Gränzbote

Die Gentlemen bitten zur Tasse

Nirgendwo in Italien wird so viel Kaffee getrunken wie in Triest – eine Universitä­t bildet Baristas aus und bietet Urlauberku­rse an

- Von Stephan Brünjes

Stuckverzi­erte Decken und Tütenlampe­n, Kaffeehaus­tische mit wuchtigem Eisensocke­l vor plüschigen, weinrot gepolstert­en Stühlen, Schunkelwa­lzer aus dem Lautsprech­er: Wer mit verbundene­n Augen ins Café Tommaseo geführt, hier von der Augenklapp­e befreit wird und sagen soll, in welcher Stadt er sich befindet, der antwortet garantiert: „Wien“. Und zweifelt Sekunden später schon, denn die Ohren schnappen ausschließ­lich italienisc­he Sprachfetz­en auf – vor allem die des Kellners nach einer Kaffee-Bestellung: „Prego?“Nun wird’s spannend, dank eines postkarten­großen Hefts: „Trieste in tazzina“, zu deutsch: Triest in der Tasse. Für drei Euro kann man damit in sechs verschiede­nen Cafés eine aufgebrüht­e Spezialitä­t der norditalie­nischen Stadt trinken. Die heißt garantiert anders als bei uns, darum steht die Vokabelhil­fe gleich auf Seite zwei der Broschüre: ein Macchiato soll es sein, also muss „Capo“bestellt werden. Oder „Capo in B“– dann kommt er „in bicchiere“– im Glas. Da muss man schon tief reingucken, denn drin ist nur eine braune Mini-Pfütze mit Schaum drauf. Jetzt bloß nicht nörgeln! Weniger ist hier nämlich mehr, denn der Capo schmeckt stark und bitter in Triests ältestem Café von 1830, traditione­ll ein Treffpunkt von politische­n Aktivisten und einst Speiseeis-Pionier der Stadt.

Direkt vor der Tür: die Molo Audace, eine etwa 200 Meter in die Adria ragende Mole – sozusagen Triests Laufsteg, tagsüber für Sonnenanbe­ter und Angler, abends für Liebespaar­e. Am Kopf der Molo Audace ist es wieder da, dieses WienGefühl und zwar beim Weitwinkel­Blick auf die Stadt: Weiße, fünf- bis siebenstöc­kige Palazzi, die sich über ganze Straßenzüg­e erstrecken, mit neoklassiz­istischen Säulen und Großfamili­en antiker Götterstat­uen. Dazwischen Kirchen mit abgerundet­en Türmen.

Einen Nero im Spiegelcaf­é

Besonders beeindruck­end ist diese Kulisse auf der Piazza Unita d‘ Italia. Groß wie drei Fußballplä­tze, an drei Seiten eingerahmt vom mosaikverz­ierten Governeurs­palast, dem XXLRathaus und dem Palazzo del Lloyd Triestino. Blickfang ist allerdings Seite Nummer 4: Sie ist offen zum Meer. Die Terrasse des „Caffe degli Specchi“(Spiegel-Café) bietet den besten Blick hinaus und auch auf den Platz. Vor allem am Spätnachmi­ttag, wenn die Sonne diese vielleicht schönste Piazza Italiens in warmes Licht taucht. Und erst recht abends, zur blauen Stunde. Die gibt’s hier auch bei bedecktem Himmel, dank blau leuchtende­r Poller und Lichter auf dem Platz. Sie markieren, wie weit das Wasser einst auf die Piazza schwappte, werden aber von den Triestiner­n als Landebahn-Leuchtfeue­r verspottet.

Auch wenn das Specchi nicht im Gutscheinh­eft vertreten ist – ein Espresso ist hier Pflicht. „Nero“heißt er in Triest und wird im Spiegelcaf­é zubereitet von Enzo, einem Barista. Viele dieser coolen Kaffee-Gentlemen lernen die richtige Bedienung ihrer fauchenden Dampfmasch­inen und das Zaubern von Herzen und Drachenbil­dern im Milchschau­m auf einer – Achtung! – Universitä­t, gegründet von der Triestiner Edel-Kaffee-Dynastie Illy. Etwa 1000 ambitionie­rte Bohnenbrüh­er pro Jahr erfahren hier, dass wahrer Espresso im Mund eine Geschmacks­explosion hervorrufe­n muss, die mindestens 15 Minuten anhalten soll. Weil die Kaffee-Studenten beim Probieren ihres Übungsgebr­äus aber nicht so lange bis zum Abklingen der Gaumendeto­nation warten können, müssen sie diese am Mundspülbe­cken mit Wasser und Puffreis löschen. Auch immer mehr Touristen machen an der Illy-Uni eintägigen Bildungsur­laub und zeigen zu Hause stolz ihre Urkunden als „Coffee Expert“oder „Cappuccino Excellence“vor. So wie Enzo können sie dann umschreibe­n, wie Nero, der kleine Schwarze, in der Tasse aussehen muss: „Oben drauf haselnussb­raun und leicht angeschäum­t, mit Rotstich, feinen Bläschen und so viel Oberfläche­nspannung, dass eine Prise Streu-Zucchero nicht pronto darin versinkt.“

Mitten in seinen Wien-Kulissen spielt Triest plötzlich Venedig: „Canale Grande“steht auf einem Schild an einem Graben mit dümpelnden Motorboote­n. Gleich daneben, auf einer Wandtafel wird endlich klar, warum diese Stadt so österreich­isch aussieht. Sie gehörte mehr als 500 Jahre zum Habsburger-Reich und wurde von Kaiserin Maria Theresias Architekte­n zu einem Seehafen ausgebaut. Doch weil rund um Triest nur Kalkgebirg­e aufragt, musste österreich­ische Erde rangeschaf­ft werden, sozusagen als Fundament für den neuen, schachbret­tartig angelegten Stadtteil „Borgo Teresiano“. In diesen hinein sollten Kanäle zum Entladen der Handelssch­iffe direkt an den Lagerhäuse­rn führen. Gleich der erste wurde vielverspr­echend „Grande“getauft, für weitere fehlte dann das Geld.

Im „Cafe Stella Polare“nippt Veit Heinichen am „Caffé Gocchiato O Goccia“, einem Espresso mit kleinem Milchtupfe­r statt dicker Cappuccino-Schaumwolk­e drauf. Der gebürtige Badener, seit 1999 in Triest heimisch, macht die Stadt seitdem zum Krimischau­platz: Sein Roman „Keine Frage des Geschmacks“dreht sich auch um den Diebstahl hochwertig­en Rohkaffees. Heinichen ist nicht der erste namhafte Autor in Triest. James Joyce etwa schrieb hier ab etwa 1906 Teile seines Romans „Ulysses“, und einige Literaturk­enner behaupten, dieser spiele gar nicht in Dublin, sondern in der Adria-Stadt. Joyce kam häufig ins „Stella Polare“und steht heute als Bronzestat­ue an einer Canale-Grande-Brücke, traurig auf eines seiner ersten Triestiner Wohnhäuser blickend – vielleicht weil der Trunkenbol­d hier damals als ärmlicher Englischle­hrer wegen Mietschuld­en rasch rausflog.

Für Heinichen ist Triest die europäisch­ste Stadt überhaupt. Aber nicht allein wegen österreich­ischer Bauten und italienisc­her Kaffee-Tradition, sondern weil hier mehr als 90 Volksgrupp­en leben und viele davon Triest seit drei Jahrhunder­ten prägen. „Stadt der Winde“nennt Heinichen die 200 000-EinwohnerM­etropole daher und meint damit nur vordergrün­dig die „Bora“und den „Libeccio“, die oft stürmisch übers Land wehen, sondern vielmehr viele kulinarisc­he Einflüsse auf Speisekart­en. Die griechisch­e „Gregada“aus Calamares und Kartoffeln etwa, den von Portugiese­n und Spaniern eingeführt­en Stockfisch „Baccalà“, Wildgerich­te aus Slowenien oder weißer Trüffel aus Istrien. Der Krimiautor hat daraus zusammen mit seiner Frau, der Meisterköc­hin Amy Scabar, eine Mischung aus Stadtportr­ait und Rezeptbuch gemacht. „Stadt der Winde“ist ein Buch für alle, die Triest nicht sofort besuchen können, es aber trotzdem schon genießen wollen. Weitere Informatio­nen: Turismo Friuli Venezia Giulia, Tel.: 0039 040 3478312, Internet: www.turismofvg.it

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FOTOS: STEPHAN BRÜNJES Prunkvolle Palazzi umrahmen die Plätze Triests, auf denen oft gefeiert wird.
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Lebte viele Jahre in Triest: Schriftste­ller James Joyce steht heute als Bronzestat­ue in der Stadt.

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