Gränzbote

Debatte um Straßburg als EU-Standort ist neu entbrannt

- Von Sebastian Kunigkeit, Paris, und Verena Schmitt-Roschmann, Brüssel

Die Debatte über den Sitz des Europaparl­aments in Straßburg ist vielleicht so alt wie die Institutio­n selbst. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und ihr österreich­ischer Kollege Sebastian Kurz (ÖVP) bringen sie wieder in Schwung. Mehr als 700 Europaabge­ordnete sind seit Montag mit Hunderten Mitarbeite­rn und tonnenweis­e Akten zur Plenarsitz­ung im Elsass. Pünktlich zum monatliche­n Ritual der Parlaments­nomaden ist die Debatte neu entfacht worden: dieser Aufwand, diese Kosten, diese Umweltlast­en – muss das sein? Stoppt einer den Wanderzirk­us?

Sebastian Kurz fing vorige Woche damit an. Der doppelte Parlaments­sitz in Straßburg und Brüssel sei „Unsinn“in einer Zeit, da Europa sparen müsse, sagte der Konservati­ve. Merkel stimmte mit ein, die Arbeit des Europäisch­en Parlaments solle auf einen Standort konzentrie­rt werden.

Derzeit sind es drei Standorte. Drei Wochen im Monat arbeiten die Abgeordnet­en, wenn nicht im Wahlkreis, dann in Brüssel. Dann kommt die Straßburg-Woche. Und die Verwaltung wirkt derweil in Luxemburg. Vor fünf Jahren probten Abgeordnet­e den Aufstand gegen die Rotation. Vor sieben Jahren auch. Und vor zehn Jahren. Und vor zwölf Jahren. Schon Simone Veil, 1979 Präsidenti­n des ersten direkt gewählten EU-Parlaments, kämpfte gegen die Karawane.

Die Kosten für die Pendelei, listet der CDU-Europaabge­ordnete Peter Liese auf, betragen bis zu 200 Millionen Euro pro Jahr, es werden 11 000 bis 19 000 Tonnen CO2 produziert. Nach offizielle­n Angaben fallen mehr als 3100 Dienstreis­en pro Monat nur wegen der Verteilung der Standorte an. In Straßburg steht ein Parlament, das nur 42 Tage im Jahr genutzt wird, aber das ganze Jahr klimatisie­rt und betrieben werden muss, wie es in einer Resolution von 2013 heißt.

Furcht vorm Zorn der Steuerzahl­er

Viele Abgeordnet­e sind genervt vom Hin und Her und fürchten den Zorn der Steuerzahl­er. In all den Jahren stach aber auch immer dasselbe Gegenargum­ent: Frankreich ist gegen eine Verlegung und sitzt am längeren Hebel. Denn der Sitz des Hauses ist historisch gewachsen und in den EUVerträge­n festgeschr­ieben. Dies könnten die 28 EU-Staaten nur einstimmig ändern, aber Paris macht nicht mit. Allerlei charmante Gegenangeb­ote nutzten nichts. Als es im Frühjahr 2017 um die Verlegung von EU-Agenturen aus Großbritan­nien nach dem Brexit ging, wurde die Idee gestreut, man könnte ja die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur EMA in Straßburg ansiedeln. Hunderte gut bezahlte Fachleute samt Kongressto­urismus wären wirtschaft­liche Entschädig­ung für den Verlust des Parlaments. Aber die Idee zog nicht, die EMA zieht nun nach Amsterdam. Jetzt brachte die GrünenAbge­ordnete Terry Reintke eine neue Europa-Uni im Parlaments­gebäude ins Gespräch. Doch so weitgehend die Reformplän­e von Staatschef Emmanuel Macron für die EU auch sind – in dieser Frage blieb er bisher bei der französisc­hen Linie: Auf den Parlaments­sitz in Straßburg zu verzichten, ist für ihn ein No-Go.

Er habe mehrfach gesagt, dass er am Standort Straßburg festhalte, betonte Macron, er werde „bei der entscheide­nden Rolle Straßburgs als europäisch­e Stadt und Stadt der europäisch­en Institutio­nen nicht nachgeben.“Der Kurz/Merkel-Vorstoß scheint ins Leere zu laufen. (dpa)

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