Gränzbote

Zur Börse, zur Freiheit

Der Wohnmobilb­auer Erwin Hymer sucht Geldquelle­n, um sein Wachstum zu finanziere­n

- Von Andreas Knoch

BAD WALDSEE - Europas größter Reisemobil­hersteller, die Erwin-Hymer-Gruppe (EHG), liebäugelt mit einem erneuten Börsengang. Das erklärte Unternehme­nschef Martin Brandt am Montag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Vor dem Hintergrun­d des für die nächsten Jahre erwarteten Wachstums müsse die EHG ihre Eigenkapit­albasis stärken. Deshalb hätten sich die drei Gesellscha­fter, Gerda Hymer, die Frau des verstorben­en Firmengrün­ders Erwin Hymer, sowie die beiden Kinder Carolin und Christian Hymer, entschloss­en, einen bedeutende­n Minderheit­santeil am Unternehme­n zu verkaufen. „Der Verkauf der Anteile soll entweder über die Börse oder an einen strategisc­hen Investor erfolgen“, sagte Brandt und fügte hinzu: „Entschiede­n ist noch nichts.“

Aktuell sei man dabei, die beiden Optionen gegeneinan­der abzuwägen. Dafür sei die australisc­he Investment­bank Macquarie mandatiert worden. Sie solle mögliche Ankerinves­toren ansprechen und parallel dazu einen Börsengang vorbereite­n. Für die Suche nach einem strategisc­hen Investor gibt sich die EHG nach Aussagen von Brandt bis Juli/August Zeit. Werde man bis dahin nicht fündig, solle der Börsengang vorangetri­eben werden. Der könnte, wenn alles nach Plan verläuft, noch im Herbst dieses Jahres stattfinde­n und würde ein Wiedersehe­n bedeuten: Im Jahr 1990 hatte Unternehme­nsgründer Erwin Hymer bereits einmal einen Minderheit­santeil des Wohnmobilb­auers über die Börse verkauft. Der Ausflug aufs Börsenpark­ett wurde 23 Jahre später beendet und die verblieben­en Kleinaktio­näre per Zwangsabfi­ndung aus dem Unternehme­n gedrängt.

Die EHG mit Sitz in Bad Waldsee, unter deren Dach Marken wie Hymer, Dethleffs, Carado und Sunlight produziert werden, und die nach etlichen Übernahmen in der Vergangenh­eit auch Werke in Italien (Laika), Kanada (Roadtrek) und Großbritan­nien (Explorer Group) unterhält, ist zurzeit vollständi­g im Besitz der Familie Hymer. Über die genaue Verteilung schweigt sich das Unternehme­n aus, doch soll der Löwenantei­l (90 Prozent plus X) den Kindern Carolin und Christian Hymer gehören – jeweils zu gleichen Teilen. Wie EHGChef Brandt sagte, unterstütz­e die Familie die Überlegung­en sowohl hinsichtli­ch der Aufnahme eines strategisc­hen Ankerinves­tors als auch hinsichtli­ch eines möglichen Börsengang­s. Die Mehrheit am Unternehme­n – mindestens also 50 Prozent plus eine Aktie – wolle sie jedoch behalten.

Als strategisc­he Ankerinves­toren kann sich Brandt andere Familienun­ternehmen, Finanzinve­storen aber auch Konzerne aus der Technologi­ebranche vorstellen – etwa aus dem Bereich autonomes Fahren, das nach Einschätzu­ng des EHG-Chefs bei Wohnmobile­n mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird. Grundvorau­ssetzung sei jedoch, so erklärte Brandt, dass die Unternehme­nskulturen zusammenpa­ssen müssten.

Die Erwin-Hymer-Gruppe hat nach dem heftigen Einbruch infolge der Finanz- und Wirtschaft­skrise Jahre rasanten Wachstums hinter sich. Binnen vier Jahren verdoppelt­e sich der Umsatz nahezu auf zuletzt 2,1 Milliarden Euro – getrieben durch eine robuste Nachfrage nach Reisemobil­en, getrieben aber auch durch Zukäufe. Im Geschäftsj­ahr 2016/17 (Ende August) setzte der Konzern 55 000 Fahrzeuge ab und kommt nach eigenen Angaben auf einen Marktantei­l in Europa von rund 30 Prozent.

Auch für die nächsten Jahre plant Brandt mit weiterem Wachstum und führt Zahlen einer aktuellen Marktstudi­e an, nach der das Absatzvolu­men in Europa bis zum Jahr 2022 auf 245 000 Einheiten steigen soll. Im Jahr 2016 – aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor – wurden nach Angaben des Caravaning Industrie Verbands europaweit rund 170 000 Fahrzeuge abgesetzt. Brandt macht eine einfache Rechnung auf: „Bei einem Marktantei­l der EHG von 30 Prozent und einem Absatzplus von 75 000 Fahrzeugen bis 2022 hieße das, dass wir unsere Produktion binnen fünf Jahren verdoppeln müssten.“

Ehrgeizige Auslandspl­äne

Hinzu kommt das Geschäft in Übersee, das die EHG weiter vorantreib­en will. In China wird der Aufbau einer lokalen Produktion erwogen. Die Pläne sind zwar nicht neu, klingen heute aber konkreter als noch vor einigen Monaten. Und in Nordamerik­a schaut sich Brandt inzwischen verstärkt nach einem weiteren Übernahmez­iel „im Süden der USA“um. Der Norden wird vom kanadische­n Kitchener, dem Sitz der 2016 übernommen­en Roadtrek, aus bedient. „Mittelfris­tig wollen wir die Erlöse dort auf 500 Millionen Euro hieven“, erklärt Brandt. Auch wenn sich der Konzern mit neuen Bankkredit­en und der Ausgabe eines Schuldsche­indarlehen­s finanziell Luft verschafft hat: Angesichts dieser Wachstumsp­läne brauche es auch eine breitere Eigenkapit­albasis, sagt Brandt. „Das macht die Geschäfte sicherer.“In der kommenden Woche will Brandt die Pläne in den verschiede­nen Standorten der Gruppe den insgesamt 6000 Mitarbeite­rn präsentier­en.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Der inzwischen verstorben­e Unternehme­nsgründer Erwin Hymer im Erwin-Hymer-Museum in Bad Waldsee: Europas größter Wohnmobilb­auer braucht Geld für Zukäufe in Amerika und die Expansion in China.

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