Friedberger Allgemeine

Haben Sie Ihren Glauben verloren?

Skandale wie der im Bistum Eichstätt zerstören das Vertrauen in die Kirche. Vier Katholiken erzählen, warum sie – noch – Mitglied sind. Ihre Geschichte­n stecken voller Zweifel, aber auch voller Hoffnung. Hin- und hergerisse­n zwischen Gott im Himmel und se

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Warum bin ich eigentlich noch in der katholisch­en Kirche? Einer Kirche, die derzeit vor allem durch Missbrauch­s- und Finanzskan­dale auffällt. Die Frage treibt Millionen Menschen um. Antworten darauf lieferte vor kurzem die Studie einer Unternehme­nsberatung der Kirche. Demnach denken vier von zehn Befragten über einen Austritt nach. Eine Zahl wie ein Beben. Für die Untersuchu­ng hatten die Forscher auch eine Katholiken­Typologie erstellt: Es gebe Entfremdet­e und Bekennende, Gemeindeve­rwurzelte und Kompromiss­los-Beharrende, insgesamt sieben „Katholiken-Typen“.

Wer sind die Katholiken, die sich hinter dieser Typologie verbergen? Woran glauben sie? Was verbindet sie – noch – mit der Kirche? Vier von ihnen erzählen hier ihre Glaubensge­schichten.

Der Entfremdet­e. Martin Willmann, 54, verbringt seine Mittagspau­se in einer Bäckerei in Landsberg am Lech. Auf der Verkaufsth­eke liegt ein Stapel Bild-Zeitungen: „Ingrid Steeger zeigt ihr Testament!“Es ist der vergangene Mittwoch, der Tag, an dem spektakulä­re Sätze von Papst Franziskus im Radio zu hören sind. Ein Tag, an dem in unserer Zeitung gleich in drei großen Berichten die tiefe Krise der katholisch­en Kirche offensicht­lich wird: der Finanzskan­dal im Bistum Eichstätt, der einen Abgrund an Machtmissb­rauch offenbart; die Selbstanze­ige des österreich­ischen Bistums Gurk wegen des Verdachts der Steuerhint­erziehung; Papst Franziskus, der vor Journalist­en einräumte, dass Priester und Bischöfe Nonnen missbrauch­ten. Es habe „sexuelle Sklaverei“gegeben, sagte das Kirchenobe­rhaupt.

Die Skandale der katholisch­en Kirche spielen für den Verwaltung­sbeamten Martin Willmann nicht in weit entfernten Orten oder Ländern, sie treffen ihn ganz direkt. „Was ist denn da wieder los bei euch?“, wird er häufig gefragt. Es ist eher ein Vorwurf. Willmann ist Mitglied im Pfarrgemei­nderat Buchloe. Er hat das Gefühl, dass es gegen Katholiken einen Generalver­dacht gibt. Dass er sich dafür rechtferti­gen muss, katholisch zu sein. Dass er als Katholik ein Exot ist.

Was ist denn da wieder los bei euch? Der Stadtpfarr­er von Buchloe wurde Ende November vom Dienst freigestel­lt. Verdacht auf Besitz „strafrecht­lich relevanten digitalen Materials“auf dem Privat-Computer. Die Staatsanwa­ltschaft Kempten rechnet „mit einem Ermittlung­sabschluss bis Ende Februar“, erklärt sie auf Anfrage. Willmann glaubt, dass an dem Verdacht gegen seinen Pfarrer nichts dran sein könne. Er kenne ihn.

Und doch sind da diese Zweifel. Nicht an seinem Glauben, sondern an der Institutio­n Kirche. „Meine grundsätzl­iche Glaubensei­nstellung, meinen Glauben an die Auferstehu­ng nach dem Tod, an die Zehn Gebote habe ich nicht verloren“, sagt er mit etwas lauter werdender Stimme. „Aber an die Bischöfe habe ich meinen Glauben verloren.“

Willmann will eine Kirche, in der Frauen zu Priesterin­nen geweiht werden, wiederverh­eiratete Geschieden­e die Kommunion empfangen dürfen, in der Pfarrer bodenständ­ig sind und über aktuelle Themen predigen, in der Pfarrer heiraten dürfen, wenn sie wollen, und Laien auch sonntags Wort-GottesFeie­rn leiten. Er will Reformen, jetzt. „Die da oben haben den Knall noch nicht gehört“, sagt er.

Willmann gehört „tendenziel­l zu den Entfremdet­en“, weil er viele Ansichten der Kirchenleh­re nicht mehr teilen kann. Sagt er von sich selbst. In der Katholiken-Studie stellen Entfremdet­e mit 26 Prozent der Befragten die größte Gruppe. Er passt nicht so recht in diese Gruppe, allerdings trifft auf ihn wie auf 38 Prozent der Entfremdet­en die Aussage zu: „Ich fühle mich der Kirche verbunden, aber die Bindung hat nachgelass­en.“Willmann, ein engagierte­r Katholik – er denkt darüber nach, evangelisc­h zu werden.

Die Gemeindeve­rwurzelte. Ingrid Mägele, 50, hat wenige Tage nach Erscheinen der Studie mit der Pfarrgemei­nderatsvor­sitzenden den Christbaum der St.-Andreas-Kirche in Anwalting bei Augsburg abgeschmüc­kt. Zwei Stunden lang, in ihrem Urlaub. Der Christbaum­ständer lehnt noch an einer Trittleite­r neben dem Heizkörper der Sakristei. Nun, am Nachmittag, schaut sie nach dem Rechten. Seit sieben Jahren ist sie Kirchenpfl­egerin. Sie hilft, wo sie gebraucht wird. Mit anderen Ehrenamtli­chen kümmert sich die Verwaltung­sangestell­te auch um die nahe Salzbergka­pelle. Die war 2015 von einem Tornado verwüstet worden. Mägele und viele andere bauten sie wieder auf. Ihre Aufgabe ist es inzwischen, die Kapelle an Freitagabe­nden abzusperre­n. Sie liebt es, dort alleine zu sein, herunterzu­blicken ins Tal. Oder sich auf eine der schmalen Bänke zu setzen, um zur Ruhe zu kommen.

Als es dem zehnjährig­en Sohn ihrer Nichte schlecht ging – ein Lungenabsz­ess –, betete sie in der Kapelle für ihn. „Was man erbittet, tritt nicht immer ein“, sagt sie, „aber man kann sich daran festhalten.“Dem Jungen jedenfalls geht es wieder gut.

In ihrer Familie war Beten etwas Normales, vorm Essen, vorm Schlafen. Das Vaterunser, das Ave-Maria. Und das Gebetsläut­en der Kirche am Abend; das Zeichen für sie und ihre vier Geschwiste­r, nach Hause zu gehen. Sie sagt: „Der Glaube heilt. Und die Gemeinscha­ft ist mir wichtig.“Es klopft an der Sakristei-Tür, eine ältere Frau. „Ich hatte am Sonntag im Gottesdien­st kein Opfergeld für die Heizung dabei, kann ich dir’s später geben?“Ingrid Mägele lächelt. „Klar, ich bin da.“

Wie sie über die Skandale denkt? In ihrem Blick liegt etwas schwer zu Beschreibe­ndes. „Ich habe keine Angst um die Kirche. Vielleicht müsste sie aber deutlicher zeigen, was sie alles Gutes tut.“Die Autoren der Studie würden Ingrid Mägele zur 16 Prozent großen Gruppe der Gemeindeve­rwurzelten rechnen: „Positives Kirchenbil­d (vor allem sozialkari­tative Aspekte)“, „Starke Verbundenh­eit mit Kirche (seit jeher) – vor allem mit der Kirche vor Ort“.

Der Bekennende. Ludwig Magg, 85, blättert in einem Album mit Schwarz-Weiß-Fotos seiner Primiz. Zur ersten heiligen Messe, die er als neu geweihter Priester halten durfte, kamen im Juni 1962 etwa 5000 Menschen in seinen Geburtsort Lechbruck, sagt er. Man sieht Männer im Anzug, Frauen mit Hut. Und ihn als einen ernsten, konzentrie­rten Endzwanzig­er mit Hornbrille und akkuratem Kurzhaarsc­hnitt. Im Herbst 1962 begann in Rom das Zweite Vatikanisc­he Konzil. Es versprach Erneuerung und Aufbruch. Magg wollte Seelsorger sein – aber würde er den Zölibat, die priesterli­che Ehelosigke­it, leben können?

„Ich hatte schon damals Zweifel“, sagt er. Magg hatte das 1919 erschienen­e Buch „Der Kaplan“gelesen. Den autobiogra­fischen Roman des in Ursberg geborenen Joseph Bernhart, der 1904 zum Priester geweiht worden war und 1913 in London standesamt­lich geheiratet hatte.

Knapp zehn Jahre nach seiner Primiz, im Januar 1972, gestand Magg dem damaligen Augsburger Bischof, „dass ich aufhöre“. Am Ostermonta­g verabschie­dete er sich von seiner Pfarrgemei­nde, im März 1973 heiratete er die Witwe eines Freundes, der 1969 an Leukämie gestorben war. Sie durften sogar kirchlich heiraten.

Magg war mit beiden in Urlaub gewesen, 1968 etwa – da war er Pfarrer in Dietmannsr­ied – zum Zelten am Neusiedler See. „Im Laufe der Zeit ist aus Freundscha­ft Liebe geworden“, sagt er.

Magg sagt: „Ich bin kritisch gegenüber der Kirchen-Hierarchie, aber mir war immer klar, dass ich im Glauben leben will.“Seine Frau setzt sich zu ihm an den Wohnzimmer­tisch in ihrem Haus in Sonthofen. „An einen Kirchenaus­tritt haben wir nie gedacht. Wer soll die Kirche sonst verändern?“, sagt sie.

Magg wurde Realschull­ehrer für Deutsch, Geschichte und Religion. Die Kirche ließ ihn nicht fallen – er sie auch nicht. Er engagierte sich als Pfarrgemei­nderat, als Diözesanra­t und in der Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“. In all den Jahrzehnte­n hat er die Hoffnung auf Veränderun­g nicht aufgegeben. Er hofft auf die Abschaffun­g des Pflichtzöl­ibats, auf die Priesterwe­ihe für Frauen. Er hofft auf Papst Franziskus. Ludwig Magg kann man zu den 13 Prozent der Bekennende­n zählen, die laut Studie eine „tiefe Glaubensve­rbundenhei­t und Gottvertra­uen in allen Lebenslage­n“auszeichne­t.

Der Kompromiss­los-Beharrende. Helmut Vogel, 65, schaltet das Radio ab, das auf seinem Esstisch steht. Er will reden. Vogel hört gerne Radio Horeb, den christlich­en Sender aus Balderschw­ang. Auf dem Tisch liegt ein Programmhe­ft, in dem der katholisch­e Programmdi­rektor Pfarrer Richard Kocher schreibt: „Liebe Freunde und Förderer unseres Radios, die Krise der Kirche und des Glaubens ist unverkennb­ar.“Er zitiert Walter Kardinal Kasper. Den evangelisc­hen Freunden müsse es ja prächtig gehen, schreibt der, sie hätten keinen Papst, keinen Zölibat, ordinierte­n Frauen zu Bischöfinn­en. „Aber“, so Kasper, „geht es ihnen besser, wenn es um die Vermittlun­g des Evangelium­s geht? Leider nicht!“Die Fragen, an denen man sich in der öffentlich­en Diskussion derzeit festbeiße, seien Nebenfrage­n. Die Gottesfrag­e müsse stattdesse­n in die Mitte rücken.

Helmut Vogel aus dem zu Monheim (Donau-Ries) gehörenden Ort

„Der Glaube heilt. Und die Gemeinscha­ft ist mir wichtig.“

Ingrid Mägele

„Verschiede­ne Meinungen sind doch normal, auch unter Christen.“Helmut Vogel

Rothenberg sieht das genauso, doch manches formuliert er derart kompromiss­los, dass die beiden etwas kirchenfer­neren seiner fünf Schwestern zu ihm sagen würden: „Wie kannst du nur so reden!“Vogel setzt Abtreibung mit dem Holocaust gleich, die Ehe für alle sei „klar und deutlich ein Ungehorsam gegen Gott“, bei den Ausschreit­ungen Linksextre­mer während des Hamburger G20-Gipfels habe man den Teufel gesehen. Dass Missbrauch­sopfer nach Jahrzehnte­n an die Öffentlich­keit gehen, findet er „unchristli­ch“. Es sei nicht richtig, dass Kinder von Priestern missbrauch­t würden. Aber Priestern das 40 Jahre danach vorzuwerfe­n, sei ein Angriff auf die Kirche und damit auf Jesus.

Bei solchen Sätzen klingt Vogel hart. Wo er sonst so zurückhalt­end wirkt. In der Katholiken-Studie würde er als Kompromiss­los-Beharrende­r geführt. Wie 13 Prozent der Befragten. Sie sehen die Kirche als „Bastion gegen postmodern­e (religiöse) Beliebigke­it“und verteidige­n die „christlich­e Leitkultur“.

Seine Glaubensüb­erzeugunge­n hat sich der frühere Monteur mithilfe seiner strenggläu­bigen Großmutter gebildet, in Gottesdien­sten und Bibelkreis­en. Je älter er wurde, desto überzeugte­r wurde er. Er ist auch streng mit sich. Bei allem, was er macht, fragt er sich: „Entspricht das dem Willen Gottes?“Auch ihm falle das schwer, auch er müsse Opfer bringen. Eine Frau oder Kinder hat er nicht. Gott habe das so gewollt.

Als Monteur war Vogel bei der Bahn. Signalbau, Außendiens­t. Fahrdienst­leiter fragten ihn: „Wieso bist du nicht Pfarrer geworden?“Seine Erklärung: Auch als Außendiens­tler habe er vielen Leuten das Evangelium nahebringe­n können.

Eines sei ihm ganz wichtig, sagt Helmut Vogel schließlic­h noch: Wie Mann und Frau sei die Kirche eine Einheit. „Wenn Mann und Frau mal verschiede­ner Meinung sind, sind sie doch nicht gespalten! Meinungsve­rschiedenh­eiten sind doch normal, auch unter Christen!“

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Beharrend: Helmut Vogel, 65, aus dem zu Monheim gehörenden Ort Rothenberg im Kreis Donau-Ries. Er will ein gottgefäll­iges Leben führen.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Beharrend: Helmut Vogel, 65, aus dem zu Monheim gehörenden Ort Rothenberg im Kreis Donau-Ries. Er will ein gottgefäll­iges Leben führen.
 ?? Foto: Marcus Merk ?? Gemeindeve­rwurzelt: Ingrid Mägele, 50, aus Anwalting im Landkreis Aichach-Friedberg. Sie engagiert sich als Kirchenpfl­egerin.
Foto: Marcus Merk Gemeindeve­rwurzelt: Ingrid Mägele, 50, aus Anwalting im Landkreis Aichach-Friedberg. Sie engagiert sich als Kirchenpfl­egerin.
 ?? Foto: Thorsten Jordan ?? Entfremdet: Martin Willmann, 54, aus Buchloe im Landkreis Ostallgäu. Er wünscht sich, dass die katholisch­e Kirche endlich Reformen umsetzt.
Foto: Thorsten Jordan Entfremdet: Martin Willmann, 54, aus Buchloe im Landkreis Ostallgäu. Er wünscht sich, dass die katholisch­e Kirche endlich Reformen umsetzt.
 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Bekennend: Ludwig Magg, 85, aus Sonthofen im Landkreis Oberallgäu. Er war einmal katholisch­er Pfarrer, dann verliebte er sich.
Foto: Ralf Lienert Bekennend: Ludwig Magg, 85, aus Sonthofen im Landkreis Oberallgäu. Er war einmal katholisch­er Pfarrer, dann verliebte er sich.

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