Guenzburger Zeitung

Atlantis – ein Mythos wird lebendig

Generation­en von Forschern haben sich mit der Suche nach der sagenumwob­enen Insel beschäftig­t. Wie Besucher auf Santorin in einem neuen Museum der Legende näher kommen, als ihnen vielleicht lieb ist

- VON MICHAEL JUHRAN

Die Erde bebt. Dumpfes Grollen und eine Aschewolke kündigen Unheilvoll­es an. Es folgt eine gewaltige Explosion, die mit ohrenbetäu­bendem Knall die Spitze eines Vulkans zerreißt. Lavagestei­n bis zur Größe von Lastkraftw­agen fliegt auf den Betrachter zu, pyroklasti­sche Ströme von mörderisch­er Hitze wälzen sich über Festland und Meer, gefolgt von haushohen Flutwellen, die rasend schnell über die See fegen. Instinktiv hebt man die Arme zum Schutz vor den Urgewalten biblischen Ausmaßes, so realistisc­h erlebt man heute die Apokalypse, die vor dreieinhal­btausend Jahren alles Leben auf Thera (heute Santorin) vernichtet­e.

Vor einem Jahr öffnete auf der griechisch­en Ägäis-Insel das erste Atlantis-Museum der Welt seine Pforten, ausgestatt­et mit Hightech vom Feinsten. Das 9D-Kino glänzt mit realitätsn­ahem, dreidimens­ionalem Filmmateri­al, das Besucher mit allen Sinnen auf hydraulisc­h bewegten Stühlen auf sich wirken lassen. Während des Tsunamis auf der Leinwand spritzt aus den Armlehnen sogar Wasser.

Zuvor müssen sich die Gäste der „Lost Atlantis Experience“den Weg über virtuell glühende Lavabrocke­n bahnen. Am Ende der Feuerstraß­e erwartet sie dann ein Touchscree­n, auf dem sich der Lebensweg Platons verfolgen lässt, der in seinen Büchern Kriterias und Timaios um das Jahr 360 v. Chr. erstmals über Atlantis berichtete. Ein paar Meter weiter wird der griechisch­e Philosoph mittels einer Projektion zum Leben erweckt und beantworte­t Fragen der Museumsbes­ucher.

Fasziniert steht man vor rotierende­n 3D-Hologramme­n, die die geologisch­e Entwicklun­g Santorins von prähistori­schen Zeiten bis zur Gegenwart nachzeichn­en. Dabei erfährt der Betrachter von geologisch­en Forschungs­ergebnisse­n aus dem Jahr 1989, nach denen Thera vor 3600 Jahren dem Atlantis-Bild Platons überrasche­nd ähnlich aussah: Ein Hügel, umgeben von „kleineren und größeren Ringen von

Meerwasser und Erde umeinander“. In der oberen Etage gewährt ein detailreic­h gebautes Atlantis-Diorama Einblicke in das tägliche Leben der Bewohner. Der interessan­teste Teil der Ausstellun­g kommt jedoch am Schluss, wenn Platons Beschreibu­ngen anhand von Beispielen mit der Realität Santorins verglichen werden.

Museumsdir­ektor Giorgos Koukoulas kam vor 13 Jahren auf die Ägäis-Insel, deren Ähnlichkei­ten mit Atlantis ihm seither keine Ruhe ließen. 2012 schrieb er mit „Atlantis wird nie untergehen“seine erste Novelle. Sieben Jahre später ging sein Traum von einem Museum in Erfüllung, das er mit fünf Freunden selbst geplant und finanziert hat. „Platon wollte seine Idee eines idealen Staates in eine real existieren­de Umgebung einbetten“, ist er sich sicher. „Mit der hoch entwickelt­en Kultur, ihren geologisch­en Besonderhe­iten und ihrer dramatisch­en Geschichte liegt es äußerst nahe, dass Santorin und die umgebenden Inseln den Ursprung für sein fiktives Atlantis bilden.“

Begibt man sich auf die Suche nach Indizien für die Richtigkei­t dieser These, kann ein Aufenthalt auf Santorin zu einer echten Entdeckung­sreise werden. Die erste Station dabei ist die nur wenige Kilometer vom Lost Atlantis Museum entfernte archäologi­sche Stätte von

Badegäste, die sich bis Anfang November bei intensivem Sonnensche­in im 20 Grad warmen Wasser am Red Beach tummeln, kombiniere­n ihren Strandaufe­nthalt gern mit einem Gang durch die nahe gelegene Ausgrabung­sstätte; einer Stadt aus der Bronzezeit, die vor dreieinhal­btausend Jahren den Höhepunkt ihrer Kultur erreicht hatte. Ähnlich wie Platon den Untergang von Atlantis durch Erdbeben und Überschwem­mungen veranschau­lichte, wurde auch Akrotiri um 1620 v. Chr. durch ein Erdbeben zerstört. Allerdings erwähnte der Philosoph in seinen Werken keinen Vulkanausb­ruch, dessen Asche die Stadt bedeckte.

Erst 1967 begannen in Akrotiri umfassende Ausgrabung­en, die sich noch viele Jahre hinziehen werden. Doch bereits der bislang freigelegt­e, etwa zwei Hektar große Teil des archäologi­schen Geländes gibt Aufschluss über eine Gesellscha­ft, wie sie Platon als „großes und wunderbare­s Reich“in seinen Werken skizzierte. Wandgemäld­e, die sich leider größtentei­ls noch im Magazin des Museums befinden, zeigen eine durch Handel und Seefahrt geprägte Zivilisati­on, die damals ihrer Zeit weit voraus war.

Besonders auffällig ist das im sogenannte­n Westhaus aufgefunde­ne Fries mit einer Armada von Schiffen, die der Beschreibu­ng Platons auch im Freien. www.auswaertig­es‰ amt.de/ReiseUndSi­cherheit. Auch die Sperrstund­en wurden vorgezogen.

„Der größte Hafen wimmelte von Schiffen und Kaufleuten“sehr nahe kommt. Bei einem Rundgang durch die Gassen der 3600 Jahre alten Stadt kommt man aus dem Staunen nicht heraus, über welche Techniken die Menschen bereits damals verfügten. Bis zu drei Etagen hohe Häuser, freitragen­de Treppen, Abwasserka­näle, gepflaster­te Straßen, Badewannen und Toiletten in den Gebäuden verdeutlic­hen den Wohlstand in der unter Vulkanasch­e so hervorrage­nd konservier­ten Stadt, wie man sie sonst nur in Pompeji oder Herculaneu­m findet. Auch Platon hatte in seinem Kritias-Dialog von Kanälen und Badehäuser­n berichtet.

Anders als in Italien fand man bislang jedoch keine menschlich­en Überreste in Akrotiri. Archäologe­n vermuten, dass sich die Menschen angesichts immer stärker werdender Erdbeben noch vor den großen vulkanisch­en Verwüstung­en auf ihre Schiffe retteten. Ob sie den folgenden pyroklasti­schen Strömen und bis zu 30 Meter hohen Meereswell­en entgehen konnten, ist wenig wahrschein­lich. Museumsfüh­rerin Eugenia Liodaki zieht noch eine weitere Erklärung in Betracht: „Die BeAkrotiri.

● Unterkunft z. B. Hotel Mystique in Oia, ab ca. 320 Euro pro Nacht mit spektakulä­rer Sicht auf die Caldera (https://mystique.gr/), z. B. Helioto‰ pos Hotel in Imerovigli, ab ca. 165 Euro pro Raum (https://hotel.helioto‰ pos.net), Hotel Istoria, am Strand von Perivolos nahe Akrotiri und Lost At‰ lantis, ab ca. 185 Euro p. P. www.isto‰ riahotel.gr

● Museum Lost Atlantis Experience Museum: Megalochor­i, im Süden der Insel, Eintritt 12 Euro, Kinder bis 12: 6 Euro, (www.lost‰atlantis.com)

● Ausgrabung­sstätte Akrotiri: Akroti‰ ri, im Süden der Insel, Eintritt 12 Euro (www.santorin.gr/akrotiri.php) wohner von Thera waren Erdbeben gewöhnt. Vielleicht evakuierte­n sie die Stadt nur zeitweilig.“Bettgestel­le, die sich vor den freigelegt­en Häusern befinden, deuten auf Aufräumarb­eiten hin, die nach Beendigung der ersten Beben begannen. Offensicht­lich war die Bevölkerun­g nicht bereit, den durch Handel und Seefahrt erreichten Wohlstand und den fruchtbare­n Boden vulkanisch­en Ursprungs ohne Weiteres aufzugeben.

Daneben gab es auf der Insel reichlich Baumateria­l. Einmal mehr zeigen sich Parallelen zu Platons Atlantis auf, dessen Bewohner daraus „Türme und Tore“errichtete­n. „Die Steine dazu“, schrieb er, waren „teils weiß, teils schwarz, teils rot“– typische Gesteinsfa­rben für eine Vulkaninse­l.

Auf einer Wanderung von Oia im Norden Santorins zur Inselhaupt­stadt Fira lassen sich die schwarzen und weißen Gesteinssc­hichten an den Felsklippe­n leicht ausmachen, über denen weiß getünchte Häuser und mit blauen Kuppeln geschmückt­e Kirchen wie Schwalbenn­ester haften. Schwarzer Vulkankies bedeckt auch die schönsten Strände der Insel rund um Perivolos. Imposanten roten Felsen begegnet man am Red Beach oder auf dem Weg von Oia hinunter zum Hafen von Ammoudi.

Bisher stießen Archäologe­n jedoch nicht auf Spuren des Tempels des Poseidon, dessen Lage Platon im Zentrum von Atlantis festmachte. Genau im Mittelpunk­t der Caldera Santorins befindet sich heute die Insel Palea Kameni, auf der einige der von Platon gerühmten heißen Quellen sprudeln. Gemeinsam mit der benachbart­en Nea Kameni verzaubern die beiden Inseln ihre Betrachter besonders im Licht der untergehen­den Sonne.

Sitzt man dann an einem lauen Herbstaben­d noch mit einem Glas erlesenen Assyrtiko-Weines auf der Terrasse des Restaurant­s Charisma in Oia oder des The Wine Bar in Imerovigli, verschmelz­en Mythos und Realität langsam vor dem sich orange, violett und tiefrot färbenden Horizont, der unweigerli­ch die Fantasie anregt.

Konnten sich die Menschen von der Insel retten?

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Foto: Juhran (2), shuttersto­ck/ discoveryg­reece Ist Santorin das sagenumwob­ene Atlantis? Seit einem Jahr gibt es auf der Ägäis‰Insel jedenfalls das erste Atlantis‰Museum der Welt, das nicht nur das Werk Platons thematisie­rt, sondern unter anderem auch Diaramen zeigt. Eugenia Liodaki zeigt in der Ausgrabung­sstätte Akrotiri ursprüngli­che Wandmalere­ien.
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