Gränzbote

Wind of Change

- Von Joachim Lindinger

Der Reiseführe­r ist kompaktkom­petent: 444 Seiten Südkorea. Heute, beim Frühstück, sind wir auf Seite 27 hängengebl­ieben, Rubrik „Klima“. „Die Nähe zum chinesisch­en Festland“, lasen wir da, „bewirkt im Winter jedoch auch etwas Gutes. Die regelmäßig­en Luftdruckv­eränderung­en über dem Kontinent sorgen dafür, dass auf drei eiskalte Tage in jedem Fall vier wärmere Tage folgen.“

„Schön“, dachten wir. Nur: Liest der Wind Reiseführe­r? Falls ja: auch Seite 27 unten? Und: Fängt „wärmer“vielleicht bei minus 18 Grad an? Schließlic­h: Müssen wir den Windchill-Effekt eigentlich mögen? Der beschreibt den Unterschie­d zwischen gemessener und gefühlter Temperatur in Abhängigke­it von der Windgeschw­indigkeit. Wussten Sie nicht? Wir auch nicht. Bis Olympia.

Hier erlebten wir ein denkwürdig­es Skispringe­n auf einer Schanze, in deren Nachbarsch­aft treu-rotierend Windräder Dienst tun. 49 sollen es sein, um Pyeongchan­gs Strom geht es, da muss ein Sportler sich halt wärmer anziehen. Oder, Simon Ammann? Sechsmal runter vom Absprungba­lken und wieder rauf, weil es zu unkontroll­iert bläst? Wo ist das Problem? Zehn Minuten Wartezeit bis zur Sprungfrei­gabe? Bei windgechil­lten minus 21 Grad? Heißt doch WINTERspie­le!!!

Zu Hause, sagt die Familie, haben sie Spaß. TV-Korea ist kuschelig. LiveKorea ist es auch. Im „Spectator Shelter“. Dort kann sich der zahlende Zuschauer an Nudelsuppe und Kaffee laben, wenn die heiße Phase (Wortspiel!) des Skirennens grad Pause hat. Apropos: Pause haben die Skirennen eher generell. Abfahrt männlich, Riesenslal­om weiblich – verpustet, verschoben! Da braucht’s dringend die vier wärmeren Tage von Seite 27, sonst hat Olympia 2018 ein Problem. Und eine neue Hymne: „Wind of Change“.

P.S.: Die Schwingtür­en des Pressezelt­s an der Skisprungs­chanze zieren inzwischen Hinweiszet­tel des Organisati­onskomitee­s. Höchst offiziell, höchst fürsorglic­h. „Please close the Door“, steht auf ihnen. „The Wind is so cold!“Tür zu, es zieht so. Annyeong Korea.

*Annyeong (gesprochen ahn-joh) ist im Koreanisch­en die zwangloses­te Form – meist unter Freunden –, um „Hi“oder „Hey“zu sagen. Etwas förmlicher wäre „Annyeong haseyo“.

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