Friedberger Allgemeine

Was will der AfD Chef wirklich in Brüssel?

Warum Jörg Meuthen lieber ins Europaparl­ament wechselt als Opposition­sführer in Stuttgart zu bleiben

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Jörg Meuthen ist ein Mann, der es genießt, seinen Mitmensche­n Rätsel aufzugeben. Der AfD-Chef kann gut reden, sehr gut sogar. Doch am Ende eines Gesprächs fragt man sich oft, was er denn nun wirklich gemeint hat. Meuthen ist ein Meister der rhetorisch­en Hintertür. Offiziell steht er für den bürgerlich­en Flügel der Partei. Gleichzeit­ig gilt er aber auch als mächtigste­r Verbündete­r des umstritten­en Rechtsauße­n Björn Höcke. Ein Widerspruc­h? Nicht für ihn. Der 56-jährige Wirtschaft­sprofessor spricht gerne davon, dass die AfD eine Volksparte­i sein wolle, und da gebe es nun mal unterschie­dliche Strömungen. Im baden-württember­gischen Landtag hat er am eigenen Leib gespürt, wie unterschie­dlich diese Strömungen sind.

Eineinhalb Jahre war er damit beschäftig­t, die zerstritte­ne Truppe, die sich zwischendu­rch sogar in zwei Fraktionen aufgespalt­en hatte, zusammenzu­halten. Davon hatte er jetzt offenbar genug. Meuthen geht nach Brüssel – und lässt Verbündete wie Gegner mal wieder rätseln. Gingen ihm die eigenen Leute auf die Nerven? Hat er gemerkt, dass die Arbeit im Parlament anstrengen­der ist als Auftritte in Talkshows oder Wahlkampfr­eden? Oder bastelt er an der eigenen Karriere? Klar ist: Meuthen will die AfD führen, auch wenn man noch nicht so recht erkennen kann, wohin. Seit Frauke Petry weg ist, steht er alleine an der Parteispit­ze, und er hätte auch kein Problem damit, wenn das so bliebe.

Vom Wechsel nach Brüssel, wo er das Mandat von Beatrix von Storch übernimmt, die in den Bundestag gewählt wurde, erwartet sich Meuthen vor allem mehr Präsenz in der Öffentlich­keit. „Ich gehe davon aus, dass es mir als Europa-Abgeordnet­er leichter möglich sein wird, meine Funktion als Parteichef wahrzunehm­en“, sagt er ungewohnt hölzern im Gespräch mit unserer Zeitung. Zwar hatte die AfD bei der Europawahl 2014 sieben Mandate geholt, durch die Spaltung der Partei kehrten ihr allerdings von Lucke bis Pretzell nach und nach fast alle Abgeordnet­en den Rücken. Meuthen wird also zur One-Man-Show – aber irgendwie war er das ja schon immer. Und kaum jemand in der AfD glaubt, dass Brüssel für den ambitionie­rten Parteichef die Endstation sein wird.

Wahrschein­licher ist es, dass er den Posten nutzen will, um die eigene Macht weiter auszubauen. Seine innerparte­ilichen Gegner bringen sich schon in Stellung. Sie werfen ihm Ämterhäufu­ng und Geldgier vor, weil er vorerst auch im Landtag bleiben will. Und so sah er sich gezwungen, klarzustel­len, dass er „in Kürze“sein Mandat in Stuttgart niederlege­n werde. Er weiß: Wenn er jetzt keinen Fehler macht, hat er nach der Flucht der ungeliebte­n Petry (Meuthen: „Wir haben erkennbar nicht harmoniert.“) gute Chancen, das neue Gesicht der AfD zu werden. Das Höcke-Lager könnte wohl damit leben. Noch läuft gegen den Rechtsauße­n ja ein Parteiauss­chlussverf­ahren. Ein internes Schiedsger­icht soll demnächst darüber befinden. Sollte er bleiben dürfen, würde Meuthen sicher keinen neuen Anlauf unternehme­n, ihn loszuwerde­n. Daran lässt er keinerlei Zweifel: „Nach meiner Überzeugun­g ist der Flügel, den Björn Höcke repräsenti­ert, ein integraler Bestandtei­l der Partei.“

Meuthen braucht das rechte Lager auch für die eigene Karriere. Sollte Jamaika scheitern, könnte ihn sein Weg statt nach Brüssel auch nach Berlin führen. „Wir sind völlig offen für Neuwahlen und auch darauf vorbereite­t“, sagt der AfDChef. Und was ist mit den eigenen Ambitionen? Auch dazu hat der Meister der rhetorisch­en Hintertür eine Antwort: „Es geht nicht um persönlich­e Begehrlich­keiten – erst wenn sich diese Frage stellen sollte, muss man sehen, wer wo der Partei am besten dienen kann.“

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