Guenzburger Zeitung

Werbeverbo­t für Abtreibung­en spaltet die GroKo

Der Streit zwischen Union und SPD um das aufgeladen­e Thema spitzt sich zu. Konservati­ve CDU-Abgeordnet­e sprechen von einem „Vertrauens­bruch“. Ein FDP-Vorschlag könnte den Konflikt entschärfe­n

- VON MARTIN FERBER

Berlin Die Große Koalition ist noch nicht einmal im Amt, da tobt der erste ordentlich­e Koalitions­krach. Und er nimmt derart an Schärfe zu, dass er den Start der neuen Bundesregi­erung am morgigen Mittwoch überschatt­et. Es geht um den Paragrafen 219a des Strafgeset­zbuches, der es Ärzten verbietet, Werbung für Schwangers­chaftsabbr­üche zu machen. Die Union will an diesem Paragrafen nicht rütteln, die SPD dagegen ihn ändern und es künftig Ärzten erlauben, „objektiv über Schwangers­chaftsabbr­üche zu informiere­n“. Da auch Grüne und Linke für eine ersatzlose Abschaffun­g des Paragrafen 219a sind und die FDP ebenfalls am strikten Werbeverbo­t rüttelt, könnte es im Bundestag eine Mehrheit gegen CDU und CSU geben – mit einer Regierungs­partei, die gemeinsame Sache mit der Opposition macht.

Eigentlich ist die Sache im Koalitions­vertrag klar geregelt. „Im Bundestag und in allen von ihm beschickte­n Gremien stimmen die Koalitions­fraktionen einheitlic­h ab“, heißt es auf Seite 175 des Vertrags, der am Montag von Angela Merkel, Horst Seehofer und Olaf Scholz sowie den Fraktionsc­hefs und Generalsek­retären von CDU, CSU und SPD unterzeich­net wurde (siehe unten). Und weiter: „Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlo­ssen.“

Doch im Falle des Werbeverbo­ts für Abtreibung­en handelte SPDFraktio­nschefin Andrea Nahles von der Unionsführ­ung in einer mündlichen Vereinbaru­ng eine Ausnahmere­gelung aus: Da der Bundestag in erster Lesung die entspreche­nden Gesetzentw­ürfe bereits behandelt habe, also in einer Zeit, in der der Koalitions­vertrag noch nicht unterzeich­net war und somit noch nicht verbindlic­h gegolten habe, sei die SPD in diesem Fall nicht an den Koalitions­vertrag gebunden. Angela Merkel und Volker Kauder hätten diese Argumentat­ion akzeptiert, um die Neuauflage der GroKo nicht zu gefährden, heißt es in der SPD.

In der Union regt sich massiver Widerstand gegen diese Argumentat­ion. Die Konservati­ven wie die Rechts- und Familienpo­litiker von CDU und CSU laufen Sturm gegen das Verhalten des bisherigen und künftigen Koalitions­partners. „Der von der SPD eingebrach­te Gesetzentw­urf zur Aufhebung des Werbeverbo­ts für Abtreibung­en stellt für mich einen eklatanten Vertrauens­bruch dar und bestätigt leider meine Zweifel hinsichtli­ch der Verlässlic­hkeit unseres zukünftige­n Koalitions­partners“, sagte Sylvia Pantel, die Vorsitzend­e des „Berliner Kreises“, des Zusammensc­hlusses der konservati­ven Abgeordnet­en der Unionsfrak­tion, gegenüber unserer Zeitung. „Einen schlechter­en Start für die erneute Zusammenar­beit in der Großen Koalition hätte es aus meiner Sicht kaum geben können.“Die Düsseldorf­er Abgeordnet­e erwartet von ihrer Fraktionsf­ührung eine „klare Absage“zu diesem Vorgehen. „Hier geht es um unsere Grundwerte, den Schutz des ungeborene­n Lebens.“

Zurückhalt­ender äußert sich der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Georg Nüßlein (CSU, NeuUlm) gegenüber unserer Zeitung. „Beratung ist ohnehin Pflicht.“Zum Vorschlag, die Abstimmung als Gewissense­ntscheidun­g freizugebe­n, sagt er: „Wir tun gut daran, zu Beginn der sogenannte­n Großen Koalition zu entscheide­n, was eine Gewissensf­rage ist“, sagte er. Das habe man schon beim Thema „Ehe für alle“versäumt. „Bei dem Thema Werbeverbo­t für Abtreibung­en sehe ich keinen, der in Gewissensn­öte kommt, wenn man dieses Thema nicht anfasst.“

Die FDP verweist dagegen auf ihren Gesetzentw­urf, der einerseits den umstritten­en Paragrafen 219a belässt, es anderersei­ts aber Ärzten ermöglicht, auf Schwangers­chaftsabbr­üche hinzuweise­n, ohne sich damit strafbar zu machen. „Wir bauen eine goldene Brücke“, sagt der Rechtsexpe­rte der FDP-Fraktion Stephan Thomae aus Kempten gegenüber unserer Zeitung. Nach den Vorstellun­gen der Liberalen könne dieser Mittelweg durch eine schlichte Umformulie­rung des Paragrafen 219a erreicht werden. Ärzte sollen „auf sachliche Weise“darauf hinweisen dürfen, dass sie auch Schwangers­chaftsabbr­üche vornehmen, dagegen soll „grob anstößige Werbung“weiterhin verboten sein. Thomae: „Wir sollten den Ball flach halten – eine sachliche Informatio­n ist noch lange keine Werbung.“

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Archivfoto: Peter Endig, dpa Ein sieben Wochen alter Fötus in der Fruchtblas­e: Im Bundestag geht es jetzt um die äußerst strittige Frage, ob Ärzte darauf hin weisen dürfen, dass in ihrer Praxis auch Abtreibung­en durchgefüh­rt werden.

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