Putin akzeptiert die Strafe
Der russische Staatspräsident will seinen Athleten den Weg zu Olympia nicht verbauen. Zustimmung für IOC-Chef Bach selbst aus dem Lager der Kritiker
Lausanne/Moskau Russland lenkt im Dopingskandal ein und akzeptiert offensichtlich die empfindlichen Strafen des Internationalen Olympischen Komitees. Präsident Wladimir Putin, der kurz zuvor in Nischni Nowgorod die Kandidatur für eine vierte Amtszeit ankündigte, akzeptiert, dass die Sportler bei den Winterspielen im südkoreanischen Pyengchang unter neutraler Flagge ohne russischen Hymne kämpfen.
Vor Wochen nannte der Kremlchef eine solche Strafe noch eine Demütigung. Das politische Moskau reagierte am Mittwoch zunächst wütend auf die Entscheidung der IOC-Führung um Präsident Thomas Bach, dass die startberechtigten Athleten am 9. Februar bei der Eröffnungsfeier nicht als russische Mannschaft einlaufen dürfen. Das hält das IOC für angemessen, stellte es wie schon der kanadische Sonderermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, Richard McLaren, fest: In Russland gab es ein mutmaßlich staatlich orchestriertes Dopingsystem vor und bei den Winterspielen in Sotschi 2014.
Vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne gingen Klagen von 22 russischen Wintersportlern ein, die vom IOC lebenslang für Olympia gesperrt sind. Auch das Nationale Olympische Komitee des Landes (ROC) könnte gegen seinen Ausschluss in Pyeongchang vor dem CAS klagen. Dass Russland die Strafe erträgt, hatte die ehemalige Weltklasse-Stabhochspringerin und Funktionärin Jelena Issinbajewa zuvor schon angedeutet: „Wenn man als Sportler aus Russland antreten kann, wie das IOC vorschlägt, wenn bei der Siegerehrung gesagt wird, dass ich aus Russland bin, dann würde ich teilnehmen.“Offiziell soll nun eine Versammlung der Olympioniken am 12. Dezember entscheiden.
Hält sich das Land an die IOCAuflagen, könnte bei der Abschlussfeier am 25. Februar in Südkorea wieder die russische Flagge wehen. Auf das IOC kommt nun eine Klagewelle aus Russland zu. Wie der CAS mitteilte, seien unter den Klägern gegen die lebenslangen Sperren und die Annullierung der Ergebnisse der Winterspiele 2014 in Sotschi die Alexander Subkow (Bob), Alexander Legkow (Langlauf) und Alexander Tretjakow (Skeleton). Das IOC hat bislang 25 russische Sotschi-Teilnehmer nachträglich gesperrt. Dabei wurden Russland auch elf Medaillen, darunter vier goldene, aberkannt. Für das IOC und seinen Präsidenten gab es für die Entscheidung vom Dienstag viel Lob aus der Politik sowie von Funktionären und Athleten, aber auch Kritik, die Maßnahmen seien nicht ausreichend. Selbst die an- sonsten Bach-kritische Nationale Anti-Doping-Agentur der USA begrüßte das Urteil als einen „bedeutenden Sieg“für saubere Athleten.
DOSB-Präsident Alfons Hörmann hält das IOC-Verdikt für „ausgewogen mit drastischen Strafen für alle Strippenzieher“aus Politik und Sport.„Aus meiner Sicht ist das IOC mit dieser Entscheidung in den Grenzbereich dessen vorgestoßen, was juristisch haltbar ist“, sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes. Es werde damit klar, dass Betrüger im Sport „unbenommen der Größe oder Positionierung des jeweiligen Landes“konsequent zur Verantwortung gezogen würden.
Der russische Kronzeuge im Dopingskandal, Grigori Rodschenkow, ist „stolz“auf die IOC-EntscheiOlympiasieger dung, wie sein Anwalt Jim Walden dem Onlinedienst sagte. Rodschenkow, der mit seinen Aussagen den Skandal ins Rollen gebracht hatte, war Anfang 2016 in die USA geflüchtet, weil er in seiner Heimat um sein Leben fürchtete. Er lebt nun unter dem Schutz des FBI an einem unbekannten Ort. Russland fordert seine Auslieferung.
Für Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist der Fall Russland ein „bitterer Befund“. Der CDU-Politiker sagte: „In Anbetracht dieses Ergebnisses ist die Entscheidung des IOC konsequent.“Franz Reindl, Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes und Mitglied im Weltverband IIHF, sagt: „Ich bin froh, dass es keine Kollektivbestrafung gegeben hat.“
„In Anbetracht dieses Ergeb nisses ist die Entscheidung des IOC konsequent.“Innenminister Thomas de Maizière
Der Aufschrei nach dem Urteil des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Russland ist groß, erwartungsgemäß groß. Das Land muss bei den Olympischen Spielen im Februar 2018 auf seine Flagge und seine Hymne verzichten. Als Zeichen der Schande für eine große Sportnation werden die nationalen Symbole verboten. Russische Sportler jedoch werden bei den Spielen in Südkorea unter strengen Auflagen starten dürfen. Das IOC unter der Führung von Putin-Versteher Thomas Bach hat einen Kompromiss gefunden, der eine Brücke zum Kreml-Chef baut.
Sportpolitisch mag die IOC-Entscheidung klug sein. Konsequent ist sie nicht. Denn was die Gastgeber der Winterspiele von Sotschi geboten haben, war ein unappetitlicher Cocktail aus Betrug, Heuchelei und kriminellen Machenschaften. Das Sportsystem eines Landes hat die Zuschauer in der ganzen Welt an der Nase herumgeführt. Punktgenau zum Treffen der Jugend der Welt zeigten sich Putins Athleten topfit. Die russische Mannschaft hüpfte locker von Rang elf der Medaillenwertung in Vancouver 2010 auf Platz eins in Sotschi.
Schließlich sollte sich die geschätzte 50-Milliarden-Dollar-Investition in das Sportspektakel für die Gastgeber rechnen. Dafür waren kriminelle Methoden recht und billig. Vor den Wettkämpfen erhielten die Athleten einen leistungssteigernden Cocktail aus Steroiden und Alkohol. Damit es nicht aufflog, tauschten anschließend Agenten im Doping-Kontroll-Labor von Sotschi die Urinproben der heimischen Starter aus. Hunderte Sportler haben gedopt oder von der Doping-Verschleierung durch den russischen Staat profitiert.
Die Konkurrenten mussten hilflos zusehen und ärgerten sich wie der Biathlet Erik Lesser: Die komplette Sportgemeinschaft sei beschissen worden. In Anbetracht des gigantischen Betrugs am Sport und am Zuschauer hätte das IOC Russland komplett von den Spielen ausschließen können. Doch mit einer Kollektivstrafe hätte es die – vermutlich wenigen – sauberen Sportler ebenfalls getroffen.
Das Bemühen des IOC ist erkennbar, den Bruch mit dem kranken Sportsystem von Wladimir Putin zu vermeiden. Die Mannschaft darf unter dem Kürzel OAR als Olympische Athleten aus Russland in Südkorea starten. Ein bisschen Russland darf es dann doch sein. Außerdem hofft das IOC auf eine Wunderheilung. Bereits zur Schlussfeier besteht die Möglichkeit, dass sich Russland als Nation in die Olympiade – so wird der Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen genannt – verabschiedet.
Mit der milden Sanktion verbiegt sich das IOC bis an den Rand seiner Glaubwürdigkeit, denn ein Staat hat die olympischen Werte mit Füßen getreten und darf doch irgendwie dabei sein.
Hart bestrafte das IOC dagegen den mutmaßlichen Drahtzieher des Staatsdopings. Witali Mutko, einst Sportminister und Vize-Premier von Wladimir Putin, erhielt ein lebenslanges Olympia-Verbot. Der Mann, dessen Ruf ruiniert ist, steht dem Organisationskomitee der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 vor. Auch dem weitaus wichtigeren Prestigeobjekt Putins droht nun mehr als nur ein Imageschaden.
Denn ein Report der unabhängigen Welt-Anti-Doping-Agentur Wada enthält Hinweise auf systematisches Doping auch im russischen Fußball. Was sich bei Olympia bewährt hat, könnte auch bei den Kickern funktionieren. Der Chef des Weltfußball-Verbandes, Gianni Infantino, gab sich bisher kumpelhaft mit Witali Mutko und nannte ihn einen großen Experten, von dem man noch viel lernen könne. Die Fifa lehnt Konsequenzen für Mutko ab. Da freut sich doch jeder Fan auf das Fußballfest in Russland.
Hinweise auf Doping im russischen Fußball