Friedberger Allgemeine

Was das NSU-Urteil uns für die aktuelle Asyldebatt­e lehren kann

Der Mega-Prozess hat viele Missstände aufgezeigt. Einen Schlussstr­ich kann es jetzt nicht geben. Denn es geht um viel mehr als Beate Zschäpe und ihre braunen Helfer

- VON HOLGER SABINSKY WOLF hogs@augsburger allgemeine.de

Ganz ohne Zweifel ist die Höchststra­fe gegen Beate Zschäpe korrekt. Man muss nicht den Finger am Abzug einer Waffe haben, um zur zehnfachen Mörderin zu werden. Zschäpe ist irgendwann zur eiskalten Nazi-Braut geworden. Als gewalttäti­ge Rassistin ging sie mit ihren beiden Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in den Untergrund, verwaltete die Finanzen des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s, gab dem rechtsextr­emen Terrortrio eine bürgerlich­e Fassade. Und schließlic­h war sie es, die die konspirati­ve Wohnung anzündete und die berüchtigt­en Paulchen-Panther-Bekennervi­deos verteilte. Es ist doch lächerlich zu glauben, dass diese Frau nichts von den Morden gewusst haben soll.

Mehr als fünf Jahre lang wurde ein teures Strafverfa­hren geführt. Es war zeitweise unerträgli­ch, wie die Neonazis und ihre Verteidige­r den Prozesstak­t vorgaben und rechtsextr­eme Zeugen das Gericht und die Angehörige­n der Opfer durch ihr Schweigen verhöhnten. Aber die Qual war notwendig. Was sollte denn die Alternativ­e in einem Rechtsstaa­t wie dem unseren sein? Die Schuld der Angeklagte­n ist nun geklärt. Der Makel des Prozesses bleibt, dass das braune Netzwerk nicht noch tiefer durchleuch­tet worden ist. Ein Schlussstr­ich kann das Urteil nicht sein. Denn es geht um viel mehr als Beate Zschäpe und ihre braunen Freunde.

Es geht um drei zentrale Fragen, deren Beantwortu­ng uns alle beschäftig­en sollte. Sie betreffen die Vergangenh­eit, die Zukunft und die Gegenwart. 1. Warum konnten die Ermittlung­sbehörden die NSUMordser­ie nicht früher stoppen? Beschämend­e Antwort: Es gab ein totales staatliche­s Organversa­gen. Ein Chaos von Behörden, die sich misstraute­n. Die Ermittler glaubten viel zu lange an eine türkische Mafia – Stichwort „Döner-Morde“. Der Verfassung­sschutz versagte nicht nur, er behinderte Ermittlung­en.

2. Könnte es wieder eine rechtsextr­eme Mordserie in Deutschlan­d geben? Beschämend­e Antwort: Vermutlich ja. Zwar würden die Ermittler wohl früher ein rassistisc­hes Motiv in Betracht ziehen. Doch die Strukturen in den Sicherheit­sbehörden sind unveränder­t. Es braucht dringend eine grundlegen­de Reform des Staats- und Verfassung­sschutzes. Die Politik darf es nicht nur bei der Aufdeckung von Missstände­n mittels etlicher Untersuchu­ngsausschü­sse belassen, sondern muss diese Missstände abstellen.

3. Tut jeder Einzelne heute genug gegen rechtes Gedankengu­t? Beschämend­e Antwort: Nein. Der Fokus auf die NSU-Morde und das Behördenve­rsagen lenkt ab von einem massiven aktuellen Problem. Rechtes, rassistisc­hes Denken und Reden wird schleichen­d wieder salonfähig. Es gibt erschrecke­nde Parallelen. Die NSU-Mörder Böhnhardt und Mundlos sollen durch die ausländerf­eindlichen Pogrome Anfang der 90er Jahre in ihrer Radikalisi­erung bestärkt worden sein. Damals brannten Asylheime, es gab Tote. Seit dem Beginn des Flüchtling­szustroms gibt es wieder Attacken auf Flüchtling­sunterkünf­te und deren Bewohner. Im Gegensatz zu damals bleibt der große gesellscha­ftliche Aufschrei aber aus. Die Stimmung im Land scheint latent fremdenfei­ndlich zu werden. Böhnhardt und Mundlos hätte es wohl gefallen in diesem Deutschlan­d.

Einen großen Teil der Verantwort­ung an der aufgeheizt­en Atmosphäre tragen Politiker, die die Ängste und Ressentime­nts der Menschen weiter schüren, anstatt die Migration sachorient­iert zu steuern. Und die kommen mitnichten nur von der AfD. Wer derlei geistige Brandstift­erei betreibt, sollte sich anhand der Neonazi-Mordserie klarmachen, wohin das führen kann.

Es wäre der größte Erfolg des NSU-Prozesses, wenn er eine erzieheris­che Wirkung auf die hysterisch­e Asyldebatt­e entfalten könnte.

Rechtes Denken und Reden wird wieder salonfähig

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