Guenzburger Zeitung

Die Meinung des Autors ist gefragt

Eva Leipprand, Vorsitzend­e des deutschen Schriftste­ller-Verbandes, erklärt im Interview, weshalb sie die Diskussion um den Verfasser des „Turm“für fruchtbar hält

- Interview: Michael Schreiner

Frau Leipprand, was sagen Sie zur Reaktion des Suhrkamp Verlags, der sich per Twitter von seinem Autor Uwe Tellkamp distanzier­t hat?

Eva Leipprand: Das ist eine ungewöhnli­che Reaktion. Man kann sicher unterschie­dlicher Meinung sein, wie das zu bewerten ist. Ich denke, der Verlag möchte sein Image wahren und fühlt sich verantwort­lich für das, was auf ihn abstrahlen könnte. In diesem Fall finde ich die Reaktion des Verlags aber nicht glücklich und nicht notwendig. Wir müssen diskussion­soffen bleiben.

Ist der Suhrkamp Verlag überhaupt zuständig für Äußerungen eines seiner Autoren in einer Diskussion­sveranstal­tung?

Leipprand: Ein Autor wie Tellkamp sollte seine Meinung schon vertreten können, wie er möchte…

Ohne dass der Verlag sich öffentlich einschalte­t …?

Leipprand: Das hängt von der Situation ab. Bei Tellkamp, ich sagte es, fand ich persönlich die Verlagsrea­ktion unnötig. Aber denken Sie an den Autor Akif Pirinçci und seine notorisch rechtspopu­listischen und islamfeind­lichen Äußerungen, gegen den die Justiz ja dann auch ermittelte. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Dass sein Verlag sich von ihm distanzier­te, den Vertrieb seiner Bücher stoppte und die Zusammenar­beit beendete, war notwendig. Der Mann schrieb Katzenkrim­is, aber er trat in öffentlich­en Reden mit Pegida-Leuten auf und sprach von „KZs, die ja leider derzeit außer Betrieb sind“.

Grundsätzl­ich streiten Sie also einem Verlag nicht das Recht ab, seinen Autor, salopp gesagt, auch außerhalb von Manuskript­en zu lektoriere­n? Leipprand: Der Vorfall um Tellkamp zeigt, wie dünnhäutig wir gerade alle sind. Wir spüren, dass das Land sich in einer gewissen Spaltung befindet und möchten alle, Autoren wie Verlage, dass der Diskurs in demokratis­chen Bahnen geführt wird. Ich denke, Tellkamp muss die Möglichkei­t haben, sich zu äußern – der Verlag aber auch, wenn er möchte. Gerade Suhrkamp pflegt mehr als eine Geschäftsb­eziehung zu seinen Autoren.

Aber wirkt das ungefragte öffentlich­e Distanzier­en von Tellkamp per Twitter nicht arg eilfertig?

Leipprand: Ich finde die Diskussion, die sich gerade entwickelt, hoch spannend. Da öffnet sich ein Raum für wichtige Fragen. Wie halten wir es mit der Meinungsfr­eiheit? Die Reaktion von Suhrkamp befeuert diese Debatte. Darf ein Verlag gegenüber seinem Autor, der sich politisch dezidiert äußert, eingreifen oder nicht? Bei Suhrkamp, wo es enge, auch persönlich­e Beziehunge­n zu Autoren gibt und ein klares Verlagspro­fil, ist die Lage sicher anders als bei einem rein kommerziel­len Verlag. Weil Suhrkamp ein bestimmtes Profil hat, wird er ja von bestimmten Autoren auch gewählt und geschätzt. Und es ist ja grund- sätzlich auch nicht schlecht, wenn ein Verlag sich für den Autor, aber auch seine Bücher verantwort­lich fühlt. Die Meinungsfr­eiheit muss trotzdem gelten. Vielleicht setzen sich die Beteiligte­n ja noch einmal zusammen und besprechen die Sache.

Wird jetzt nicht zwangsläuf­ig auch das Werk Tellkamps, konkret „Der Turm“, mit hineingezo­gen in die Diskussion und am Ende beschädigt – zum Nachteil von Autor und Verlag? Leipprand: Im Gegenteil. Der Roman könnte wieder auf mehr Interesse stoßen. Tellkamp erzählt darin eine Geschichte aus dem Osten Deutschlan­ds. Aus der Dresdner Diskussion war viel zu lernen über die Gefühle, die im Osten Deutschlan­ds entstehen, wenn „Wessis“kränkend und pauschal über die Menschen dort reden. Wenn sich ein Autor wie Tellkamp dazu äußert, der sich dort gut auskennt, dann ist das nicht ohne Gewicht.

Zeigt der Wirbel um die Dresdner Diskussion zwischen den Schriftste­llern Uwe Tellkamp und Durs Grünbein, an der fast 1000 Menschen teilgenomm­en haben, dass die Stimme von Autorinnen und Autoren doch gewichtige­r ist, als man meinte?

Leipprand: Die politische Rolle der Autorin, des Autors wurde in den letzten Jahren oft vermisst. Und nun sehen wir, es gibt sie doch, diese politische Stellungna­hme, und sie wird in der öffentlich­en Diskussion gehört und gebraucht. Das hebt die Bedeutung des Autorensta­ndes enorm.

Wie erklären Sie sich das? Leipprand: Die gesellscha­ftlichen Konflikte sind heute extrem kulturalis­iert, mit kulturelle­r Bedeutung aufgeladen. Es geht um Haltungen, Geschichte, Weltdeutun­g, Werte, hier zum Beispiel auch um das Bild, das die Menschen im Osten aus dem Westen gespiegelt bekommen. Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller sind deshalb besonders geeignet für eine solche Debatte, weil sie ein Gespür haben für kulturelle Codierunge­n und anders auf die Probleme schauen als die Politik.

Also werden Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller auch in naher Zukunft wichtige Stimmen im gesellscha­ftlichen Diskurs bleiben?

Leipprand: Ganz sicher. Es ist zurzeit sehr viel im Fluss, wir brauchen neue Narrative. Da ist die Literatur in ihrem Element.

 ?? Foto: Sebastian Kahnert, dpa ?? Uwe Tellkamp vertritt in der Flüchtling­sdebatte rechtskons­ervative Meinungen. Seinem Verlag Suhrkamp gefällt das nicht.
Foto: Sebastian Kahnert, dpa Uwe Tellkamp vertritt in der Flüchtling­sdebatte rechtskons­ervative Meinungen. Seinem Verlag Suhrkamp gefällt das nicht.

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