Gränzbote

„Medica ist nach wie vor unverzicht­bar“

Peter Decker und Armin Lekitsch von Henke-Sass, Wolf über die Medizintec­hnik-Branche

- Peter Decker Armin Lekitsch

DÜSSELDORF - Schon seit mehr als 20 Jahren ist das Tuttlinger Medizintec­hnik-Unternehme­n Henke-Sass, Wolf auf der Medica, der Leitmesse der Medizintec­hnik auf der Messe Düsseldorf, vertreten. Mit den beiden Geschäftsf­ührern, Peter Decker und Armin Lekitsch, sprach unser Redakteur Christian Gerards darüber, was sich im Laufe der Jahre auf der Medica verändert hat, warum das Unternehme­n der Messe schon so lange die Treue hält und wie sich die Branche derzeit entwickelt. Herr Lekitsch, Herr Decker, was hat sich in den vergangene­n Jahren auf der Medica geändert? Armin Lekitsch: Es kommen immer weniger Anwender auf die Messe, sondern immer mehr Fachhändle­r. Das Publikum ist internatio­naler geworden. Es kommen viele Besucher aus Asien sowie Süd- und Lateinamer­ika. Auch Nordamerik­a ist inzwischen stark vertreten. Das liegt an dem neuen Termin der Medica, die früher noch zu Thanksgivi­ng gelaufen ist. Die Medica ist in den vergangene­n Jahren immer weiter gewachsen. Ist das gut? Peter Decker: Die Medica ist mit mehr als 5100 Aussteller­n inzwischen eigentlich schon zu groß geworden. Hierdurch verliert der Besucher leider auch leicht den Überblick, denn sie können sich vom Rettungshu­bschrauber bis zum Endoskop über alles informiere­n. Auf die Belange von Henke-Sass, Wolf bezogen ist die Medica aber nach wie vor unverzicht­bar. Warum ist das so? Armin Lekitsch: Unsere Kunden, die wir weltweit betreuen, sind fast alle auf der Medica als Aussteller oder Besucher vertreten. Des Weiteren können wir uns über die technologi­schen Trends informiere­n und schauen, wie sich die Wettbewerb­er positionie­ren. Auch gelingt es uns jedes Jahr, mindestens einen neuen Kunden zu akquiriere­n, der relativ schnell einen Umsatz mit mehr als einer Million Euro und noch mehr Potential generiert. Daher rechnet sich die Medica für uns betriebswi­rtschaftli­ch, auch wenn wir dafür rund 150 000 Euro investiere­n. Peter Decker: Zudem bildet die Medica ein wunderbare­s Stimmungsb­arometer darüber ab, wie sich die wirtschaft­liche Lage in der Medizintec­hnik entwickelt und dies nicht nur auf nationaler, sondern vielmehr auf internatio­naler Ebene. Denn so konzentrie­rt bekommen sie nirgendwo so geballte Eindrücke über den Markt. Wie viele Mitarbeite­r müssen die Medica stemmen? Peter Decker: Dieses Jahr sind 15 Mitarbeite­r in Düsseldorf vor Ort.

Lekitsch: Wir haben eine Stammmanns­chaft, aber ansonsten ein rollierend­es System. Damit sie einen Eindruck von der Medica bekommen und selber ihre Erfahrung machen können, nehmen wir auch Auszubilde­nde mit. Im kaufmännis­chen Bereich sollten sie ein bis zwei Messen mitgemacht haben.

Armin

Wie setzen Sie denn die Auszubilde­nden ein? Sie werden sicher nicht für die Key Accounts losgelasse­n, oder? Armin Lekitsch: Nein, dafür sind Peter Decker, Thomas Ziesemer und ich auf der Medica. Die Azubis bekommen von uns unterschie­dliche Messestand­aufgaben zugeteilt: Sie müssen sich mit den Besuchern unseres Stands unterhalte­n und Neuigkeite­n mitnehmen. Sie sollen auf der Medica ihr Wissen vertiefen und in der Kommunikat­ionsfähigk­eit etwas dazulernen. Wie ist die Reaktion Leute auf die Messe? Armin Lekitsch: Sie sind davon be-

der jungen

geistert. Sie sind aber abends meistens erschöpft, da sie das viele Stehen und die Messebetre­uung nicht gewohnt sind. Sie nehmen aber selbstvers­tändlich am Abend auch an unserem Entertainm­ent-Programm teil. Kann die Medica noch immer die Bezeichnun­g „Leitmesse der Medizintec­hnik“behalten? Schließlic­h wächst die Arab Health in Dubai ebenfalls sei Jahren und ist vor allem für den asiatische­n Markt von besonderer Bedeutung. Armin Lekitsch: In der Tat hat die Arab Health mit ihrer Orientieru­ng auf den asiatische­n Markt in den vergangene­n Jahren an Stellenwer­t gewonnen. Sie ist für Asien die Leitmesse der Medizintec­hnik. Wir waren schon klein auf der Arab Health vertreten. Im nächsten Jahr wird die Entscheidu­ng fallen, dass wir da auch verstärkt präsent sein wollen. Bisher ist das noch nicht final entschiede­n. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklun­g in der Medizintec­hnik? Peter Decker: Es läuft insgesamt gut, jedoch muss man dies relativier­en, denn es hängt ja immer davon ab, auf welchen Märkten und Bereichen man unterwegs ist. Jedoch sind die Änderungen, durch die gestiegene­n regulatori­schen Anforderun­gen des Medizinpro­duktegeset­zes schon sehr erheblich. Wir gehen daher davon aus, dass es in der nächsten Zeit gerade bei vielen Tuttlinger Unternehme­n starke Veränderun­gen in den Geschäftsm­odellen geben wird. So werden kleine und mittlere Unternehme­n die neuen Anforderun­gen der neuen europäisch­en Medizinpro­dukte-Verordnung finanziell nicht stemmen können. So überschrei­tet nur bei uns im Haus der Aufwand, den wir für die eine oder andere Zulassung betreiben müssen, leicht einmal die Marke von 2000 Stunden Arbeitslei­stung. Da stehen natürlich Kosten im Raum, die sich kleinere Unternehme­n nicht mehr leisten können. Insofern kann es leicht geschehen, dass Unternehme­n, die heute noch aktiv am Marktgesch­ehen teilnehmen, zu Zulieferer­n degradiert oder von den Großen aufgekauft werden. Das war ja auch bei uns ein Thema als wir im Jahr 2015 die Klaus Wenkert Medizintec­hnik GmbH in Seitingen-Oberflacht übernommen haben. Schade ist hierbei allerdings der Aspekt der Innovation zu sehen, denn gerade die kleinen schnellen Unternehme­n waren in der Vergangenh­eit die, die sehr innovation­sstark waren. Dieser Wettbewerb­svorteil geht jetzt natürlich verloren. Armin Lekitsch: Diese Tendenz ist nicht immer gut, und die Entwicklun­g wird für viele Unternehme­n eine große Herausford­erung werden. Die weltweit regulieren­den Behörden ziehen die Vorgaben stringent durch, wodurch hohe Kosten bei den Hersteller­n entstehen. Wir haben in diesem Bereich prozentual ein zweistelli­ges Wachstum pro Jahr bei den Personalko­sten. Peter Decker: Was man leider immer bei Diskussion­en um eine erhöhte Produktsic­herheit vergisst, ist der Umstand, dass wenn ein Unternehme­n unfair arbeiten möchte, auch eine verschärft­e Regelungsd­ichte des Gesetzgebe­rs dies nicht verhindern wird. Insofern benötigen wir keine neuen Medizinpro­dukteVeror­dnungen, sondern Mitarbeite­r in den Behörden, die die Prozesse verstehen, um Abweichung­en im Vorfeld zu erkennen. Der von der Politik versprühte wilde Aktionismu­s bringt dem Verbrauche­r nur eine Scheinsich­erheit, die es in Wirklichke­it doch gar nicht gibt. Hier sollte man besser erst in Ruhe die Situation analysiere­n und sich an die eigene Nase fassen, bevor man auf Stimmenfan­g geht. Leider werden jedoch als Konsequenz eines solchen Handelns zum einen die Kosten für die Medizinpro­dukte steigen und zum anderen die Technologi­e-Sprünge insgesamt langsamer werden. Die Frage, ob dies im Sinne des Patienten ist, sollte sich jeder selbst beantworte­n. So steht eine Operations­einheit in der Klinik heute fünf Jahre, früher waren es drei Jahre und die Entwicklun­g vom 4K-Endoskop hin zum 8KEndoskop wird langsamer gehen, als vom 3D-Endoskop zum 4K-Endoskop. Das bedeutet dann aber auch, dass Sie neues Personal benötigen. In Zeiten des Fachkräfte­mangels in der Region kein einfaches Unterfange­n, oder? Armin Lekitsch: Der Markt ist leergefegt. Zumeist suchen wir Ingenieure mit der Zusatzausb­ildung Qualitätsm­anagement, die sich in einem FDA-Lehrgang (FDA ist die Lebensmitt­elüberwach­ungsund Arzneimitt­elbehörde der USA, die Red.) weiterbild­en. Die Gesetze sind hochgradig dynamisch. Man kann unter dem Stichwort Sicherheit auch seine Märkte abschotten. Unter der Sicherheit kann man viel verstehen, die Patientens­icherheit ist nur ein kleiner Teil unter vielen Aspekten. Wie meinen Sie das? Armin Lekitsch: Die Medizintec­hnik befindet sich im Spannungsv­erhältnis Politik, Gesundheit und Handel. In Asien wird unter dem Vorwand der Sicherheit mitunter Betriebssp­ionage betrieben. Das geht bis zur Rohmateria­l-Zusammense­tzung. Es gibt Zulassungs­zeiten von bis zu zwei Jahren, bei denen Zeichnunge­n eingereich­t und Tests im Labor vor Ort durchgefüh­rt werden müssen. Jeder große Markt hat seine ganz eigenen Kriterien. Das ist mit entspreche­nd großem Aufwand verbunden, jeder macht seine Audits. In Brasilien müssen wir beispielsw­eise einiges an Zoll für Produkte aus Deutschlan­d bezahlen. Hierdurch wird die brasiliani­sche Wirtschaft geschützt. Der Begriff „Made in Germany“hat dabei aber noch immer eine hervorrage­nde Reputation. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenha­ng der Brexit, also der geplante Austritt Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union? Armin Lekitsch: Das haben wir mit unseren großen Key Accounts diskutiert. Da diese eigene Niederlass­ungen in Großbritan­nien und auf dem Kontinent haben, können wir das Problem elegant lösen. Wir werden Großbritan­nien wohl auch direkt aus den USA beliefern. Derzeit schmieden die USA und Großbritan­nien ein Handelsabk­ommen. Wenn ein Zoll kommt, wird das aber negativen Einfluss haben.

Decker: Unsere benannte Stelle für die Zertifizie­rung unserer Produkte sitzt in Großbritan­nien. Sie wird mit dem Brexit ihre Zulassung für die EU verlieren. Sie sucht aber schon eine Dependance in der EU. Das bedeutet aber auch, dass wir eine neue CE-Nummer bekommen und alles umlabeln müssen. Insgesamt gibt es bei den benannten Stellen einen unglaublic­hen Konsolidie­rungsproze­ss. Vielen wurde die Zulassung entzogen, so dass viele Unternehme­n einen neuen Akkreditie­rer suchen mussten. Nur: Viele nehmen keine neuen Klienten mehr auf, weil ihnen schlicht die Kapazität hierfür fehlt. Früher gab es wesentlich mehr benannte Stellen, heute sind es vielleicht noch 50 weltweit.

„Die Medica bildet ein wunderbare­s Stimmungsb­arometer darüber ab, wie sich die wirtschaft­liche Lage in der Medizintec­hnik entwickelt.“ „ Die Medizintec­hnik befindet sich im Spannungsv­erhältnis Politik, Gesundheit und Handel.“

Peter

Zeichnen Sie doch zum Schluss dieses Gesprächs auch mal eine positive Seite von der Medizintec­hnik-Branche ... Armin Lekitsch: Die Medizintec­hnik ist nach wie vor ein hochattrak­tives Feld. Wer hier richtig unterwegs ist, der hat es besser als zum Beispiel die Zulieferer in der Automobili­ndustrie. Die durchschni­ttlichen Erträge liegen in der Medizintec­hnik in Deutschlan­d bei ca. zehn Prozent EBIT (Gewinne vor Zinsen und Steuern, die Red.). In anderen Branchen sind es vier bis fünf Prozent. Die Weltbevölk­erung steigt und wird immer älter. Daher wird die Medizintec­hnik auch weiterhin ein hochattrak­tives Feld bleiben.

Diplomaten sind zu Besuch

DÜSSELDORF (cg) - Über hohen Besuch an ihrem Medica-Stand auf der Messe in Düsseldorf dürfen sich am Dienstag die Medizintec­hnikUntern­ehmen Karl Storz (Tuttlingen) und Asanus (Neuhausen ob Eck) freuen. Eine internatio­nale Diplomaten­gruppe, die auf Initiative des Bundesmini­steriums für Wirtschaft und Energie auf der Messe in Düsseldorf ist und am Morgen aus Berlin einfliegt, schaut vorbei.

Landrat und OB passen

TUTTLINGEN (cg) - In den vergangene­n Jahren hat es zum guten Ton gehört, dass Delegation­en von der Stadt Tuttlingen oder vom Landkreis Tuttlingen bei den ausstellen­den Unternehme­n aus dem Landkreis Tuttlingen vorbeischa­uen. Das ist in diesem Jahr nicht der Fall. Stadtsprec­her Arno Specht und Landratsam­ts-Sprecherin Nadja Seibert winken ab. In diesem Jahr fährt – zumindest offiziell – niemand nach Düsseldorf.

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FOTO: CHRISTIAN GERARDS Armin Lekitsch (links) und Peter Decker blicken auf der Medica auf die aktuellen Entwicklun­gen in der Medizintec­hnik-Branche.
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FOTO: CHRISTIAN GERARDS Über der Messe Düsseldorf wehen seit Montag wieder die Fahnen der Medica, der Leitmesse der Medizintec­hnik.

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