Das Virus hat uns fest im Griff
Landkreis Einst mächtige Weltreiche sind von der Landkarte verschwunden, politische und ökonomische Systeme in sich zusammengebrochen. Was seit Jahrhunderten und Jahrtausenden bis heute Bestand hat, das sind im Wesentlichen die künstlerischen und – im weitesten Sinne – kulturellen Errungenschaften der Menschheit. Kunst und Kultur aber leiden in diesen Monaten von Corona besonders stark. Die erneut verschärften Bestimmungen machen Veranstaltern und Künstlern auch im Landkreis Günzburg das Leben noch schwerer. Mehr als die Hoffnung auf bessere Zeiten bleibt den meisten nicht.
Das Neue Theater Burgau hat für November sieben Vorstellungen, darunter zwei Premieren, geplant. Das alles fällt ins Wasser. „Das tut uns weh“, erklärt der Vereinsvorsitzende Robert Baumeister. Auch, weil etliche Karten bereits verkauft worden sind. Baumeister hegt die Hoffnung, dass wenigstens die acht im Dezember vorgesehenen Vorstellungen über die Bühne gehen können – falls nötig, mit noch weniger Besuchern als zuletzt. Angesichts der Größe des Theatersaals wäre das nach Überzeugung des Vereinsvorsitzenden kein Problem.
Ähnlich betroffen ist Georg Abt. Der Betreiber der Dilldapperbühne in Ichenhausen hat für November vier Veranstaltungen terminiert, auch sie müssen abgesagt werden. Die Neue Bühne Ichenhausen, die im Dilldappersaal ihr Zuhause hat, probt für ein Kinderstück, das Ende Februar/Anfang März kommenden Jahres Premiere feiern soll. Ob das klappt? Georg Abt setzt „ein großes Fragezeichen“dahinter.
Erst vor wenigen Tagen ist im Günzburger Heimatmuseum eine Ausstellung im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Bürger forschen“über das Wirken des Historischen Vereins seit 1902 eröffnet worden. Für den Fall weitreichender Museumsschließungen werde sie zumindest bis Februar verlängert, erklärt Museumsleiter Raphael Gerhardt. Angesichts der Corona-Lage erst gar nicht vorbereitet werde die Weihnachtsausstellung, die ansonsten alljährlich viele Besucher in das Museum lockt.
Anita Roth, die Leiterin des Mittelschwäbischen Heimatmuseums in will ihre Krippenausstellung derweil noch „nicht abblasen“. Mit dem Aufbau werde Anfang Dezember begonnen, nach einer Eröffnung für geladene Gäste soll die Krippenschau am 2. Januar erstmals für Besucher geöffnet haben. Ob das alles so hinhauen wird – auch Anita Roth bangt. Im Leipheimer Museum Blaue Ente ist die Ausstellung mit historischen Fotos vorab letztmals am Sonntag von 14 bis 17 Uhr zu sehen, anschließend ist das Museum bis mindestens Ende November geschlossen.
In doppelter Weise betroffen ist Joe Gleixner. Eigentlich wollte er schon im Oktober im Günzburger Forum am Hofgarten das 15-jährige Bestehen seiner Big Band feiern. Daraus ist nichts geworden, nun soll die Jubiläumsveranstaltung im Oktober 2021 stattfinden. Auch als Leiter der städtischen Musikschule Günzburg muss Gleixner Verzicht üben. Die Advents- und Weihnachtskonzerte der zahlreichen Musikschul-Ensembles sind abgesagt, in der Musikschule selbst sei der Unterricht auf Einzelstunden und Kleinstgruppen beschränkt. Die Kinder und Jugendlichen treffe das hart, versichert Gleixner: „Wir waren schon in den vergangenen Monaten häufig ein Kummerkasten.“
Ganz allgemein bedauert der BigBand-Leader und Musiklehrer, „dass Künstler noch nicht genug gehört werden und die Kultur an allen Ecken und Enden verstaubt“.
Wie Joe Gleixner geht es auch Klaus Schlander. Er leitet die Big Band Jazz Spätzla und die Musikschule Gundremmingen-OffingenRettenbach. Das Jazz-Opening der Jazz Spätzla Anfang Januar ist laut Schlander abgesagt, Ende Januar ist stattdessen ein Konzert „außertourlich“vorgesehen – wegen Corona auch das „unter Vorbehalt“. Kommendes Jahr feiert die Musikschule ihr 30-jähriges Bestehen; das soll nach derzeitiger Planung mit Konzerten im Juli im Schlosspark Harthausen begangen werden. Trotz aller Probleme: Resignieren will Klaus Schlander nicht. „Man muss überlegen, wie es weitergeht, und nach neuen Wegen suchen. Und man braucht Ziele und damit Motivation.“
Trotz aller Probleme: Der Burgauer Musiker und Komponist Hermann Skibbe ist derzeit noch „frohen Mutes“. Auf der anderen Seite sei anhand seiner Lage das „ganze Drama“der Einschränkungen im Kulturbetrieb ablesbar. Seit Monaten war Skibbe dabei, die Musik für ein Musical im Ulmer Roxy zu komKrumbach, ponieren. Geplante Premiere ist Anfang Januar. Weil aber Bands nicht mehr auftreten dürfen, musste der Burgauer die Musik aufwendig auf Band spielen. Derzeit werde im Ensemble geprüft, ob Proben noch erlaubt sind. Das Ganze gehe auch ins Geld – etwa für Wohnungen, die für die Darsteller angemietet wurden. Maßnahmen gegen Corona seien geboten. Doch unter dem Strich bewertet Skibbe den Kulturbetrieb, die Beachtung aller Regeln vorausgesetzt, als eine der am wenigsten gefährlichen Branchen.
Leidtragende sind natürlich auch die größeren Veranstaltungsorte wie das Günzburger Forum am Hofgarten, der Zehntstadel in Leipheim oder die Kapuziner-Halle in Burgau. Die für die nächsten Wochen geplanten Veranstaltungen seien entweder abgesagt oder, wo möglich, auf Frühjahr und Frühsommer verschoben worden, erklärt die Günzburger Kulturamtsleiterin Karin Scheuermann. Angesichts der unüberschaubaren Lage wolle man verschobene Veranstaltungen nicht zu früh ansetzen. „Denn das erste Quartal 2021 könnte noch schwierig werden.“Einige Künstleragenturen hätten deshalb Termine im Forum ganz auf 2022 verlegt. Trotzdem sei der Terminkalender für 2021 voll.
Vom „Prinzip Hoffnung“leben auch die Zuständigen im Leipheimer Zehntstadel. Die Veranstaltungen im November – ein Kabarettabend und ein Kindertheater – sind abgesagt, die Planung für Dezember steht noch unter „vorsichtigem“Vorbehalt, wie Pressesprecherin Carolyn Ammann auf Nachfrage erklärt. Insgesamt sei das Auf und Ab von Zu- und Absagen – auch wegen des Kartenverkaufs – schwierig zu handhaben. Im Sommer seien die Open-Air-Veranstaltungen noch „super gelaufen“.
Weil in Erwartung schlechter Nachrichten schon manches gestrichen oder auf 2021 geschoben wurde, stünden in der Burgauer Kapuziner-Halle im November nur zwei Veranstaltungen an. „Aber im Dezember hätten wir relativ viel“, erklärt Kulturamtsleiter Stefan Siemons. Möglicherweise könnten sie wenigstens in kleinerem Rahmen durchgeführt werden. „Aber ich bin insgesamt für den Winter skeptisch.“Das sei vor allem für die selbstständigen Künstler „schade und traurig“.
Das Fazit der Organisatoren und Kunstschaffenden im Landkreis Günzburg: „Wir wissen derzeit nicht, wie es weitergeht.“Künstlerisch wie finanziell.
Das Coronavirus trifft den Landkreis Günzburg in dieser Woche mit voller Wucht. Die Infektionszahlen steigen mit schier unglaublicher Dynamik in die Höhe. Die Pandemie und ihre Folgen ziehen immer größere Kreise. Am Freitag meldet das Landesamt für Gesundheit (LGL) einen neuen Rekordwert für die 7-Tage-Inzidenz im Kreisgebiet. Es sind so viele aktive Corona-Fälle wie noch nie vermerkt. Bereits sechs Menschen sind nach Angaben des LGL im Landkreis in Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Das ist tragisch. Jetzt in Hysterie zu verfallen, ist aber nicht angebracht.
Die Regierung hat bereits auf das steigende Infektionsgeschehen reagiert, hat einen neuen Lockdown verordnet – wenn auch nur teilweise. Dieser trifft einige Branchen, allen voran die Gastronomie, Hotels und die vielen Kulturbetriebe im Landkreis, besonders hart. An Kritik wird – völlig zu Recht – nicht gespart. Hier wird mit der großen Keule vorgegangen, heißt es etwa. Völlig undifferenziert werde einfach alles geschlossen. Und das stimmt. Tatsächlich ist in den genannten Branchen kaum ein Corona-Hotspot bekannt. Trotzdem sind nun Existenzen bedroht. Auch das ist tragisch. Trotz dieser Fehler ist die Entscheidung der Regierung im Grundsatz aber richtig, denn sie ist zumindest zeitlich begrenzt. In vier Wochen wird sich zeigen, ob die drastischen Maßnahmen gewirkt haben. Dann wird neu entschieden. Man möchte in diesen Zeiten nicht in der Haut der Entscheidungsträger stecken, denn auch sie können aktuell nur verlieren. Ein Beispiel.
Beim Thema Maskenpflicht an Grundschulen herrschte im Landkreis zuletzt eine gewisse Uneinigkeit. Infektiologen empfehlen die Maske als effektiven Schutz gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Für Kinder sind die Masken allerdings eine besondere Belastung, Gestik und Mimik spielen für sie eine wichtige Rolle. Im Unterricht an Grundschulen galt im Landkreis deshalb lange lediglich eine Empfehlung zum Tragen eines MundNasen-Schutzes. Und das hat gut funktioniert – bis zuletzt. Weil Landrat Hans Reichhart beobachtet habe, dass die bei Schülern wie Lehrern zunächst extrem hohe Bereitschaft zum Mitmachen in Sachen Vorsorge „in den vergangenen Tagen etwas gebröckelt ist“, ist das Tragen der Masken mittlerweile verpflichtend. Nun wird in den sozialen Netzwerken intensiv diskutiert, im Nachbarlandkreis Augsburg stürmten Demonstranten deshalb gar das Landratsamt.
Aber was wäre denn die Alternative zur Maskenpflicht an den Grundschulen? Richtig, die Schulen zu schließen. Und da sind sich wohl alle Schüler und auch die Eltern einig – lieber mit Maske im Klassenzimmer, als ohne alleine zu Hause sitzen.