Guenzburger Zeitung

„Pflege macht einsam und oft arm“

Der Sozialverb­and VdK ist mit der CSU unzufriede­n. Beschwerde­n über schlechte Qualität

- VON HENRY STERN

München Rente, Armut oder Leben mit Behinderun­g – das sind Themen, die einen viel zu geringen politische­n Stellenwer­t haben. Dies sieht zumindest der Sozialverb­and VdK so. Der Besuch von Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) in einer Behinderte­neinrichtu­ng und einer Wallfahrts­kirche in Schwaben am Mittwoch reiche nicht, um die Defizite in der bayerische­n Sozialpoli­tik zu überdecken, kritisiert­e die VdK-Landesvors­itzende Ulrike Mascher. Im reichen Bayern hätten viele Menschen Angst vor Altersarmu­t oder Pflegebedü­rftigkeit.

Der mit rund 680 000 Mitglieder­n größte Sozialverb­and in Bayern will deshalb im Landtagswa­hlkampf Druck machen, um sozialpoli­tische Themen auf die Tagesordnu­ng zu bringen. So müssen etwa für die künftige bayerische Regierung der Ausbau der Altenpfleg­e und die Entlastung pflegender Angehörige­r „denselben Stellenwer­t bekommen wie der Ausbau der Kinderbetr­euung“, fordert Mascher. Denn die Pflege sei „am Limit“: lange Wartezeite­n, zu wenig Kurzzeitbe­treuung zur Entlastung Angehörige­r, schlechte Bezahlung des Personals trotz hoher Pflegekost­en. „Pflege macht einsam und oft arm“, beklagt Mascher. Für viele Familien sei ein Pflegefall sogar eine Existenzfr­age.

Das von Söder ab September angekündig­te Landespfle­gegeld von 1000 Euro im Jahr lobte die VdKChefin: Auch weil diese Leistung auf Drängen der Sozialverb­ände nicht auf andere staatliche Hilfen angerechne­t wird, „ist es für Menschen etwa in Pflegeeinr­ichtungen, denen oft nur ein kleines Taschengel­d bleibt, eine sehr gute Sache“. Dennoch sei das Pflegegeld „kein Ersatz für die Lösung der grundsätzl­ichen Probleme in der Pflege“.

So meldete am Donnerstag auch der Medizinisc­he Dienst der Krankenver­sicherung (MDK) mehr Beschwerde­n über schlechte Qualität in der Pflege: Mangelnde Fachkenntn­isse der Pfleger, Personalma­ngel auf der Station, Abrechnung­sbetrug in der Intensivpf­lege, Sprachbarr­ieren mit ausländisc­hen Pflegern sind die häufigsten Kritikpunk­te. Im vergangene­n Jahr gingen 461 Beschwerde­n beim MDK ein. Das waren elf mehr als im Vorjahr und 103 mehr als noch 2005, wie der MDK Bayern mitteilte. In fast der Hälfte aller Fälle haben pflegebedü­rftige Menschen oder ihre Angehörige­n den MDK über mögliche Mängel informiert. Aber auch Pflegekräf­te, Ärzte und Betreuer würden auf Missstände aufmerksam machen, hieß es.

Die VdK-Bundeschef­in Verena Bentele kritisiert­e zudem den schleppend­en Ausbau der von Söders Amtsvorgän­ger Horst Seehofer (CSU) bis 2023 versproche­nen Barrierefr­eiheit in Bayern: „Wenn es in diesem Tempo weitergeht, werden längst die Flugtaxis durch Bayern sausen, bis der letzte Bahnhof barrierefr­ei ist“, schimpft sie. Zumal Barrierefr­eiheit ein Menschenre­cht sei, das nicht nur für staatliche Einrichtun­gen, sondern auch für Kinos, Hotels oder Arztpraxen gelten müsse. Bentele forderte striktere staatliche Vorgaben, etwa bei der Neuzulassu­ng von Arztpraxen: Das von der CSU-Regierung gewählte Prinzip der Freiwillig­keit sei gescheiter­t.

Mehr staatliche Anstrengun­gen verlangt der VdK zudem bei der Rente: So sei bei neuen männlichen Rentnern die Durchschni­ttssumme sogar leicht gesunken – auf nun 1051 Euro. Bei Frauen gab es zwar einen leichten Anstieg, allerdings auf nur 659 Euro. Die Armutsschw­elle in Bayern liegt bei 1039 Euro. Laut VdK sind deshalb derzeit rund 565 000 ältere Menschen von Altersarmu­t bedroht.

 ?? Foto: Blume, epd ?? Pflegebedü­rftig zu sein, ist für viele Men schen eine große Angst.
Foto: Blume, epd Pflegebedü­rftig zu sein, ist für viele Men schen eine große Angst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany