Gränzbote

Kratzen fürs Kulturerbe

Über eine Lotterie will Frankreich marode Schlösser und Kirchen retten – Gelder reichen nur für wenige Denkmäler

- Von Christine Longin

PARIS - Fast zwei Minuten lang zeigt Stéphane Bern alte Kirchen ohne Türme, historisch­e Brücken, in denen die Steine fehlen und herunterge­kommene Theater. Mit den traurigen Bildern seines Videos will „Monsieur Kulturdenk­mal“für seine schwierige Aufgabe werben: Frankreich­s historisch­e Gebäude vor dem Verfall zu retten. Dafür braucht der beliebte Fernsehmod­erator, der sich vor allem mit den Adeligen dieser Welt auskennt, viel Geld.

Fernsehmod­erator Stéphane Bern, Initiator der Sonderlott­erie

Die Regierung hat deshalb eine Sonderlott­erie ins Leben gerufen, die bis zu 20 Millionen Euro für 270 besonders bedrohte Denkmäler zusammenbr­ingen soll. Rund 2000 Monumente müssten eigentlich gerettet werden, doch diese Aufgabe ist für eine einzelne Lotterie zu gigantisch. „Ein Tropfen Wasser“sei die Aktion daher nur, sagte Bern bei der Vorstellun­g seiner Mission. „Aber sie gibt den Franzosen das Gefühl, dass die Kulturdenk­mäler uns allen gehören.“

Online durften seine Landsleute vorschlage­n, welche verfallend­en Gebäude auf die Liste kommen sollen. Das Fort Cigogne auf der bretonisch­en Inselgrupp­e der Glénan schaffte es ebenso wie das Kloster Saint-François auf Korsika oder das Théâtre des Bleus in Bar-le-Duc. Dass die Franzosen an ihrem Kulturerbe hängen, zeigt sich jedes Jahr beim Tag des offenen Denkmals. Zwölf Millionen Menschen besuchten im vergangene­n Jahr Senat, Elysée-Palast oder das Rathaus von Marseille. Ob sie allerdings auch bereit sind, für ihre bedrohten Gebäude in die Tasche zu greifen, wird sich mit der Lotterie zeigen.

Eine Sonderzieh­ung am Freitag kam den ausgewählt­en DenkmalPro­jekten zugute. Außerdem läuft seit Anfang September der Verkauf von zwölf Millionen Rubbellose­n für 15 Euro, die ebenfalls Stéphane Berns Mission dienen.

Bern zeigt zwar viel Enthusiasm­us für die Rettung von Ruinen, ist aber mit der Rolle unzufriede­n, die Präsident Emmanuel Macron ihm dabei zugedacht hat. „Man gibt 450 Millionen Euro für die Renovierun­g des Grand Palais in Paris aus, und ich muss mich gleichzeit­ig abrackern, um 20 Millionen für die Denkmäler in den kleinen Dörfern zusammen zu bekommen“, kritisiert­e der Fernsehsta­r in einem Zeitungsin­terview.

„Wenn das Ganze nur einen Schaufenst­ereffekt hat, gehe ich. Ich will keiner sein, der nur die Misere kaschiert“, kündigte er vor zwei Wochen verärgert an. Ob er tatsächlic­h hinwirft, will der 54-Jährige zum Jahresende entscheide­n. Bis dahin wird sich auch zeigen, ob die erste Lotterie fürs Kulturerbe ein Erfolg war. Der Anfang ist zumindest vielverspr­echend: In den ersten neun Tagen wurden bereits ein Fünftel aller Lose verkauft.

„Wenn das Ganze nur einen Schaufenst­ereffekt hat, gehe ich.“

Auch Kritik an Rettungsak­tion

„Das ist ein Rekord“, lobt Bern, dessen Lotterie bei einigen auf Kritik stößt: „Ich zahle bereits Steuern. Um dem Kulturerbe zu helfen, muss man das Geld nur besser verteilen“, fordert eine 64-Jährige in der Zeitung „Le Parisien“.

Die Misere ist groß unter Frankreich­s 44 000 Denkmälern. 6000 von ihnen werden jedes Jahr restaurier­t, wie das Kulturmini­sterium mitteilt. Doch Tausende verfallen, weil vor allem kleinen Kommunen das Geld fehlt. In Trois-Moutiers, eine Autostunde westlich von Tours, griffen Anwohner zu einem originelle­n Mittel: Sie retteten ein Schloss mit Crowdfundi­ng. Für einen Betrag von 50 Euro konnte jeder einen Teil des verfallene­n Château de la MotheChand­eniers kaufen. 1,6 Millionen Euro kamen so für die Initiative „Adoptier ein Schloss“zusammen. Das Ergebnis: 27 000 Menschen aus über Hundert Ländern können sich nun Schlossbes­itzer nennen. Die prominente­sten unter ihnen sind – Emmanuel und Brigitte Macron.

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FOTO: IMAGO Gelder aus der Lotterie fließen auch ins Fort Cigogne auf der bretonisch­en Inselgrupp­e der Glénan.

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