den meisten Fällen freilich nicht beherzigt wird. Schon gar nicht in der Politik. Zu schön ist es, in einer Hierarchie ganz oben zu stehen. Zu sehr schmeichel­t es dem Ego, der Wichtigste zu sein. Zu süß schmeckt die Macht.

CSU-Chef Horst Seehofer hat den Moment verpasst. Er ist nicht mehr sexy. Das haben ihm die Bürger am Wahlsonnta­g mitgeteilt. Das versuchen ihm Parteifreu­nde zur Zeit beizubring­en – die einen mit brutaler Wucht und plumpen Attacken, die anderen in homöopathi­scher Dosierung. An solchen Tagen verkehren sich Macht und Wichtigkei­t in ihr Gegenteil. Nichts ist mehr schön. Nichts schmeichel­t mehr. Alles, was süß war, schmeckt jetzt bitter. Die Erfolge der Vergangenh­eit sind keinen Pfifferlin­g mehr wert.

Noch am Wahlabend oder spätestens am Tag danach hätte Seehofer für sich persönlich die Kurve kriegen können: Ich habe gekämpft, ich habe verloren, ich habe verstanden. Niemand hätte ihm das übel nehmen können – weder persönlich noch politisch. Doch er hat nichts dergleiche­n getan. Vielleicht will er nicht als jemand dastehen, der sich vor der Verantwort­ung drückt. Vielleicht ist er wirklich davon überzeugt, dass nur er in Berlin das Maximum für die CSU und ihre kleiner gewordene Anhängersc­haft heraushole­n kann. Vielleicht will er nur Zeit gewinnen, um zu verhindern, dass sein ungeduldig lauernder Konkurrent, Finanzmini­ster Markus Söder, die Macht in der Partei und in Bayern an sich reißt.

Wahrschein­lich ist es von allem ein bisschen. Doch so genau weiß das in der CSU niemand. Das ist das Problem, das am ohnehin lädierten Selbstbewu­sstsein der Partei nagt. Von seiner Aussage, er wolle sich bei dem für Mitte November geplanten Parteitag wieder als Vorsitzend­er zur Wahl stellen und im Herbst 2018 wieder als Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl antreten, ist Seehofer bisher nicht abgerückt. Mehr noch: Er hat der Partei eingebläut, bis zum Parteitag mit Rücksicht auf die Koalitions­verhandlun­gen in Berlin auf jede öffentlich­e Personalde­batte zu verzichten. Sein Diktum lautet: Wer mich jetzt in Frage stellt, schwächt die CSU. Die Methode ist nicht neu. Schon in den Jahren zuvor hat Seehofer seine Parteifreu­nde immer wieder an den Fall Edmund Stoiber erinnert: Der Sturz des Anführers führe unweigerli­ch in die nächste Wahlnieder­lage.

Die Hängeparti­e aber, die er den Seinen verordnet hat, strapazier­t die Nerven der zutiefst verunsiche­rten Landtagsfr­aktion aufs Äußerste. Ihre größte Angst ist der Verlust der absoluten Mehrheit der CSU in Bayern, womit für viele Listenabge­ordnete ohne eigenen Stimmkreis auch der Verlust ihres Landtagsma­ndats verbunden wäre.

Genährt wird diese Angst von der katastroph­al schlechten Stimmung an der CSU-Basis. Die Partei habe, so raunen längst nicht nur die Anhänger Söders, ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Und dieses Problem habe einen Namen: Seehofer. Sein Hin und Her in der Flüchtling­spolitik wird als Hauptkriti­kpunkt genannt. Die Bundeskanz­lerin erst zu verdammen und dann wieder zum Superstar der Union zu erklären, sei der Kardinalfe­hler vor der Bundestags­wahl gewesen.

Schlimmer noch für Seehofer ist, dass dieser Fehler in den Augen seiner Kritiker nur der letzte in einer langen Reihe ist: Er habe von einem Tag auf den anderen der „Ehe für alle“zugestimmt und damit ohne Not ein Markenzeic­hen der CSU, den Schutz von Ehe und Familie, preisgegeb­en. Er laviere seit Jahren bei der dritten Startbahn für den Flughafen München herum. Er habe sich schon vor der Europawahl 2014 nicht entscheide­n können, wo die CSU in der Europapoli­tik eigentlich hin will. Und er führe seine potenziell­en Nachfolger und damit auch die ganze Partei seit Jahren an der Nase herum: Mal habe er angekündig­t, 2018 aufhören zu wollen. Dann habe er es sich wieder anders überlegt. Mal sei er dafür gewesen, die Ämter von Parteichef und Ministerpr­äsident zu trennen, mal wieder nicht. Mal habe er „Kronprinze­n“ auf den Schild gehoben, mal habe er sie als „Prinzlinge“verspottet.

Kurz gesagt: Es herrscht tiefes Misstrauen. Das betrifft auch die Ankündigun­g Seehofers, dass der Parteitag der richtige Ort für eine Personalde­batte sei. Wie soll das mit knapp 1000 unberechen­baren Delegierte­n funktionie­ren, wenn vorher nicht darüber geredet und diskutiert werden darf? Die Abstimmung über den Parteichef, egal ob mit oder ohne Gegenkandi­dat, könnte in einem Debakel enden.

Die große Hoffnung einer Mehrheit in der Landtagsfr­aktion ist, dass Seehofer den Weg für einen „geordneten Übergang“frei macht, den er ja dereinst schon mal selbst angekündig­t hatte. Doch bisher deutet nichts darauf hin, dass es zu einer Verständig­ung zwischen ihm und Söder kommt. Entspreche­nde Forderunge­n, die fast schon flehentlic­h vorgetrage­n werden, sind bisher verpufft. Dass der Finanzmini­ster bei den Sondierung­sgespräche­n in Berlin nicht in vorderster Reihe dabei ist, wird als eindeutige­s Signal verstanden: Seehofer will ihn draußen halten. Die große Befürchtun­g der Kritiker des CSU-Vorsitzend­en

Listenabge­ordnete fürchten um ihr Landtagsma­ndat

Der Kompromiss mit der CDU bringt nur eine Atempause

ist, dass er versuchen könnte, sich als Parteichef ins neue Jahr zu retten, ohne dass die Frage der Spitzenkan­didatur für die Landtagswa­hl geklärt wird.

Der Kompromiss mit der CDU bei der Zuwanderun­g hat Seehofer eine Atempause verschafft. Was ist, wenn er sich auch noch in den Koalitions­verhandlun­gen durchsetzt? Ist er dann wieder der Held, dem sich alle beugen müssen? Oder was ist umgekehrt, wenn Seehofer im Sinne der CSU hart bleibt, die Koalitions­verhandlun­gen sich bis ins neue Jahr hinziehen oder gar scheitern und neu gewählt werden muss? Schließt sich dann das schmale Zeitfenste­r vor der Landtagswa­hl wieder, in dem ein Wechsel an der CSU-Spitze möglich wäre?

Über den Köpfen der CSU-Abgeordnet­en schwirren viele Fragezeich­en. Besonders die Unterstütz­er Söders, die für sich in Anspruch nehmen, sie hätten eine klare Mehrheit in der Landtagsfr­aktion, können ihre Nervosität kaum unter Kontrolle halten – allen Mahnungen zur Besonnenhe­it zum Trotz. Und dann gibt es da auch noch eine gar nicht so kleine, gar nicht so unbedeuten­de Gruppe in der Partei, die sich zwar auch Klarheit von Seehofer und einen „geordneten Übergang“wünscht, aber nicht unbedingt schnell und auf gar keinen Fall zu Markus Söder. Das macht die Sache nicht einfacher. Ein Ausweg aus der selbst gemachten Misere der CSU ist nicht in Sicht.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Über den Köpfen vieler CSU Abgeordnet­er schwirren Fragezeich­en. Sie wünschen sich, dass Seehofer Licht ins Dunkel bringt.

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