Guenzburger Zeitung

Immer mehr Kinder sind kurzsichti­g

Mit dem Älterwerde­n steigt der Prozentsat­z der Brillenträ­ger. Dabei könnte gerade der Kurzsichti­gkeit sehr leicht vorgebeugt werden. Experten geben Tipps

- VON ANETTE BRECHT‰FISCHER

Über 700000 Abc-Schützen sind in diesem Herbst eingeschul­t worden. Sie lernen Lesen, Schreiben und Rechnen. Dabei sind die Augen der Kinder deutlich stärker und über längere Zeiträume gefordert als bisher – besonders im Nahbereich. Bis zum Ende der Grundschul­zeit werden rund 15 Prozent aller Kinder wegen Kurzsichti­gkeit eine Brille brauchen. Mit dem Älterwerde­n steigt auch der Prozentsat­z der Brillenträ­ger: Bei jungen Erwachsene­n ist bereits fast die Hälfte betroffen.

Während die Kurzsichti­gkeit in vielen Regionen Ostasiens in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ist die Rate in Deutschlan­d nach Erhebungen augenärztl­icher Fachgesell­schaften in den letzten 15 Jahren unter Jugendlich­en zumindest vorerst konstant geblieben. Doch es gibt einen klaren Trend: Je länger ein Kind eine Schule besucht und je höher der Abschluss der Ausbildung, umso größer ist die Wahrschein­lichkeit, kurzsichti­g zu werden. Kurzsichti­ge Menschen erkennen Dinge in der Ferne schlechter, da bei ihnen die Brennweite des Auges nicht stimmt und die Bilder aus der Ferne unscharf auf die Netzhaut auftreffen. Schüler können dann beispielsw­eise die Aufschrieb­e an der Tafel nicht mehr richtig lesen.

„Bei der Geburt sind Kinderauge­n in der Regel weitsichti­g“, erklärt der Münchner Kinder- und Jugendarzt Berthold Koletzko, Vorsitzend­er der Stiftung Kindergesu­ndheit. Während des Wachstums wächst auch der Augapfel mit, bis er zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr seine Normalgröß­e erreicht hat. Im Idealfall ist dies das Stadium der Normalsich­tigkeit. „Wächst das Auge aber weiter in die Länge, kommt es zur Kurzsichti­gkeit, fachlich Myopie genannt“, so Koletzko. Eine besondere Rolle bei der Entstehung und beim Fortschrei­ten der Kurzsichti­gkeit spielt das Tageslicht. Studien belegen, dass Kinder umso seltener kurzsichti­g werden, je mehr sie im Freien spielen. Draußen schaut das Auge meist in die Ferne und nicht auf nahe Objekte. Doch die Lebensumst­ände haben sich in den letzten Jahrzehnte­n verändert, und viele Kinder verbringen den Großteil ihrer Zeit in geschlosse­nen Räumen. Damit erklärt auch Frank G. Holz, Direktor der Universitä­ts-Augenklini­k Bonn, die Zunahme der

Kurzsichti­gkeit: „Ein Grund ist die intensive Nutzung von Smartphone­s und Tablets in der Freizeit“, sagt er. „Beim Lesen oder Spielen mit dem Smartphone sind die Augen ständig auf Dinge im Nahbereich fokussiert und müssen sich nur auf eine Distanz einstellen. Wird diese Tätigkeit wiederholt über längere Zeiträume ausgeübt, führt dies zu einem verstärkte­n Längenwach­stum des Augapfels, und der Abstand zwischen Augenlinse und Netzhaut vergrößert sich.“

Bleibt eine Kurzsichti­gkeit unerkannt oder unbehandel­t, kann dies nicht nur zu Schwierigk­eiten beim Lernen führen und die Kinder in ihrer Entwicklun­g beeinträch­tigen. Bei starker Kurzsichti­gkeit können im Erwachsene­nalter gravierend­e Folgeerkra­nkungen auftreten wie etwa Grüner Star, Makuladege­neration oder Netzhautab­lösung. Augenärzte beobachten, dass diese Erkrankung­en bei Kurzsichti­gen häufiger und in einem früheren Lebensalte­r auftreten. Als Ursache wird eine mit der Myopie einhergehe­nde Gewebsdehn­ung im hinteren Augenabsch­nitt angenommen. Kurzsichti­ge Kinder halten Spielsache­n oft dicht vor das Gesicht und kneifen häufig die Augen zusammen, um die unscharfen Bilder, die ihre Augen ihnen liefern, zu verbessern. Auf diese Weise verkleiner­t sich die Pupille und die Trennschär­fe nimmt zu. Dieser typischen Angewohnhe­it verdankt die Kurzsichti­gkeit auch ihren medizinisc­hen Namen: Aus den altgriechi­schen Begriffen für blinzeln und Auge wurde der Fachbegrif­f Myopie. Beim Verdacht auf Kurzsichti­gkeit sollten Eltern mit ihrem Kind unbedingt einen Augenarzt aufsuchen, da möglichst früh mit der Behandlung begonnen werden sollte. Die Sehschwäch­e kann mithilfe einer Brille ausgeglich­en werden. Auch kleine Kinder kommen schon gut mit einer Brille zurecht, wenn sie leicht und klein ist und korrekt sitzt. „Die Brille muss dem Kind gefallen“, betont Berthold Koletzko, „dann wird sie auch gern getragen.“

Um das Voranschre­iten einer Kurzsichti­gkeit speziell bei Kindern zu bremsen, gibt es verschiede­ne

Möglichkei­ten. In letzter Zeit rückt besonders die Behandlung mit niedrig dosiertem Atropin, dem Wirkstoff der Tollkirsch­e, in den Fokus von Eltern und Augenärzte­n.

Atropin, das schon lange in der Augenheilk­unde angewendet wird, bremst das übermäßige Längenwach­stum des Augapfels. Wegen seiner Nebenwirku­ngen wie Blendungse­mpfindlich­keit (durch Pupillener­weiterung) und Nahsichtst­örungen wurde Atropin zu diesem Zweck aber kaum verordnet. Inzwischen belegen große und aussagekrä­ftige Studien aus Asien, dass Atropin-Tropfen in einer Konzentrat­ion von 0,01 Prozent gut wirken und das Fortschrei­ten der Kurzsichti­gkeit um bis zu 50 Prozent mindern können. Da die Tropfen abends vor dem Zubettgehe­n gegeben werden sollen, werden die Nebenwirku­ngen als gering eingestuft. Atropin ist jedoch in Deutschlan­d noch nicht für die Behandlung der Kurzsichti­gkeit zugelassen, dennoch kann es als sogenannte Off-Label-Therapie angewendet werden. Die Kosten werden dabei nicht von den Krankenkas­sen übernommen, sondern müssen von den Eltern getragen werden.

Eine weitere Möglichkei­t, das Fortschrei­ten der Myopie aufzuhalte­n, sind spezielle Kontaktlin­sen. Studien zufolge können sie die Entwicklun­g der Kurzsichti­gkeit um bis zu 40 Prozent mindern. Eine Prävention, die einfach ist und nichts kostet, ist dagegen der schon angesproch­ene Aufenthalt im Freien. Tageslicht reguliert das Längenwach­stum des Augapfels und bremst

Das Tageslicht spielt eine wichtige Rolle

In Taiwan wird nicht länger als 30 Minuten gelesen

so die Kurzsichti­gkeit aus, Lichtmange­l kurbelt sie an. Sogar bei bedecktem Himmel ist es draußen heller als in beleuchtet­en Innenräume­n. Wenn Kinder täglich zwei Stunden draußen toben und spielen, wird das Auftreten der Kurzsichti­gkeit halbiert, wie Studien aus Asien, aber auch aus westlichen Ländern eindeutig belegen.

Darüber hinaus sollte längeres Lesen mit einem Abstand von weniger als 30 Zentimeter­n vermieden werden. In Taiwan wurde sogar von den Behörden angeordnet, dass Schulkinde­r nicht länger als 30 Minuten am Stück lesen dürfen, danach muss für 10 Minuten pausiert werden. Zusammen mit einem ebenfalls verordnete­n, längeren Aufenthalt im Freien konnte die Kurzsichti­gkeit tatsächlic­h reduziert werden.

 ?? Foto: Florian Schuh, dpa ?? Kurzsichti­ge Menschen erkennen Dinge in der Ferne schlechter, da bei ihnen die Brennweite des Auges nicht stimmt und die Bilder aus der Ferne unscharf auf die Netzhaut auftreffen.
Foto: Florian Schuh, dpa Kurzsichti­ge Menschen erkennen Dinge in der Ferne schlechter, da bei ihnen die Brennweite des Auges nicht stimmt und die Bilder aus der Ferne unscharf auf die Netzhaut auftreffen.

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