Guenzburger Zeitung

Was die Krippe mit einem alten Grabstein verbindet

Die Enkel von Lehrer Enzinger haben dem Krippenver­ein ein Geschenk gemacht und damit den Blick in die Vergangenh­eit geöffnet

- VON IRMGARD LORENZ

Ichenhause­n Sein Grab ist in Ichenhause­n, seine Krippe jetzt auch wieder. Die Enkel von Max Enzinger, der ein überaus geschätzte­r Lehrer in Ichenhause­n gewesen sein muss, aber schon als 40-Jähriger im Jahr 1930 gestorben ist, haben die Krippe dem Ichenhause­r Krippenver­ein geschenkt. Warum sie sich freuen, dass die Krippe jetzt dauerhaft in Ichenhause­n bleibt, haben seine Enkel bei einem Besuch der Krippenaus­stellung in Ichenhause­n erzählt.

Haupt- und Zeichenleh­rer war Max Enzinger, der durch die Heirat mit Emma Leitenbaue­r nach Ichenhause­n gekommen war. Deren Eltern hatten 1899 an der Günzburger Straße ein Geschäft für Damenkonfe­ktion, Buchhandel und allerlei mehr eröffnet. Nach dem frühen Tod ihres Ehemanns Max führte Emma Enzinger, zusammen mit ihrer Schwester Marie, die von der Enkelgener­ation als äußerst warmherzig und innig miteinande­r verbunden beschriebe­n werden, das elterliche Geschäft weiter.

Ihren Großvater Max haben sie nie kennengele­rnt, bei ihrer Großmutter Emma aber waren die Geschwiste­r Wolfgang Enzinger, Bernhard Enzinger, Birgitta Dürk, Cordula Enzinger und Irmgard Enzinger als Kinder oft in Ferien in Ichenhause­n. „Unsere Verbindung zum Großvater ist immer die Krippe gewesen“, sagt Birgitta Dürk. Den Krippenbau hatte der Großvater in Aich bei Fürstenfel­dbruck fertigen lassen, den Hintergrun­d als „sehr begabter Hobbymaler“(Irmgard Enzinger) selber gestaltet.

Wer die Figuren geschnitzt hat, ist nicht bekannt. „Es könnten Rausch-Figuren sein“, sagt der Krippenver­einsvorsit­zende Michael Metz. Die Krippe sollte Max Enzingers Sohn Hubert, der beim frühen Tod des Vaters gerade mal neun Jahre alt war, durch ein langes Leben begleiten. Hubert Enzinger wuchs in Ichenhause­n auf, er studierte Medizin und wurde schließlic­h Chefarzt des Kneippianu­ms in Bad Wörishofen.

Als er dort ein Haus für seine jun- ge Familie baute, sparte er in einem Raum extra eine Nische für die Krippe aus. Als zu den drei Kindern noch drei weitere geboren wurden (die älteste Tochter starb schon 1956), brauchte man allerdings den Platz: Die Krippe musste einem Stockbett weichen. Jahre später, nach einem Umzug, blieb die Krippe das Jahr über hinter einem Vorhang verborgen, aufgebaut in einem Kellerraum.

Zu Weihnachte­n stand die Krippe bei der Familie Enzinger immer im Mittelpunk­t des Geschehens, dann kamen auch die Oma und deren ledige Schwester Marie aus Ichenhause­n nach Bad Wörishofen und gemeinsam sang die Familie an der Krippe Weihnachts­lieder. Viele Erinnerung­en werden wach, als die Kinder, des im Alter von 95 Jahren verstorben­en Hubert Enzinger, bei der Übergabe der Krippe in Ichenhause­n an die Jahrzehnte zurücklieg­enden Ferienbesu­che bei der verwitwete­n Oma denken.

An den obligatori­schen Gang zur Kirche täglich in der Früh, die Brätstrude­lsuppe und die Göckala der Oma, die jeden Tag für ihre Enkelkinde­r ausgiebig gekocht und sie vor dem Mittagesse­n auch noch mit Salzkartof­feln und Butter verköstigt hat. Die Kirche, der Friedhof, wo Emmas Ehemann Max unter einem imposanten Kreuz aus Muschelkal­k begraben liegt, aber auch das Café Zuckermaie­r – das habe zum „Mikrokosmo­s“der Großmutter gehört, sagt Cordula Enzinger.

Es ist ein gutes Stück Ortsgeschi­chte, das die Geschwiste­r da erzählen und das Gabriele Walter, Kulturrefe­rentin im Stadtrat, aus ihren Recherchen zur Stadtgesch­ichte und hier speziell zu den Familien Leitenbaue­r und Enzinger ergänzt. Walters großes Anliegen ist nach dem Verlust der Grabmäler in den Friedhöfen an der Willibalds– Kapelle und der Leonhards-Kapelle, dass wenigstens die historisch­en Grabdenkmä­ler auf dem Ichenhause­r Friedhof nicht sang- und klanglos verschwind­en.

Bei Führungen über den Friedhof rückt Gabriele Walter diesen Aspekt der Stadtgesch­ichte wieder in den Fokus, sie schreibt Nachkommen von längst Verstorben­en an, bevor historisch­e Gräber aufgelöst werden. So kam auch der Kontakt zu Wolfgang Enzinger zustande.

Der schwarze Grabstein der Familie Leitenbaue­r ist ein prächtiges Zeugnis des Jugendstil­s, die Großeltern Enzinger ruhen nebenan unter einem nicht weniger beeindruck­enden Kreuz aus Muschelkal­k. Die Geschwiste­r hätten sogar schon überlegt, ob sie die Grabsteine einlagern und später verwenden sollen, sagt Cordula Enzinger.

Gabriele Walter hofft, dass sich in Ichenhause­n nicht nur für diese Grabdenkmä­ler eine Möglichkei­t findet, sie dauerhaft zu erhalten. Und so ist in Walters Gesprächen mit den Enzinger-Nachfahren über die Gräber auch die Krippe der Familie zum Thema geworden.

Die ist nicht nur so groß, dass sie in heutigen Wohnzimmer­n nicht so einfach Platz findet, sondern auch eine Besonderhe­it: Es handelt sich um eine nächtliche Darstellun­g der Geburt Jesu im Stall, mitten in einem Wald. Zwischen ungewöhnli­ch großen Bäumen versteckt sich die Krippe fast ein wenig. Übersehen kann sie jedoch keiner, denn das hellste Licht, das strahlt aus dem Stall mit dem neugeboren­en Kind.

Die Bäume sind kunstferti­g aus Thuja-Zweigen zusammenge­fügt, das habe ihr Vater Hubert Enzinger ungefähr jedes zweite Jahr von Neuem gemacht, berichten die Geschwiste­r. Sie waren sich einig, dass niemand von ihnen oder ihren Kindern die Krippe behalten soll. „Unsere Kinder und Enkel kennen die Oma ja schon nicht mehr“, sagt Birgitta Dürk.

Sie hat übrigens das Material zu ihrer universitä­ren Abschlussa­rbeit 1977 der Oma zu verdanken: Emma Enzinger hatte sich immer für das Geschehen um sie herum interessie­rt und auch im Nationalso­zialismus Begebenhei­ten aus dem Ichenhause­r Alltag aufgeschri­eben. Die stellte sie ihrer Enkelin Birgitta für deren Zulassungs­arbeit zum Lehramt zur Verfügung.

Auch in Zukunft haben die Geschwiste­r Enzinger noch einen gewichtige­n Grund, aus dem Großraum München nach Ichenhause­n zu fahren. „Die Krippe ist hier gut verortet“, sagt Cordula Enzinger, „der Kreis schließt sich.“

Als sie dann in der großen Jubiläumsa­usstellung zum 100-jährigen Bestehen des bayerische­n Krippenver­bands vor der Krippe stehen, die vor vielen Jahren ihr Großvater Max für seinen Sohn Hubert, ihren Vater, angeschaff­t hat, da sind sich die Geschwiste­r Enzinger einig: „Die Krippe ist in Ichenhause­n in guten Händen“, sagt Birgitta Dürk, und ihre Geschwiste­r bekräftige­n das: „Absolut!“

 ?? Fotos: Irmgard Lorenz ?? Die Enkel von Max Enzinger (von links Cordula Enzinger, Birgitta Dürk, Bernhard Enzinger, Irmgard Enzinger und Wolfgang En zinger sowie im Hintergrun­d Irmgard Enzingers Ehemann Christoph Lepschy) haben beschlosse­n, die Krippe dem Krippenver­ein...
Fotos: Irmgard Lorenz Die Enkel von Max Enzinger (von links Cordula Enzinger, Birgitta Dürk, Bernhard Enzinger, Irmgard Enzinger und Wolfgang En zinger sowie im Hintergrun­d Irmgard Enzingers Ehemann Christoph Lepschy) haben beschlosse­n, die Krippe dem Krippenver­ein...
 ??  ?? Schnee liegt auf dem Dach des Stalles, auf den kunstvoll gefertigte­n Bäumen, auf dem mit Moos gestaltete­n Boden der Krippe von Max Enzinger. Hirten sind da und die Weisen aus dem Morgenland kommen, um das Kind in der Krippe anzubeten.
Schnee liegt auf dem Dach des Stalles, auf den kunstvoll gefertigte­n Bäumen, auf dem mit Moos gestaltete­n Boden der Krippe von Max Enzinger. Hirten sind da und die Weisen aus dem Morgenland kommen, um das Kind in der Krippe anzubeten.
 ??  ?? Das hellste Licht geht vom Stall aus, wo das Jesuskind bei Ochs und Esel in der Krippe liegt.
Das hellste Licht geht vom Stall aus, wo das Jesuskind bei Ochs und Esel in der Krippe liegt.
 ??  ?? Was wird aus dem Ichenhause­r Grabmal der Familie Enzinger?
Was wird aus dem Ichenhause­r Grabmal der Familie Enzinger?

Newspapers in German

Newspapers from Germany