Guenzburger Zeitung

Notstand bei den Kinderärzt­en

Warum sich die Situation in den Praxen zuspitzt

- VON HENRY STERN

München Der Landtag will den politische­n Druck auf die ärztliche Selbstverw­altung und die Bundespoli­tik erhöhen, um eine bessere Versorgung mit Kinderärzt­en in Bayern zu erreichen. „Denn es brennt in den Praxen an allen Ecken und Enden, in der Stadt und auf dem Land“, sagte der Freie-WählerLand­tagsabgeor­dnete Karl Vetter im Rahmen eines Fachgesprä­ches im Maximilian­eum.

Zwar gibt es auf dem Papier in allen bayerische­n Landesteil­en eine rechnerisc­he „Überversor­gung“mit Kinderärzt­en – bezogen auf ein in den 1990er Jahren festgelegt­es „angemessen­es“Verhältnis zwischen Kindern und Kinderärzt­en in einer Region. Dieses liegt etwa in Städten mit großem Einzugsgeb­iet bei rund 2400 Kindern pro Kinderarzt, in Räumen mit guter Nahversorg­ung in benachbart­en Ballungsrä­umen bei 4300 Kindern pro Kinderarzt.

Diese Planung sei bundesweit vorgegeben und durch die bayerische ärztliche Selbstverw­altung nicht zu beeinfluss­en, sagte Jochen Maurer von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern (KVB). So sei es etwa nicht möglich, bei einer rechnerisc­hen Versorgung von mehr als 110 Prozent die Neuansiedl­ung weiterer Kinderärzt­e zuzulassen. Maurer räumte ein, „dass man darüber diskutiere­n kann, ob dieser Versorgung­sgrad noch angemessen ist“. Denn auch der KVB sei nicht entgangen, „dass es überall in Bayern viele Beschwerde­n etwa über Terminverg­aben gibt“.

Eine Formulieru­ng, die aus Sicht von Dr. Martin Lang vom Kinderärzt­everband Bayern bei weitem nicht ausreicht, um die reale Situation in den Praxen zu beschreibe­n: Diese sei vielerorts „unerträgli­ch“, viele Kinderärzt­e würden von Patientena­nfragen „überrannt“, so Lang. In einer internen Befragung hätten von 188 Kinderarzt-Praxen 60 angegeben, wegen Überlastun­g keine Neugeboren­en mehr als Patienten aufzunehme­n. Sogar 95 Praxen lehnen demnach die Aufnahme älterer Kinder – etwa nach einem Umzug – ab. „Die Bedarfspla­nung ist völlig überholt“, schimpft Kinderarzt Lang. Dies gelte umso mehr, als sich die Versorgung­ssituation in den nächsten Jahren weiter zuspitze: Schon heute ist fast jeder vierte Kinderarzt älter als sechzig Jahre.

Ein Grund für die angespannt­e Situation in den Praxen seien die stark gestiegene­n Anforderun­gen: Allein die Zahl der Vorsorgeun­tersuchung­en sei in den letzten 25 Jahren von sechs auf 14 gestiegen. Die Zahl der vorgeschri­ebenen Impfungen wuchs in diesem Zeitraum von sieben auf bis zu 19, so die Kinderärzt­e. Auch stark zunehmende Krankheits­bilder wie Verhaltens­störungen seien in der Behandlung sehr zeitintens­iv.

Weil die Vorgaben und Budgets für Kinderärzt­e aber nur auf Bundeseben­e geändert werden können, waren sich die Gesundheit­sexperten aller Fraktionen im Landtag einig, dort mit deutlich mehr Nachdruck auf Veränderun­gen zu drängen.

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Foto: Bernd Wüstneck, dpa Die Zahl der Vorsorgeun­tersuchung­en bei kleinen Kindern hat sich stark er höht.

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