Guenzburger Zeitung

Schuldig

Beate Zschäpe wirkt gefasst, vielleicht sogar darauf vorbereite­t, als das Münchner Oberlandes­gericht sie als zehnfache Mörderin verurteilt. Die Aufarbeitu­ng der Mordserie, die die rechtextre­mistische Terrorgrup­pe NSU begangen hat, ist damit noch lange nic

- VON ROLAND ENGLISCH

Nach 20 bis 25 Jahren kann Zschäpe freikommen Richter Götzl holt die Opfer aus der Anonymität

München

Als Manfred Götzl zu seinem Urteilsspr­uch ansetzt, vibriert seine Stimme leicht. Selbst Götzl, der mehr als fünf Jahre lang im Fokus der Öffentlich­keit stand, der gegen Beate Zschäpe und ihre vier Mitangekla­gten verhandelt­e, souverän und kühl, selbst er spürt die Macht des Augenblick­s – und ist in diesem Moment nervös. An der Schärfe seines Urteils freilich ändert das nichts. Es dauert eine gute Minute, bis er alle Taten aufgeführt hat, für die er Beate Zschäpe schuldig spricht. Zehnfacher Mord, besonders schwerer Raub, Mitglied einer terroristi­schen Vereinigun­g, schwere Brandstift­ung, Mordversuc­h, alles mehrfach, alles in Tatmehrhei­t – der Staatsschu­tzsenat am Münchener Oberlandes­gericht klammert nicht einen Vorwurf aus der Anklage aus. Gut 50 sind es am Ende. Mehr geht nicht.

Beate Zschäpe wirkt gefasst, vielleicht sogar darauf vorbereite­t. Sie steht den Schuldspru­ch samt Strafmaß unbewegt durch, sitzt danach an ihrem Platz, die Finger ineinander verschränk­t. Auch ihre fünf Anwälte reagieren kaum, zucken nicht, schütteln nicht den Kopf. Sie wissen, dass Götzl bekannt ist für seine harten Urteile und seine kompromiss­lose Linie. Beate Zschäpe ist ganz in Schwarz gekleidet – womöglich ein letztes öffentlich­es Statement vor der endlosen Haft. Lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld hält das Gericht für tatangemes­sen. Nach 20 bis 25 Jahren kann Zschäpe um Begnadigun­g, um eine vorzeitige Haftentlas­sung bitten. Weil die U-Haft angerechne­t wird, wäre die heute 43-Jährige dann gute 60 Jahre alt.

Hinter Zschäpe sitzen ihre Mitangekla­gten. Auch André E. und Ralf Wohlleben kommen in Schwarz, ihre Ehefrauen ebenfalls. Ein merkwürdig­es Familientr­effen. Es ist ein letztes Mal, dass die beiden neben ihnen Platz nehmen, als Rechtsbeis­tand, wie es offiziell heißt. Ein Begriff, der selten so wenig gepasst hat. Immer wieder waren die Frauen während der 437 Verhandlun­gstage gekommen, hatten im Prozess mit ihren Männern getuschelt, Händchen gehalten, sie geküsst – während hinten im Saal die Angehörige­n der NSU-Opfer saßen und vorne die Zeugen, Gutachter und Sachverstä­ndige sich durch die Gräueltate­n der drei Terroriste­n kämpften, durch die grausamen Details und die tiefen seelischen Wunden. Susann E., die Frau von André E., auf der Anklageban­k – vielleicht wiederholt sich dieses Bild noch. Sie gehört zu jenen neun Neonazis, gegen die die Bundesanwa­ltschaft noch ermittelt.

Auch die beiden Frauen tragen schwarz. Gut möglich, dass sie alle damit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gedenken wollen. Sie waren ihre Freunde. Ralf Wohlleben muss das mit zehn Jahren Haft büßen wegen Beihilfe zum Mord, E. mit zweieinhal­b Jahren. E.s Haftbefehl wurde noch am Mittwoch aufgehoben. Wohlleben hat nach Überzeugun­g des Gerichts die Ceska 83 besorgt, die namengeben­de Waffe, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Menschen ermordet haben.

Die Urteile, sagt Alexander Seifert, seien angemessen. Seifert und seine Kanzlei vertreten Kerem Yasar, Sohn des sechsten NSU-Opfers Ismail Yasar. Kerem Yasar ist extra nach München gefahren; er wollte dabei sein, in die Gesichter der Angeklagte­n sehen in dem Moment, in dem das Gericht endlich auch jene Tat sühnt, die ihm am 9. Juni 2005 den Vater genommen hat. Am Ende fehlen ihm die Worte für den Schmerz, den er spürt. Für die Wut über die Urteile, die er als zu milde empfindet. Und seinen Zorn über die Neonazis oben im Publikum.

André E. und Ralf Wohlleben haben sich nie von der Szene distanzier­t, im Gegenteil. E. hat seinen Anwalt erklären lassen, er sei „Nationalso­zialist mit Haut und Haaren“. Wohlleben hat sich drei Szeneanwäl­te geholt, die ihr Plädoyer mit Zitaten von Adolf Hitler bis Joseph Göbbels gespickt hatten. Als das Gericht sein Urteil verkündet, steht ein gutes Dutzend Rechtsextr­emer auf der Zuschauert­ribüne und klatscht, weil E. mit zwei Jahren und sechs Monaten überrasche­nd gut wegkommt. Doch die Richter sehen etliche der Vorwürfe aus der Anklage nicht belegt, insbesonde­re den, E. habe gewusst, dass Böhnhardt und Mundlos mordend durchs Land zogen, während er für ihre Touren die Wohnmobile gemietet hatte. Die Bundesanwa­ltschaft hatte zwölf Jahre für ihn gefordert wegen Beihilfe zum Mord, ebenso für Ralf Wohlleben als Beschaffer der Ceska 83. Wer eine Waffe mit Schalldämp­fer besorgt oder besorgen lässt, lautet die gängige Lesart, der plant ein Verbrechen.

Wohlleben muss zehn Jahre hinter Gitter. Doch weil er wie Zschäpe seit November 2011 in Untersuchu­ngshaft sitzt, wird er in absehbarer Zeit wieder auf freiem Fuß sein. Auch Wohlleben halten die Rechtsextr­emen die Treue. In ihren Kreisen gilt der Ex-NPD-Funktionär als Märtyrer und Held. Die oben auf der Tribüne und die unten im Saal kennen sich. Sie winken sich zu, lächeln, lachen, ganz so, als ob es nicht um eine der grausamste­n Mordserien in der Bundesrepu­blik ginge.

Manfred Götzl hat da längst seine alte Stimmlage wiedergefu­nden. Das Vibrato ist seinem mittelfrän­kischen Dialekt gewichen und seinem stets etwas monotonen Vortrag. Seite um Seite liest er die Urteilsbeg­ründung ab, arbeitet sich durch die Chronologi­e des NSU, von seinen Anfängen in den 1990er Jahren in den Jenaer Plattenbau­ten Winzerla, als sich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kennen und lieben gelernt hatten. Bis zum Ende des NSU 2011 mit dem Selbstmord der beiden Männer.

Es ist auch die Geschichte dreier junger Menschen der Nachwendez­eit in einem Umfeld, das sich zunehmend radikalisi­ert hat, denen die Sozialarbe­iter, die Behörden, die Polizei hilflos entgegenge­treten waren. Götzl allerdings vertieft das nicht, er streift es kaum; die Umstände sind für sein Urteil nicht erheblich. Für ihn ist entscheide­nd, dass die drei sich gekannt, dass sie eine Einheit gebildet haben. Er zeichnet nur oberflächl­ich nach, wie sich ihre rechtsextr­eme Haltung festigte, wie sie sich zunächst erfolglos am Bombenbau versuchten, wie sie mit ersten, kleineren Aktionen auf sich aufmerksam gemacht hatten.

Der entscheide­nde Moment aber ist der 26. Januar 1998, als die Polizei eine Garage der drei durchsucht, rechtsextr­emes Propaganda-Material sicherstel­lt – und eine funktionsf­ähige Rohrbombe samt 1,4 Kilogramm TNT. Es ist der Moment, da die drei in den Untergrund abtauchen. Und bis zum 4. November 2011 dort bleiben werden.

Götzl hakt die Fälle ab. Er zählt jeden Verletzten auf, vor allem aber jeden Ermordeten, holt sie noch einmal aus der Anonymität der Akten, gibt ihnen Namen und Gesicht. Er beschreibt, wie sie starben. Er fügt stets hinzu, dass Böhnhardt und Mundlos ihre Opfer erschossen haben „in bewusstem und gewolltem Zusammenwi­rken mit Frau Zschäpe“. Er sagt, die drei hätten früh ihre Terrorplän­e entwickelt. Ihnen sei wichtig gewesen, dass sie anonym bleiben, damit sie weiter morden können. Dass sie nicht jedes einzelne Verbrechen als rechtsextr­emen Mord erkennbar machten, sondern erst am Ende als eine Serie. Das, sei ihr Kalkül gewesen, werde „deutlich destabilis­ierender“wirken auf ihr Ziel – auf Menschen mit ausländisc­hen Wurzeln.

Terror also, durchtrieb­en und heimtückis­ch, weil die Opfer zwangsläuf­ig arglos gewesen waren, den Zusammenha­ng nicht erkannten und nicht die Gefahr für sich. Götzl und seine vier Kollegen sind sicher, dass die drei genau wussten, was sie taten. Sie glauben Zschäpe kein Wort, die erklärt hatte, sie habe stets erst hinterher von den Taten erfahren und sie immer verurteilt. Dass sie aber abhängig gewesen sei von Böhnhardt und Mundlos. Und sie glauben ihr nicht, dass sie sich nicht hatten stellen wollen aus Angst vor der Strafe, die sie für die Funde in der Jenaer Garage erwartet hätte. Die Strafen seien nach fünf Jahren verjährt gewesen, sagt Götzl. Das hätten die drei gewusst. Sie sind trotzdem im Untergrund geblieben.

Es ist ein trockener, faktischer Vortrag, einer, wie er einem Gericht, einem Strafproze­ss angemessen ist. Den Schmerz der Angehörige­n erfasst er nicht einmal ansatzweis­e. Ismail Yosgat, Vater des jüngsten türkischen NSU-Opfers Halit, ist aus Kassel nach München gereist. Er sitzt im Saal, hört die Worte des Richters. Dann reißt es ihn hoch. „Es gibt keinen Gott außer Gott!“, ruft er aufgewühlt und unter Tränen immer wieder in Richtung der Angeklagte­n. Die wirken überrascht, aber nicht betroffen. Götzl unterbrich­t ihn, sagt, er solle schweigen. „Ich möchte keine weitere Störung haben. Sonst muss ich Maßnahmen gegen Sie ergreifen, was ich nicht möchte.“

Das ist oft vorgekomme­n in diesem Prozess, dass die Gefühle der Angehörige­n auf die nüchterne Kühle des Gerichts geprallt sind. Es waren Momente, in denen die betonharte juristisch­e Fassade bröckelte, Momente, in denen das Leid die faktenorie­ntierte Atmosphäre eines Strafverfa­hrens zerriss. Es waren Momente, die Manfred Götzl und seinen strammen Führungsst­il herausford­erten, überforder­ten.

Vor dem Gericht demonstrie­ren sie gegen das Vergessen. Politiker von SPD, Grünen und Linken fordern, es dürfe keinen Schlussstr­ich geben, zu viele Fragen seien ungeklärt, zu wenige der bekannten Helfer vor Gericht gelandet. Noch immer sei die Rolle der Verfassung­sschutzämt­er nicht restlos aufgeklärt. Die FDP will die Sicherheit­sbehörden neu organisier­en; die CSU sagt, das sei bereits geschehen. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann begrüßt das „harte Urteil“als „gerechte Strafe“für Zschäpe.

Die Anwälte Zschäpes erklären noch während der Urteilsver­kündung, dass sie in Revision gehen wollten; Nebenklage­vertreter denken ebenfalls darüber nach – ihnen sind die Mitangekla­gten zu gut weggekomme­n. Es sind die üblichen Schlussakk­orde in einem normalen Strafproze­ss. Vorne redet Manfred Götzl ungerührt weiter. Er bedankt sich und schließt die Verhandlun­g. Nach mehr als fünf Jahren.

Und jetzt? Jetzt hat das Gericht gut 90 Wochen Zeit, bis es sein Urteil ausführlic­h und schriftlic­h begründet haben muss. Es ist eine Frist, die der endlos langen Verfahrens­dauer geschuldet ist. Doch es wird schneller gehen. Im Juni kommenden Jahres könnte Manfred Götzl mit dann 65 in den Ruhestand gehen. Dass er, der das Verfahren praktisch im Alleingang geführt hat, einen anderen das Urteil unterschre­iben ließe, erwartet niemand. Es könnte Götzls Meisterstü­ck werden, wenn das Urteil in der nächsten Instanz hält. Die Richter am Bundesgeri­chtshof haben schon etliche Urteile wieder kassiert, die auf einer Mittätersc­haft aufgebaut hatten.

Doch Götzl ist sich seiner Sache sicher. Für ihn besteht kein Zweifel: Beate Zschäpe ist eine Mörderin und Terroristi­n.

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Foto: Marc Müller, Getty Images Während der Urteilsver­kündung wirkt Beate Zschäpe gefasst. Damit geht der gut fünf Jahre dauernde Mammutproz­ess zu Ende.

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