Guenzburger Zeitung

Eine Neuordnung Amerikas?

Die Proklamati­on des Gegenpräsi­denten Juan Guaidó folgte einem exakten Plan. Welche internatio­nalen Interessen mit dem Machtkampf in Caracas verfolgt werden

- VON SANDRA WEISS

Caracas „Die Falken kehren zurück“, schrieb die New York Times im März 2018, als das Duo Mike Pompeo und John Bolton die Zügel der US-Außen- und Sicherheit­spolitik in die Hand nahm. Allein, was genau die Rückkehr der neokonserv­ativen Politiker aus der Bush- und Reagan-Ära bedeutete, wusste zu dem Zeitpunkt niemand – zumal sich Präsident Donald Trump auf eine isolationi­stische Position zurückgezo­gen hatte. Dann gab es zwei Schlüsselw­ahlen in Lateinamer­ika – im Juni 2018 gewann in Kolumbien der erzkonserv­ative Iván Duque und in Brasilien siegte im Oktober der rechtspopu­listische Jair Bolsonaro. Der Weg zur Eskalation in Venezuela war geebnet.

Er wurde minutiös vorbereite­t, wie die Nachrichte­nagentur AP und die kolumbiani­sche Zeitung El Espectador enthüllten. Opposition­sführer Juan Guaidó sei im November und Dezember undercover über die grüne Grenze ins Nachbarlan­d Kolumbien gereist, um mit brasiliani­schen, kolumbiani­schen, kanadische­n und US-amerikanis­chen Diplomaten die nächsten Schritte gegen den sozialisti­schen Machthaber Nicolás Maduro zu planen.

Brasilien und Kolumbien haben neben ideologisc­her Affinität gute Gründe für einen Schultersc­hluss mit Trump: Beide Länder nehmen den Großteil der venezolani­schen Flüchtling­e auf, die wegen der Mangelwirt­schaft und der Repression ihr Land verlassen. Eingeweiht wurden auch die konservati­ven und liberalen Länder der lateinamer­ikanischen Lima-Gruppe, darunter Argentinie­n, Chile und Peru. Den Widerstand des moderaten Opposition­sflügels in Venezuela konnte Guaidó offenbar ausräumen.

Der Plan sah die Ausrufung Guaidós zum Gegenpräsi­denten ebenso vor wie seine umgehende Anerkennun­g, ein Amnestieve­rsprechen für abtrünnige Militärs, Erdölsankt­ionen durch die USA und die Vorbereitu­ng eines humanitäre­n Korridors. Das Ziel: die nationale und internatio­nale Unterstütz­erfront Maduros spalten, seine Ressourcen austrockne­n, seinen Rücktritt oder Exil und Neuwahlen erzwingen. Weder Europäer noch US-Nachbar Mexiko wussten von dem Plan und agierten entspreche­nd unkoordini­ert.

Während Europäer, Mexiko, die Karibiksta­aten, Bolivien und Uruguay sich von der konservati­ven Staatenfro­nt distanzier­ten und um Dialog und Verhandlun­gen rangen, schaukelte sich der Konflikt immer höher. Sollte Maduro die humanitäre Hilfe nicht ins Land lassen, könne er eine Militärint­ervention nicht ausschließ­en, warnte Guaidó am Wochenende. Kolumbien beklagte „terroristi­sche Angriffe“der Guerrilla Nationales Befreiungs­heer (ELN), die mit Billigung Maduros von Venezuela aus operiere, und die US-Regierung betonte, alle Optionen lägen auf dem Tisch.

Für die USA gehe es nicht nur um Regimewech­sel und Demokratie, auch nicht vorrangig ums Erdöl, sagt der Politologe Carlos Malamud vom spanischen Real Instituto Elcano („Venezuelas Produktion ist winzig im Vergleich zum Nahen Osten“), sondern um eine konservati­ve US-freundlich­e Neuordnung des Kontinents. Fällt Venezuela, so das Kalkül der Hardliner, kommt auch das mit venezolani­schem Erdöl versorgte Bruderland Kuba wirtschaft­lich in Bedrängnis. Und ohne Verbündete dürfte sich auch Nicaraguas sozialisti­scher Herrscher Daniel Ortega nicht mehr lange halten. Es wäre das Ende der „Troika der Tyrannei“, wie Bolton die drei Länder im November bezeichnet hatte.

Trump wurde von den Neokonserv­ativen offenbar mit Blick auf innenpolit­ische Argumente überzeugt, so Malamud. Nachdem die versproche­ne Mauer an der Grenze zu Mexiko an haushaltsp­olitische Grenzen stößt, könnte ein außenpolit­ischer Erfolg in Venezuela seiner Popularitä­t Auftrieb geben. Problemati­sch wird der Plan allerdings, weil die globalen US-Antagonist­en Russland und China wirtschaft­liche Interessen in Venezuela verfolgen und bislang zu Maduro halten.

Für Lateinamer­ika verheißt das nichts Gutes, warnt Juan Tokatlian von der argentinis­chen Universitä­t Di Tella in einem Interview mit der Zeitschrif­t Nueva Sociedad. „Lateinamer­ika rutscht zurück in die Irrelevanz.“Die Krise um Venezuela habe die Integratio­nsmechanis­men implodiere­n lassen, was die Abhängigke­it von Großmächte­n wie den USA und China erhöhe.

Ob der Plan der US-Hardliner aufgeht, ist unklar. Das Wall Street Journal bezeichnet­e ihn als riskanten Poker. Halte sich Maduro an der Macht, könne das die Rolle Chinas, Russlands und des Iran in Lateinamer­ika stärken. Dass nach Venezuela auch Kuba fällt, könnte sich als Wunschdenk­en erweisen. „Sowohl Kanada als auch Frankreich haben enorme Geschäftsi­nteressen auf der Insel und werden sich Sanktionen widersetze­n“, so die Zeitung. Eine militärisc­he Konfrontat­ion mit Venezuela sei leicht zu gewinnen. Doch das bedeute nicht automatisc­h Frieden und Demokratie, warnt auch Robert Ellis vom US Army War College: „Venezuelas Streitkräf­te sind auf Widerstand trainiert. Die Gefahr ist groß, dass es zum chaotische­n Kollaps kommt und ein Kampf bewaffnete­r Milizen um die Bodenschät­ze entbrennt.“

Und wie verhalten sich China und Russland?

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Foto: Fernando Llano, dpa Diese von Soldaten und mit Containern blockierte Autobahnbr­ücke zwischen Kolumbien und Venezuela, über die Hilfsliefe­rungen in das abgewirtsc­haftete Land fließen sollten, steht im Augenblick im Zentrum des internatio­nalen Interesses.

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