Alles wie immer
Der Worndorfer Pascal Wehrlein will seine dritte DTM-Saison in Hockenheim mit dem Titel krönen
HOCKENHEIM - 37 Punkte Rückstand wettmachen, binnen zwei Rennen, bei 50 maximal zu holenden Zählern – es gibt leichtere Aufgaben in einer DTM-Saison, die bislang zwölf Sieger in 16 Läufen erlebt hat, in der der Wechsel beständiger war als alles andere. Als fast alles andere: Pascal Wehrlein hat seinen Mercedes-AMG C 63 DTM 14-mal so chauffiert, dass sein Haben-Konto wuchs. Die 165 Punkte, mit denen der 20-Jährige aus Worndorf im Landkreis Tuttlingen heute (13.30 Uhr/ARD) auf dem Hockenheimring ins Sprintrennen geht, sind Auftritten geschuldet, die nicht durchweg überlegen, gewiss aber stets überlegt waren: keine kopflosen Aktionen, Risiken abwägen, wissen, dass weniger manchmal mehr sein kann. Macht in Platzierungen: 2. - 8. - 5. - 13. - 1. - 5. - 10. - 6. - 2. - 21. - 1. - 10. - 5. - 5. - 3. - 5. Macht am Finalwochenende (der längere Lauf am Sonntag wird um 15.15 Uhr gestartet/ARD) zwei „Matchbälle“(so Wehrlein) für Pascal Wehrlein. Und macht nervös. Manchen Verfolger.
Zwei von ihnen – Edoardo Mortara (Audi; 128 Punkte) und Bruno Spengler (BMW; 119) – flankierten den nach wie vor jüngsten Tourenwagen-Lenker der Serie am Freitag bei der obligatorischen Auftaktpressekonferenz im Badischen. Händeschütteln vorab, Blitzlichtsalven. Dann DTM-politisch korrekte Absichtserklärungen der Jäger. Tenor: Allzu groß ist die Titelchance nicht mehr. Tenor auch: Dennoch alles versuchen! Im Motorsport kann viel passieren!
Nadelstiche? Mattias Ekströms Part im Herbst 2015! Der Branchenälteste (Audi; 127 Punkte) fand unter der Woche merklich Gefallen daran, in diversen Interviews Spitzen gegen den Gesamtführenden zu streuen. Am Nürburgring vor drei Wochen hatte Pascal Wehrlein Plätze gutgemacht, weil die Mercedes-Teamkollegen Daniel Juncadella und Maximi- lian Götz ihn jeweils so nahe herankommen ließen, dass er mittels Klappflügel-Einsatz („DRS“) überholen konnte. Position sieben wurde zu Position fünf. Den vorausgegangenen Funkspruch „Ich brauche ,DRS’“an den Mercedes-Kommandostand deutete Mattias Ekström via „Bild“jetzt so: „Pascal hört sich da manchmal an wie ein Kleinkind, das seine Süßigkeiten nicht bekommt. Wir lachen im Fahrerkreis darüber.“
Pascal Wehrleins Humor ist anders. Indirekt konterte er die Ekström-Attacke vor Hockenheim
Audi Sport Team Abt
Bilanz 2015: Gesamtzweiter mit 128 Punkten, einem Sieg, einer Pole, einer schnellsten Runde; neunmal in den Punkten (= unter den ersten zehn)
Italiener, geboren in Genf, lebt in Genf
Fährt DTM seit 2011; bisher 54 Starts, 3 Siege
Sein Satz zum Saisonfinale: „Wenn du noch eine Chance hast, musst du kämpfen.“
Und sonst: Wohl der „internationalste“der 24 Starter: Wurde in der Schweiz geboren – als Sohn einer französischen Mutter und eines italienischen Vaters. Im Sommer 2014 heiratete er seine spanische Lebensgefährtin Montserrat Retamal. Und: In Genf betreibt er mit Freunden ein japanisches SushiRestaurant.
Und sonst II: abgeschlossenes Studium in Business Administration mit launiger Zahlenkunde: „Ich glaube nicht, dass ich von meinen Teamkollegen 37 Punkte geschenkt bekommen habe.“Vier gibt es mehr, wenn ein Siebter Fünfter wird. Acht allerdings hat Pascal Wehrlein verloren, als Timo Scheider ihn in Spielberg von der Strecke bugsierte. Als Sechsten – letzte Runde, in fataler zeitlicher Nähe zu einem markigen „Timo, schieb ihn raus!“von AudiMotorsportchef Wolfgang Ullrich. Da erübrigt sich eine KleinkindDebatte. Part of the game mag die sein, Teil des Spiels, das Mattias Ekström ebenso filigran beherrscht wie Lenkrad und Gaspedal. Aber auch
BMW Team MTEK
Bilanz 2015: Gesamtvierter mit 119 Punkten, einer Pole Position; zehnmal in den Punkten
Kanadier, geboren in Schiltigheim/Frankreich, lebt in Möhlin/ Schweiz
Fährt DTM seit 2005; bisher 119 Starts, 14 Siege; Meister 2012
Sein Satz zum Saisonfinale: „Platz eins ist weg. Ich konzentriere mich jetzt darauf, Zweiter zu werden.“
Und sonst: Als Glücksbringer hat er, seit seiner Kart-Zeit, immer einen kleinen Stoff-Elch von seiner Großmutter dabei.
Und sonst II: Am Motodrom denkt Bruno Spengler gerne zurück ans Motodrom – an den 21. Oktober 2012: „Vor dem letzten Rennen in Hockenheim hatte Gary Paffett in der Fahrerwertung geführt. Und dann: Sieg im letzten Rennen, vier Punkte Vorsprung, DTM-Champion. Das war … wow!“ Pascal Wehrlein hat via Facebook und Twitter Schlagfertigkeit – und Kanten – bewiesen in seinem dritten DTM-Jahr. Nun wirkt er fokussiert, konzentriert, nicht wie einer, der sich verunsichern lassen könnte. Abläufe, Routinen, Vorbereitung, „ich werde alles machen wie immer. Die letzten Rennen waren sehr gut, da muss ich nichts ändern.“
„Idealerweise“soll das Vertrauen auf Funktionierendes bereits heute den Titel bringen: Ein dritter Rang, und Pascal Wehrlein würde seinen 21. Geburtstag am Sonntag als DTMMeister 2015 feiern. Ungeachtet der Ergebnisse Edoardo Mortaras, Mattias Ekströms und Bruno Spenglers, mit Karriererennen Nummer 38 als einstündiger Ehrenrunde. Läuft heute alles gegen Pascal Wehrlein, blieben da immer noch zwölf Punkte Vorsprung. Bei maximal 25 zu vergebenden ... Ein Grinsen. „Für die Rechenspiele hab’ ich meinen Ingenieur. Der weiß alles auswendig.“
Also auch, dass der Sprint – 40 Minuten plus eine Runde, kein PflichtBoxenstopp – das Format ist, das Pascal Wehrlein 122 seiner 165 Zähler beschert hat, die Triumphe in Nürnberg und Moskau überdies. Hier entscheiden die fahrerischen Qualitäten über Sieger und Besiegte, nicht das Kalkül von Strategen, wann und wie am cleversten Reifen zu wechseln seien. Fahrerische Qualitäten aber muss haben, wer parallel zur DTMArbeit Ersatzfahrer im Formel-1Weltmeisterteam von Mercedes ist: die Simulator-Tage in Brackley, das Testen im F1 W06 Hybrid, im Force India VJM08, der Anschauungsunterricht bei den Rennen eines Lewis Hamilton, eines Nico Rosberg ...
Der übrigens wird am Sonntag dabei sein. Und Daumen drücken. Einem, der selbst alle Gedanken an (s)eine mögliche Formel-1-Zukunft ausblendet in Hockenheim: Pascal Wehrlein hat noch etwas zu erledigen dieses Wochenende. Er wird es erledigen. Er muss nur weiter beständiger bleiben als der Wechsel.