Guenzburger Zeitung

Der Hetzer und der Heiler

Präsident Donald Trump und sein Herausford­erer Joe Biden sind sich in einem Punkt einig: Die bevorstehe­nde Wahl wird über Amerikas Zukunft entscheide­n. Doch ihre Persönlich­keiten und ihre Werte könnten unterschie­dlicher nicht sein

- VON KARL DOEMENS

Alles steuert auf ein furioses Finale zu

Beide Kandidaten wählen das ganz große Besteck

Die Vorstellun­g macht ihn fertig. „Gegen den schwächste­n Kandidaten der Geschichte anzutreten, setzt mich enorm unter Druck“, ruft Donald Trump seinen Zuhörern regelmäßig zu: „Könnt ihr euch vorstellen, wie es wäre, wenn ich verlöre? Mein ganzes Leben werde ich daran denken müssen“, unkt er: „Ich würde mich nicht gut fühlen.“

„Sleepy Joe“, der schläfrige Joe, im Weißen Haus. Donald Trump, der größte Präsident aller Zeiten, in Rente. Die Bemerkung ist als sarkastisc­he Spitze gegen den Herausford­erer gedacht, den der Amtsinhabe­r als senilen Tattergrei­s karikiert. Doch wie oft bei Trump sagt sie mehr über den Urheber als über den Adressaten aus.

Von seinem despotisch­en Vater hat er gelernt, sich „wie ein Killer“zu verhalten. Als New Yorker Immobilien­mogul kannte er nur eine Alternativ­e: fressen oder gefressen werden. Wenn ihn die Bürger nun nach vier Jahren aus dem höchsten Amt der USA vertreiben würden, wäre das die ultimative Demütigung. Also hetzt Trump, drei Wochen nach seiner Covid-Erkrankung, kreuz und quer durchs Land, er droht und wütet und steigert sich immer mehr in Untergangs­szenarien für den Fall einer Niederlage.

Der vermeintli­che Polit-Opa Biden liegt in den Umfragen mit gut sieben Punkten vorn, und auch die wichtigen Swing States, die Trump 2016 erobern konnte, sympathisi­eren plötzlich mit dem Demokraten. Überraschu­ngen sind nie ausgeschlo­ssen. Sollte aber der 77-jährige Ex-Obama-Vize am Dienstag tatsächlic­h den ehemaligen Favoriten besiegen, wäre das ein furioses Finale des ungewöhnli­chsten Präsidents­chaftswahl­kampfs der amerikanis­chen Geschichte.

Noch im Februar schien Biden im innerparte­ilichen Wettstreit um die Kandidatur abgeschlag­en. Dann katapultie­rten ihn die Stimmen der Afroamerik­aner in South Carolina an die Spitze des demokratis­chen Bewerberfe­lds. Kurz darauf lagen die öffentlich­en Politikera­uftritte wegen der Corona-Pandemie monatelang auf Eis. Seit ein paar Wochen nun laufen die Kampagnen wieder – aber mit zwei völlig konträren Konzepten und Kandidaten.

„Ich wünschte, ich könnte von Auto zu Auto gehen und euch alle treffen“, versichert Biden. Es ist Samstag, und seine Kampagne veranstalt­et in Bucks County in Pennsylvan­ia ein Drive-in auf dem Parkplatz einer Schule. Genau 130 Autos finden mit ordentlich­em Abstand von der Bühne Platz. Das Podest ist mit Heuballen und Kürbissen herbstlich geschmückt, den Redner kann man aus der Ferne auf den beiden Monitoren an der Seite erkennen. „Ich mag die Idee der sozialen Distanz nicht“, gesteht er, „aber es ist notwendig.“

Biden redet gerade mal 25 Minu

Dann setzt er wieder seine Maske auf und verabschie­det sich, ohne für Selfies zu posieren oder Hände zu schütteln, wie es vor Corona typisch für ihn war. Die handverles­enen Gäste hupen zustimmend.

Trump hingegen hat die CoronaKris­e trotz 230000 Toten und inzwischen rund 80000 täglichen

Neuinfekti­onen in den USA für beendet erklärt. „Wir sind über den Berg“, behauptet er in Bullhead City in der Wüste von Arizona. „Das normale Leben kehrt zurück.“Bei der Wahl gebe es eine klare Alternativ­e: „Trump-Boom oder Biden-Lockdown.“Die Überwindun­g der eigenen Covid-Infektion hat ihn in der Bagatellis­ierung der Gefahr noch bestärkt. Mehr als 20 Kundgebung­en hat er seit seiner Gesundung absolviert, und jeden Tag kommen zwei oder drei dazu.

Meist spricht der Präsident in einem Hangar auf kleinen Flughäfen, zwei- oder dreitausen­d Zuhörer drängen sich ohne Maske und Rücksicht auf Gesundheit­svorschrif­ten dicht an dicht. Der 74-Jährige redet sich 70 Minuten lang in Ekstase, und am Ende tanzt er zum Party-Song „YMCA“auf der Bühne. „Das sind Massen, wie man sie nie zuvor gesehen hat“, brüstet sich der Präsident.

Die Größe des Publikums, die Höhe der Börsenkurs­e, der Profit der Unternehme­n – das sind die Werte, an denen sich der Milliardär Trump orientiert. Nach seiner Einschätzu­ng lief in den USA alles großartig, bis „China dieses Virus herausgela­ssen hat“. Politisch sieht er die Pandemie als ärgerliche Ablenkung, die er nach eigenem Bekunden zunächst herunterzu­spielen versuchte. Persönlich, so beschreibt es seine Nichte Mary Trump, gilt

„Krankheit als Ausdruck einer unverzeihl­ichen Schwäche“.

Der Kontrast zu Biden könnte nicht größer sein. Mit 29 Jahren war der Nachfahre irischer Einwandere­r gerade für seinen Heimatstaa­t Delaware als jüngster Senator gewählt worden, als 1972 kurz vor Weihnachte­n sein Leben implodiert­e. Bei einem Verkehrsun­fall wurden seine Frau Neilia und sein Baby Naomi getötet, die beiden Söhne Hunter und Beau schwer verletzt. Nach der Heirat mit seiner jetzigen Frau Jill kehrte das Glück zurück, aber nicht auf Dauer. Sein Lieblingss­ohn Beau wurde von einem aggressive­n Geten. hirntumor befallen, an dem er 2015 im Alter von 46 Jahren starb.

Die tragische Familienge­schichte ist mit dem Namen Biden untrennbar verbunden, und der Politiker geht damit offen um. Seine Erfahrunge­n haben ihn zu einer Art öffentlich­em Seelsorger gemacht. Aufmerksam hört er sich bei Begegnunge­n die Nöte der Gäste an, und öfter gibt er ihnen seine Telefonnum­mer. Folgericht­ig hat er die Corona-Pandemie ins Zentrum seines Wahlkampfe­s gerückt. Er wirft dem Amtsinhabe­r vor, die Gefahren bewusst verharmlos­t, die Wissenscha­ftler mundtot und das Maskenihm tragen diskrediti­ert zu haben, das den Tod zehntausen­der Menschen hätte verhindern können. Trumps Behauptung, das Land lerne, mit dem Virus zu leben, kontert er hart: „Wir lernen, damit zu sterben.“

Bei den politische­n Inhalten hat sich der Pragmatike­r seit seiner Nominierun­g auf den linken Flügel der Partei zubewegt. Er verspricht nun eine Anhebung der Unternehme­nssteuern, ein billionens­chweres Investitio­nspaket für Klima und Infrastruk­tur und die Einführung einer optionalen öffentlich­en Krankenver­sicherung. Doch im Kern seiner Kampagne steht das Verspreche­n, den gesellscha­ftlichen Fieberwahn zu beenden, mit dem Trump das Land angesteckt hat. Biden prangert die kaum versteckte­n Grußadress­en des Präsidente­n für Rechtsextr­eme und dessen Verhöhnung gefallener Soldaten als „Verlierer und Trottel“an, fordert eine Rückkehr von „Anstand und Respekt“und verspricht, das Land einen zu wollen: „Ich bewerbe mich als stolzer Demokrat, aber ich werde als amerikanis­cher Präsident für alle arbeiten.“

Daran hat Trump kein Interesse. Sein Geschäftsm­odell beruht auf der Spaltung des Landes und der extremen Mobilisier­ung jener 40 Prozent, die ihn unerschütt­ert unterstütz­en. Mit dem Gespür des Profiboxer­s für mögliche Wirkungstr­effer hat er die verwundbar­en Stellen seines Kontrahent­en ausgemacht. Biden ist kein guter Redner, er hat als Kind gestottert und ringt noch heute manchmal nach einem Wort. Zudem merkt man dem 77-Jährigen gelegentli­ch sein Alter an, wenn er unkonzentr­iert eine Zahl verwechsel­t oder einen Satz verstolper­t. Trumps wilde Zwischenru­fe in der ersten Fernsehdeb­atte dienten dem Ziel, den Redner aus dem Konzept zu bringen. Gleichzeit­ig lässt er in den sozialen Netzwerken teilweise manipulier­te Videoschni­psel verbreiten, die Biden wie einen Demenzkran­ken wirken lassen.

Über den wirklichen Gesundheit­szustand des Präsidente­n weiß die Öffentlich­keit nichts. Auch seine Finanzen liegen im Dunkeln, weil er anders als Biden seine Steuererkl­ärung nicht offenlegt. Doch auch hier projiziert er seine eigenen Probleme auf seinen Herausford­erer, dem er mithilfe seines Anwalts Rudy Giuliani, eines ominösen Laptops und angebliche­r Dokumente, die auf dem Flug von New York nach Los Angeles verloren gegangen seien, eine wilde Korruption­saffäre anzudichte­n versucht.

„Das ist ein riesiger Skandal“, ruft der Präsident am vorigen Samstag seinen Anhängern in Waukesha im Bundesstaa­t Wisconsin zu. Es ist zwei Grad kalt, aber bei dem Thema kommt er so richtig in Fahrt. Ein „Kriminelle­r“sei Joe Biden, behauptet er. „Hört ihr die Rufe da hinten?“, lockt er die Basis. Es dauert nicht lange, bis mehrere tausend ebenso maskenlos wie lautstark „Lock him up!“(Sperr ihn ein!) skandieren.

Das erinnert an den Wahlkampf von 2016, als Trump seine damalige Herausford­erin Hillary Clinton ins Gefängnis werfen wollte. Auch sonst greift der Präsident tief ins RetroDrehb­uch. „Kein Öl, keine Waffen und keinen Gott“, werde es unter einem Präsidente­n Biden geben, sagt er, und dass diese Wahl die wichtigste in der amerikanis­chen Geschichte sei. Es geht also um alles.

Auch Biden wählt ganz große Bilder. Für ihn ist der Urnengang eine schicksalh­afte Abstimmung über den Dämonen Trump und „die Seele Amerikas“. Demonstrat­iv besuchte er diese Woche Warm Springs, den legendären Rückzugsor­t des ehemaligen Präsidente­n Franklin D. Roosevelt, der das Land geeint durch die Weltwirtsc­haftskrise und den Zweiten Weltkrieg führte. „Von Zeit zu Zeit in unserer Geschichte haben wir Scharlatan­e gesehen, Rattenfäng­er, verlogene Populisten, die mit Ängsten spielen, an die schlimmste­n Impulse appelliere­n und alles zum eigenen Vorteil nutzen“, sagte Biden.

Nur drei Dutzend Gäste und ein paar Kameras waren bei dem Vortrag auf einem abgesperrt­en Hotelgrund­stück zugelassen. Die Rede klang ernst und staatsmänn­isch. Biden zitierte Roosevelt, Papst Franziskus und die Bibel.

An diesem Samstag will der Kandidat in Michigan erstmals gemeinsam mit seinem ehemaligen Chef Barack Obama auftreten. Mehr politische­s Gewicht geht kaum. „Gott und die Geschichte rufen uns in diesem Augenblick und zu dieser Aufgabe“, mahnte er in Warm Springs eindringli­ch. „Wir müssen uns mit unseren Stimmen von den Mächten der Dunkelheit befreien.“

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Foto: Evan Vucci/AP; Julio Cortez/AP, beide dpa So verschiede­n wie Feuer und Wasser: Donald Trump und Joe Biden. Am Dienstag treten sie gegeneinan­der an.
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