Im Reisebus mit der Flasche zugeschlagen
Warum ein 24-Jähriger, der durch Abwesenheit glänzt, trotzdem verurteilt wird
Günzburg „Was ist eigentlich passiert?“, fragte gestern ein Zuhörer im Saal 1.1 des Günzburger Amtsgerichts. Normalerweise unüblich, aber die Verhandlung war unterbrochen. Die Frage kam von einer Klasse der Ichenhauser Hans-Maier-Realschule. Richterin Franziska Braun antwortete, konnte aber nichts zum Inhalt der Anklage sagen, so weit sie nicht öffentlich behandelt wurde. Ein 24-jähriger Somalier hatte erheblich alkoholisiert in einem Reisebus randaliert und eine Landsfrau krankenhausreif verletzt.
Wegen einiger juristischer Komplikationen zog sich das Verfahren zu diesem Delikt ziemlich in die Länge. Am gestrigen Mittwoch war bereits die dritte Verhandlung beim Amtsgericht angesetzt. Beim ersten Mal sei der Angeklagte da gewesen, so Richterin Braun. Doch es konnte nicht verhandelt werden, da kein Dolmetscher für somalische Sprache verfügbar war. Beim nächsten Termin kam der Afrikaner nicht. Es erging ein Strafbefehl über neun Monate auf Bewährung. Der Verurteilte legte über seinen Pflichtverteidiger Walter Deistler (Günzburg) Einspruch ein. Deshalb sollte nun Recht gesprochen werden, doch der Angeklagte erschien nicht.
Die Zustellung der Ladung zur Verhandlung an die zuletzt bekannte Adresse des Mannes in einer Gemeinschaftsunterkunft im badenwürttembergischen Reutlingen klappte nicht, berichtete gestern der Anwalt. Er selbst habe vor dem Gerichtstermin keinen Kontakt mit seinem Mandanten gehabt.
Der Vorwurf der Anklage gegen den 24-Jährigen lautete ursprünglich auf gefährliche Körperverletzung. In einem Reisebus Richtung München war der Somalier Ende März vergangenen Jahres laut Staatsanwaltschaft ausgerastet. Er hatte mit einer Flasche, in der sich Alkohol befand, auf eine Landsfrau eingeschlagen.
Die zog sich dabei einen Bruch des linken Jochbeins zu und litt unter Kopfschmerzen. Die junge Frau kam gestern als Zeugin zur Verhandlung – aber unter besonderen Umständen: Sie wurde mit Handschellen gefesselt aus einem baden-württembergischen Gefängnis in Polizeibegleitung vorgeführt, in dem sie wegen anderer Straftaten sitzt. Weil der Somalier während der Busfahrt einiges an Whisky beziehungsweise Wodka konsumiert hatte, ergab die von der Polizei veranlasste Blutprobe einen Wert von fast 2,5 Promille. Er befand sich daher in einem Zustand der Alkohol bedingten Schuldunfähigkeit, und die Anklage wurde in vorsätzlichen Vollrausch umgewandelt.
Während der Wartezeit auf den Angeklagten konnten die Schülerinnen und Schüler Fragen zum Gerichtsverfahren stellen: Wenn der Dolmetscher nicht richtig übersetze, könne eine Richterin selbst dolmetschen, und Ähnliches wollten sie wissen. Als die Wartezeit abgelaufen war, verkündete Richterin Braun das Urteil: Der Einspruch gegen den Strafbefehl wird verworfen.
Damit ist er rechtskräftig und der Verurteilte hat keine Möglichkeit mehr, dagegen Rechtsmittel einzulegen, wie sein Anwalt gegenüber unserer Zeitung sagte.
Die beiden geladenen Zeugen, ein Polizeibeamter und das Opfer, wurden ohne Aussage entlassen, was vorher nicht abzusehen war, wie Richterin Braun den Prozessbeteiligten bedauernd mitteilte.