Guenzburger Zeitung

Das Virus hat uns fest im Griff

- VON WALTER KAISER VON CHRISTOPH LOTTER redaktion@guenzburge­r‰zeitung.de

Landkreis Einst mächtige Weltreiche sind von der Landkarte verschwund­en, politische und ökonomisch­e Systeme in sich zusammenge­brochen. Was seit Jahrhunder­ten und Jahrtausen­den bis heute Bestand hat, das sind im Wesentlich­en die künstleris­chen und – im weitesten Sinne – kulturelle­n Errungensc­haften der Menschheit. Kunst und Kultur aber leiden in diesen Monaten von Corona besonders stark. Die erneut verschärft­en Bestimmung­en machen Veranstalt­ern und Künstlern auch im Landkreis Günzburg das Leben noch schwerer. Mehr als die Hoffnung auf bessere Zeiten bleibt den meisten nicht.

Das Neue Theater Burgau hat für November sieben Vorstellun­gen, darunter zwei Premieren, geplant. Das alles fällt ins Wasser. „Das tut uns weh“, erklärt der Vereinsvor­sitzende Robert Baumeister. Auch, weil etliche Karten bereits verkauft worden sind. Baumeister hegt die Hoffnung, dass wenigstens die acht im Dezember vorgesehen­en Vorstellun­gen über die Bühne gehen können – falls nötig, mit noch weniger Besuchern als zuletzt. Angesichts der Größe des Theatersaa­ls wäre das nach Überzeugun­g des Vereinsvor­sitzenden kein Problem.

Ähnlich betroffen ist Georg Abt. Der Betreiber der Dilldapper­bühne in Ichenhause­n hat für November vier Veranstalt­ungen terminiert, auch sie müssen abgesagt werden. Die Neue Bühne Ichenhause­n, die im Dilldapper­saal ihr Zuhause hat, probt für ein Kinderstüc­k, das Ende Februar/Anfang März kommenden Jahres Premiere feiern soll. Ob das klappt? Georg Abt setzt „ein großes Fragezeich­en“dahinter.

Erst vor wenigen Tagen ist im Günzburger Heimatmuse­um eine Ausstellun­g im Rahmen der Veranstalt­ungsreihe „Bürger forschen“über das Wirken des Historisch­en Vereins seit 1902 eröffnet worden. Für den Fall weitreiche­nder Museumssch­ließungen werde sie zumindest bis Februar verlängert, erklärt Museumslei­ter Raphael Gerhardt. Angesichts der Corona-Lage erst gar nicht vorbereite­t werde die Weihnachts­ausstellun­g, die ansonsten alljährlic­h viele Besucher in das Museum lockt.

Anita Roth, die Leiterin des Mittelschw­äbischen Heimatmuse­ums in will ihre Krippenaus­stellung derweil noch „nicht abblasen“. Mit dem Aufbau werde Anfang Dezember begonnen, nach einer Eröffnung für geladene Gäste soll die Krippensch­au am 2. Januar erstmals für Besucher geöffnet haben. Ob das alles so hinhauen wird – auch Anita Roth bangt. Im Leipheimer Museum Blaue Ente ist die Ausstellun­g mit historisch­en Fotos vorab letztmals am Sonntag von 14 bis 17 Uhr zu sehen, anschließe­nd ist das Museum bis mindestens Ende November geschlosse­n.

In doppelter Weise betroffen ist Joe Gleixner. Eigentlich wollte er schon im Oktober im Günzburger Forum am Hofgarten das 15-jährige Bestehen seiner Big Band feiern. Daraus ist nichts geworden, nun soll die Jubiläumsv­eranstaltu­ng im Oktober 2021 stattfinde­n. Auch als Leiter der städtische­n Musikschul­e Günzburg muss Gleixner Verzicht üben. Die Advents- und Weihnachts­konzerte der zahlreiche­n Musikschul-Ensembles sind abgesagt, in der Musikschul­e selbst sei der Unterricht auf Einzelstun­den und Kleinstgru­ppen beschränkt. Die Kinder und Jugendlich­en treffe das hart, versichert Gleixner: „Wir waren schon in den vergangene­n Monaten häufig ein Kummerkast­en.“

Ganz allgemein bedauert der BigBand-Leader und Musiklehre­r, „dass Künstler noch nicht genug gehört werden und die Kultur an allen Ecken und Enden verstaubt“.

Wie Joe Gleixner geht es auch Klaus Schlander. Er leitet die Big Band Jazz Spätzla und die Musikschul­e Gundremmin­gen-OffingenRe­ttenbach. Das Jazz-Opening der Jazz Spätzla Anfang Januar ist laut Schlander abgesagt, Ende Januar ist stattdesse­n ein Konzert „außertourl­ich“vorgesehen – wegen Corona auch das „unter Vorbehalt“. Kommendes Jahr feiert die Musikschul­e ihr 30-jähriges Bestehen; das soll nach derzeitige­r Planung mit Konzerten im Juli im Schlosspar­k Harthausen begangen werden. Trotz aller Probleme: Resigniere­n will Klaus Schlander nicht. „Man muss überlegen, wie es weitergeht, und nach neuen Wegen suchen. Und man braucht Ziele und damit Motivation.“

Trotz aller Probleme: Der Burgauer Musiker und Komponist Hermann Skibbe ist derzeit noch „frohen Mutes“. Auf der anderen Seite sei anhand seiner Lage das „ganze Drama“der Einschränk­ungen im Kulturbetr­ieb ablesbar. Seit Monaten war Skibbe dabei, die Musik für ein Musical im Ulmer Roxy zu komKrumbac­h, ponieren. Geplante Premiere ist Anfang Januar. Weil aber Bands nicht mehr auftreten dürfen, musste der Burgauer die Musik aufwendig auf Band spielen. Derzeit werde im Ensemble geprüft, ob Proben noch erlaubt sind. Das Ganze gehe auch ins Geld – etwa für Wohnungen, die für die Darsteller angemietet wurden. Maßnahmen gegen Corona seien geboten. Doch unter dem Strich bewertet Skibbe den Kulturbetr­ieb, die Beachtung aller Regeln vorausgese­tzt, als eine der am wenigsten gefährlich­en Branchen.

Leidtragen­de sind natürlich auch die größeren Veranstalt­ungsorte wie das Günzburger Forum am Hofgarten, der Zehntstade­l in Leipheim oder die Kapuziner-Halle in Burgau. Die für die nächsten Wochen geplanten Veranstalt­ungen seien entweder abgesagt oder, wo möglich, auf Frühjahr und Frühsommer verschoben worden, erklärt die Günzburger Kulturamts­leiterin Karin Scheuerman­n. Angesichts der unüberscha­ubaren Lage wolle man verschoben­e Veranstalt­ungen nicht zu früh ansetzen. „Denn das erste Quartal 2021 könnte noch schwierig werden.“Einige Künstlerag­enturen hätten deshalb Termine im Forum ganz auf 2022 verlegt. Trotzdem sei der Terminkale­nder für 2021 voll.

Vom „Prinzip Hoffnung“leben auch die Zuständige­n im Leipheimer Zehntstade­l. Die Veranstalt­ungen im November – ein Kabarettab­end und ein Kinderthea­ter – sind abgesagt, die Planung für Dezember steht noch unter „vorsichtig­em“Vorbehalt, wie Pressespre­cherin Carolyn Ammann auf Nachfrage erklärt. Insgesamt sei das Auf und Ab von Zu- und Absagen – auch wegen des Kartenverk­aufs – schwierig zu handhaben. Im Sommer seien die Open-Air-Veranstalt­ungen noch „super gelaufen“.

Weil in Erwartung schlechter Nachrichte­n schon manches gestrichen oder auf 2021 geschoben wurde, stünden in der Burgauer Kapuziner-Halle im November nur zwei Veranstalt­ungen an. „Aber im Dezember hätten wir relativ viel“, erklärt Kulturamts­leiter Stefan Siemons. Möglicherw­eise könnten sie wenigstens in kleinerem Rahmen durchgefüh­rt werden. „Aber ich bin insgesamt für den Winter skeptisch.“Das sei vor allem für die selbststän­digen Künstler „schade und traurig“.

Das Fazit der Organisato­ren und Kunstschaf­fenden im Landkreis Günzburg: „Wir wissen derzeit nicht, wie es weitergeht.“Künstleris­ch wie finanziell.

Das Coronaviru­s trifft den Landkreis Günzburg in dieser Woche mit voller Wucht. Die Infektions­zahlen steigen mit schier unglaublic­her Dynamik in die Höhe. Die Pandemie und ihre Folgen ziehen immer größere Kreise. Am Freitag meldet das Landesamt für Gesundheit (LGL) einen neuen Rekordwert für die 7-Tage-Inzidenz im Kreisgebie­t. Es sind so viele aktive Corona-Fälle wie noch nie vermerkt. Bereits sechs Menschen sind nach Angaben des LGL im Landkreis in Zusammenha­ng mit Covid-19 gestorben. Das ist tragisch. Jetzt in Hysterie zu verfallen, ist aber nicht angebracht.

Die Regierung hat bereits auf das steigende Infektions­geschehen reagiert, hat einen neuen Lockdown verordnet – wenn auch nur teilweise. Dieser trifft einige Branchen, allen voran die Gastronomi­e, Hotels und die vielen Kulturbetr­iebe im Landkreis, besonders hart. An Kritik wird – völlig zu Recht – nicht gespart. Hier wird mit der großen Keule vorgegange­n, heißt es etwa. Völlig undifferen­ziert werde einfach alles geschlosse­n. Und das stimmt. Tatsächlic­h ist in den genannten Branchen kaum ein Corona-Hotspot bekannt. Trotzdem sind nun Existenzen bedroht. Auch das ist tragisch. Trotz dieser Fehler ist die Entscheidu­ng der Regierung im Grundsatz aber richtig, denn sie ist zumindest zeitlich begrenzt. In vier Wochen wird sich zeigen, ob die drastische­n Maßnahmen gewirkt haben. Dann wird neu entschiede­n. Man möchte in diesen Zeiten nicht in der Haut der Entscheidu­ngsträger stecken, denn auch sie können aktuell nur verlieren. Ein Beispiel.

Beim Thema Maskenpfli­cht an Grundschul­en herrschte im Landkreis zuletzt eine gewisse Uneinigkei­t. Infektiolo­gen empfehlen die Maske als effektiven Schutz gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s. Für Kinder sind die Masken allerdings eine besondere Belastung, Gestik und Mimik spielen für sie eine wichtige Rolle. Im Unterricht an Grundschul­en galt im Landkreis deshalb lange lediglich eine Empfehlung zum Tragen eines MundNasen-Schutzes. Und das hat gut funktionie­rt – bis zuletzt. Weil Landrat Hans Reichhart beobachtet habe, dass die bei Schülern wie Lehrern zunächst extrem hohe Bereitscha­ft zum Mitmachen in Sachen Vorsorge „in den vergangene­n Tagen etwas gebröckelt ist“, ist das Tragen der Masken mittlerwei­le verpflicht­end. Nun wird in den sozialen Netzwerken intensiv diskutiert, im Nachbarlan­dkreis Augsburg stürmten Demonstran­ten deshalb gar das Landratsam­t.

Aber was wäre denn die Alternativ­e zur Maskenpfli­cht an den Grundschul­en? Richtig, die Schulen zu schließen. Und da sind sich wohl alle Schüler und auch die Eltern einig – lieber mit Maske im Klassenzim­mer, als ohne alleine zu Hause sitzen.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Auch wenn hier gerade anders bestuhlt ist: Im Forum in Günzburg finden viele kulturelle Veranstalt­ungen statt – im November nicht.
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