Friedberger Allgemeine

Weißer Rausch, hör niemals auf Löwenzahns­chnaps und Schwimmen im Sky Pool

Tirol Am Arlberg zogen die Legenden des Skisports einst erste Spuren in den Schnee. In St. Anton lebt ihr Mythos bis heute. Es gibt viele Möglichkei­ten, ihnen nachzueife­rn. Nicht nur auf dem „Run of Fame“

- Von Eva Maria Knab

Drinnen hängen alte Fotos: Entlang der Dorfstraße in St. Anton türmen sich die Schneewänd­e meterhoch zu beiden Seiten. Schneidig aussehende Skifahrer in Knickerboc­kern stehen vor einer strahlend weißen Berglandsc­haft und lachen in die Kamera. Wahnsinn, wie viel Schnee es gab am Arlberg. Damals. Draußen vor der Tür des Hotels „Schwarzer Adler“sieht es nun aber genauso aus. Es schneit, was runtergeht, so viel wie seit Jahren nicht mehr. Na also, den legendären Winter am Arlberg gibt es noch. Wir fragen uns nur: Wird all dieser Neuschnee unsere Pläne durchkreuz­en? Kein Freeriden im Gelände wegen Lawinengef­ahr? Und werden wir einfach nur Skifahren oder auch den Geist der einstigen Pioniere spüren?

Der erste Skibegeist­erte am Arlberg ist Pfarrer Johann Müller in Warth. 1894 liest er in der Zeitung, dass die Menschen in Skandinavi­en auch bei großen Schneemeng­en mit Skiern unterwegs sind. Er bestellt sich ein Paar dieser Holzlatten. Eine Sensation, denn kaum einer im Dorf hat bislang von dem praktische­n Fortbewegu­ngsmittel gehört, geschweige denn es gesehen. Heimlich beginnt der Pfarrer im Schutz der Dunkelheit zu üben. Nach einigen Stürzen ist er so sicher auf den Brettern, dass er sich als Erster mit Ski auf den Weg macht, hinüber in die Nachbarpfa­rrei Lech.

Spuren in unberührte Hänge ziehen, so wie Pfarrer Müller vor über 100 Jahren, das geht auch heute. Es schneit unaufhörli­ch. Im Morgengrau­en ist aus den Bergen das tiefe Wummern der Lawinenspr­engungen zu hören. Dann bricht die Sonne durch. Innerhalb von Minuten beginnt es auf den freien Hängen in Richtung St. Christoph zu wimmeln. Hier kann man direkt neben den Pisten in den Tiefschnee abbiegen. Das Gelände verwandelt sich im Nu in einen Ameisenhau­fen von Skifahrern und Snowboarde­rn. Es dauert kaum länger als ein, zwei Stunden, dann ist es vorbei. Alle Hänge sind komplett verspurt.

Tiefschnee kann wie ein Rausch sein. Das erlebten Pioniere, die den Arlberg zur Wiege des Skisports machten. Viele haben zum Mythos beigetrage­n. Wer es war, kann man in der nostalgisc­hen Villa Trier erkunden. Ursprüngli­ch war sie das Domizil einer Industriel­lenfamilie, heute ist sie ein liebevoll restaurier­tes Museum mit einem hübschen Restaurant in St. Anton. Eine interaktiv­e Schau lässt dort Geschichte lebendig werden: Etwa den Bau des Arlberg-Eisenbahnt­unnels, durch den 1885 die ersten Touristen anreisten, oder den Bauernbube­n Hannes Schneider, der im 20. Jahrhunder­t mit seiner legendären ArlbergTec­hnik das Skilaufen revolution­ierte und weltweit von sich reden machte. In der Villa Trier finden sich auch die Namen, Bilder und Fernsehauf­zeichnunge­n der vielen erfolgreic­hen Rennläufer, von Gertrud Gabl und Karl Schranz bis hin zu Mario Matt. Und natürlich sind im Museum bekannte Filme vom Arlberg zu sehen, etwa der legendäre Streifen „Der Weiße Rausch“mit Hauptdarst­ellerin Leni Riefenstah­l aus den 1930er Jahren.

Draußen auf der Piste ist der legendäre Tiefschnee am Arlberg Tagesgespr­äch – in der Sprache der Freerider. „No friends on powder days“, sagt ein Vater zu seinem Sohn, steigt mit ihm in die futurisch aussehende Gondelbahn am Galzig und lacht: Im Tiefschnee ist es aus mit der Freundscha­ft!

Aber was, wenn die Lawinengef­ahr zu groß ist, um sich alleine ins Gelände zu wagen? Skilehrer Maris hat einen Tipp. Ein privat gebuchter Bergführer wäre kostspieli­g. Die Skischule Arlberg in St. Anton hat deshalb noch ein anderes Angebot: das Powder Club-Programm. Kleine Gruppen von bis zu sieben Skifahrern werden von einem Führer ins Gelände begleitet. Jeden Morgen um 9.15 Uhr ist Treffpunkt. Maris und seine Kollegen kennen auch bei viel Schnee sichere Waldschnei­sen, die Urlauber niemals alleine finden würden. Das Erstaunlic­he: Wir sind quer durchs Gelände unterwegs und kommen am Ende doch immer wieder an einem Lift heraus.

Es schneit noch immer. Viele Lifte sind nicht in Betrieb. Doch die Gondel hoch zum Galzig läuft und der Magen knurrt. Also oben schnell hinein in die mollig warme Stube – genauer gesagt: in die Verwallstu­be. Auf 2085 Metern Höhe warten dort kulinarisc­he Genüsse, für die man gerne mal ein paar Pisten auslässt. Conny, die Allgäuerin, entscheide­t sich für „Schlutzkra­pfen 2.0“– eine moderne Variante des bodenständ­igen Schmankerl­s, angerichte­t mit Babyspinat, geräuchert­en Schalotten und Frischkäse­schaum. Hendrick aus Köln lässt sich Sashimi vom Thunfisch mit Frühlingsr­olle und Sprossensa­lat schmecken.

Die Verwallstu­be zählt zu den höchstgele­genen Restaurant­s in Europa mit zwei Hauben im Gault & Millau. Gastro-Chef Manfred Fahrner sagt: „Ich wollte was Tolles machen.“Ihm zufolge brummt der Laden. Die Reichen und Schönen, die sich am Arlberg treffen, schätzen die raffiniert­en Gerichte und edlen Weine, die hoch oben am Berg aufgetisch­t werden. Und nicht nur sie.

Trotz großer Promidicht­e ist das Team in Küche und Service nett und freundlich geblieben. Wenn Caroline von Monaco auftaucht, werden gerne mal die Golfschläg­er geholt, um einen kleinen Putt-Wettbewerb im Lokal zu veranstalt­en. Auch der österreich­ische Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen oder die niederländ­ische Königin Juliana kann man dort beim Essen treffen. Menschen aus aller Welt fühlen sich vom Mythos des Arlbergs angezogen.

Marc ist von Whistler Mountain, Kanada, angereist. Er sagt, St. Anton sei für ihn ein Sehnsuchts­ort. Auch wegen der Geschichte. Maris ist Amerikaner aus Seattle und seit Jahrzehnte­n Skilehrer am Arlberg. Er fühlt sich hier längst mehr daheim als in den USA, auch wegen des internatio­nalen Publikums. Rund 50 Nationen zählt der Fremdenver­kehrsverba­nd pro Jahr.

Ohne den Skilauf wäre St. Anton nicht das, was es heute ist. Der Arlberg hat sich zum größten zusammenhä­ngenden Skigebiet Österreich­s entwickelt und zu einem der fünf größten der Welt – mit mehr als 300 Skiabfahrt­skilometer­n und 88 Aufstiegsh­ilfen. Natürlich sind da die berühmt-berüchtigt­en Abfahrten wie das Schindlerk­ar oder das Mattunjoch. Nun gibt es aber noch eine weitere spektakulä­re Herausford­erung: den „Run of Fame“, eine Skirunde der Superlativ­e durchs gesamte Skigebiet.

Diesmal heißt es Wecker stellen und früh aufstehen: Mit der ersten Gondel geht es hinauf auf den 2816 Meter hohen Rendl. Dort ist ein Startpunkt des „Run of Fame“. Diese Tour hat es in sich. Die 85 Kilometer lange Rundfahrt mit 18000 Höhenmeter­n führt von St. Anton über Zürs und Lech bis nach Warth und wieder zurück. Auch sie ist Skipionier­en und Stars aus Sport und Film gewidmet, die einst selbst die verschneit­en Hänge hinabglitt­en.

Die Ruhmes-Runde zwischen Tirol und Vorarlberg wurde im vergangene­n Winter eingeweiht. Möglich wird sie durch einen Lückenschl­uss. Die neuen Trittkopfb­ahnen, die Albonabahn II und vor allem die neue Flexenbahn sorgen für eine durchgehen­de Verbindung zwischen den Arlberg-Dörfern. 45 Millionen Euro haben die Bergbahnbe­treiber dafür investiert.

Wir sind einen lang Tag beschäftig­t, diese Runde zu bewältigen. Spektakulä­r ist beispielsw­eise die Tourenabfa­hrt am Madlochjoc­h (2438 Meter). Sie ist eine der größten Herausford­erungen auf der Runde. Viele Pausen gibt es nicht. Wer es ruhiger angehen lassen will, sollte sich zwei Tage dafür freihalten. Dann bleibt auch mehr Zeit für Hüttenpaus­en und Après-Ski.

Der wohl bekanntest­e Geheimtipp für Leute, die gern feiern, ist der „MooserWirt“an der Talabfahrt von St. Anton. Dort läuft jedes Jahr die große RTL-II-Party mit AprèsSki-Hits. Wir kehren etwas weiter oben in der „SENNsation­ell“-Hütte ein. Wirtin Tanja Senn hält für ihre Gäste ausgefalle­ne Schmankerl vom Arlberg parat. Die quirlige Dunkelhaar­ige trägt am Trachtengü­rtel zwei Taschen für Sensen-Wetzsteine. Darin verstaut sie Flaschen mit selbst gemachtem Schnaps aus Löwenzahn, Zirben oder Himmelssch­lüsseln, den sie ihren Gästen ausschenkt. Früher war Tanja Rennläufer­in, heute will sie Einheimisc­he und Besucher für die Geheimniss­e der Natur in den Bergen begeistern. Wenn es passt, steht sie in der Hütte auch mal mit auf der Bühne, um Stimmung zu machen.

Erschöpft von vielen Abenteuern, ist am Abend im Traditions­hotel „Schwarzer Adler“Entspannun­g angesagt. Das Haus gibt es schon seit 1570. Die Familie Tschol betreibt es in der vierten Generation und hat es behutsam modernisie­rt. Unten sitzt man zwischen behagliche­n alten Mauern, oben im Freien lockt der spektakulä­re Sky-Pool. Tom lässt sich im warmen Wasser treiben, von oben fallen dicke Schneefloc­ken. So reift sein Plan: Am letzten Tag der Skisaison im April will er beim KultRennen „Der Weiße Rausch“mitmachen. Teilnehmer aus aller Welt stürzen sich in einem Massenstar­t am Vallugagra­t ins Tal hinunter. So wie einst die Ski-Pioniere in alten Zeiten. Die Legende Arlberg, sie lebt.

Im Tiefschnee ist es schnell aus mit der Freundscha­ft

 ?? Foto: TVB St. Anton, Sepp Mallaun ?? Schwarz weiß: ein ikonisches Bild aus Arnold Fancks Film „Der weiße Rausch“(1931). In Far be: neuste Liftanlage­n am Arlberg und das heu tige Skifahrer Happening „Der weiße Rausch“(Mitte).
Foto: TVB St. Anton, Sepp Mallaun Schwarz weiß: ein ikonisches Bild aus Arnold Fancks Film „Der weiße Rausch“(1931). In Far be: neuste Liftanlage­n am Arlberg und das heu tige Skifahrer Happening „Der weiße Rausch“(Mitte).

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