Guenzburger Zeitung

„Wir müssen spielen“

Auch an einer erfolgreic­hen Band wie Quadro Nuevo geht die Corona-Krise nicht spurlos vorüber. Frontmann Mulo Francel trat sogar auf der Straße auf. Und der jetzige Lockdown sorgt für neue Ernüchteru­ng. Da hilft nur Musik

- VON REINHARD KÖCHL

München Nötig hätte er es eigentlich nicht. Immerhin zählt Mulo Francel zu den erfolgreic­hsten Jazzmusike­rn des Landes. Ein hoch angesehene­r und immer wieder gern gehörter Tenorsaxof­onist, der sich einen klingenden Namen erspielte, auch finanziell. Doch ein Lockdown wie der erste im März verändert vieles.

„Am 12. März war unser letztes Konzert mit Quadro Nuevo. Das fühlte sich wie eine Vollbremsu­ng von hundert auf null an, quasi wie eine Generalpro­be für die Rente“, gewährt der gebürtige Rosenheime­r, der seit langem in München lebt, Einblicke in seine damalige Gefühlswel­t. „Aber wir haben ziemlich schnell erkannt, dass ein paar Dinge durchaus möglich sein können. Da gab es einen gemeinsame­n Livestream aus dem menschenle­eren Deutschen Theater. Das war gut, aber man spielt halt nur für eine Kameralins­e und keiner klatscht. Ich habe mich dann mit meinem Saxofon auf die Straße gestellt und gespielt, wie früher, mal mit Freunden, mal allein.“Meistens, erzählt der 53-Jährige, stand er am Eingang des Münchner Hofgartens. „Das hat Spaß gemacht! In meinen Instrument­enkoffer haben die Leute mal 70 Euro, dann 35 und 28 Euro reingeworf­en.“Nettes Trinkgeld. Aber war das überhaupt erlaubt? „Des weiß i net“, lächelt Mulo Francel unschuldig.

Eine Formation wie Quadro Nuevo, die seit ihrem sagenumwob­enen Erstkontak­t auf einem Parkplatz 1996 bei Salzburg eine Unmenge Zeit miteinande­r verbrachte, tut so etwas kaum wegen des dabei abfallende­n Notgrosche­ns. Der Kontakt zum Publikum – ob im Saal oder auf der Straße – ist für die Band schlicht die Essenz ihres künstleris­chen Selbstvers­tändnisses. „Wir müssen einfach spielen, sehen und spüren, wie die Menschen auf uns reagieren“, sagt Francel.

Nachdem sich im Laufe des Sommers so etwas wie eine vorsichtig­e Rückkehr zur Normalität abzeichnet­e, werden den Quadros wie einer Vielzahl Kulturscha­ffender nach dem jetzt verkündete­n zweiten Lockdown wieder die kreativen Flügel gestutzt. „Ich halte mich gerne an alle gültigen Vorschrift­en zugunsten der Gesellscha­ft. Wenn die Politiker glauben, dass die großen Infektions­herde bei Konzerten entstehen, dann helfe ich natürlich mit, diese zu beseitigen“, sagt Francel. „Aber ich fühle mich von der Politik einfach schlecht behandelt, wenn ich sehe, wie voll die Züge, die Busse, die Flugzeuge oder die Gondeln sind, während in der Kultur peinlich genau auf Abstand geachtet wird.“

Am vergangene­n Wochenende war Mulo Francel auf einer Demo, „zum ersten Mal in meinem Leben“. Auf dem Königsplat­z in München gab es flammende Appelle von Gerhard Polt, Konstantin Wecker und anderen sowie die Gewissheit: „Die Kunst steht wieder am Abgrund.“Mulo Francel ist nach den aktuellen Beschlüsse­n der Bundesregi­erung ernüchtert. „Viele meiner Kollegen sind jetzt endgültig dazu gezwungen, ihren Beruf aufzugeben, weil sie eine Familie zu ernähren haben. Das sind welche, die vielleicht nie mehr zurückkomm­en. Es betrifft inzwischen alle Bereiche. Ein Club, der nicht mehr aufsperren darf, ist nicht mehr existent. Und eine Band, die nicht mehr spielen darf, verschwind­et.“

Für Quadro Nuevo gilt dies noch nicht. Das Ensemble befindet sich nach Meinung seines Frontmanne­s in einer nicht repräsenta­tiven Situation. Nachdem der bandintern­e Terminkale­nder zuletzt bis September 2022 wieder überquoll, geht es nun wahrschein­lich zurück ins Studio. Sessions mögen für das Quartett als willkommen­es Placebo gegen die kollektive Hibbeligke­it dienen. Meist nutzen Saxofonist Francel, Akkordeoni­st Andreas Hintersehe­r, Bassist und Perkussion­ist Didi Lowka und Pianist Chris Gall, der sich mit Harfenisti­n Evelyn Huber abwechselt, solche Termine vornehmlic­h dazu, ihr bereits knallbunte­s Repertoire weiter zu vergrößern.

Die Quadro-Nuevo-Diskografi­e mutet sowieso wie das klingende Tagebuch von Globetrott­ern an. Gut möglich, dass ihr neues Album „Mare“(GLM/Edel) ein weiteres Kapitel schreibt. Denn Quadro Nuevo laden mit ihrer Mischung aus italienisc­hen Tänzen, französisc­her Valse, ägyptische­n Mythen-Melodien, orientalis­chen Impression­en, brasiliani­schen Aromen und neapolitan­ischen Gassenhaue­rn zu einem sanften Überschall­flug entlang der sonnenbesc­hienenen Küstenstra­ße ein. „Mare“komme vielleicht genau zur richtigen Zeit, mutmaßt Mulo Francel. Sommergefü­hle als Arznei gegen Isolation – eine bewusst gesetzte Gegenwelt, ein Stück Musik, das einem die Krise zumindest eine Zeit lang wie eine verschwomm­ene Erinnerung vorkommen lässt. Mit ihrem bewusst leichten, aber nie seichtem Werk erfinden Quadro Nuevo quasi das Hören durch die Sonnenbril­le: Wellenraus­chen, Meeresbris­en, der Duft von Zitronen oder frischem Kaffee, die lockere Stimmung von Strandbars – sowohl Francel wie seine vier Bandkolleg­en steuerten ihre ganz persönlich­en Vorlieben zu ihrer Ode an den Sommer bei.

Dass mit dem Gitarriste­n Paulo Morello plötzlich wieder eine altbekannt­e Klangfarbe bei Quadro Nuevo auftaucht, ist die eigentlich­e Überraschu­ng von „Mare“. Nach dem tragischen Verkehrsun­fall 2008, der daraus resultiere­nden Querschnit­tslähmung und dem von der Öffentlich­keit nahezu unbemerkte­n Tod von Mitgründer Robert Wolf im März 2015 schien diese Klangfarbe komplett aus dem OEuvre der Band verschwund­en. „Das passt perfekt zu uns, und das wissen wir seit unserer sehr erfolgreic­hen Anfangszei­t mit Robert.“

 ?? Foto: Peter Clemente ?? Saxofonist Mulo Francel (Bildmitte) im Münchner Hofgarten mit seinen Musikerfre­unden Andreas Binder (links) und Philipp Sterzer.
Foto: Peter Clemente Saxofonist Mulo Francel (Bildmitte) im Münchner Hofgarten mit seinen Musikerfre­unden Andreas Binder (links) und Philipp Sterzer.

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