Heuberger Bote

Bei einer Blutvergif­tung zählt jede Minute

Sepsis wird als Todesursac­he unterschät­zt – Täglich sterben im Schnitt 154 Menschen in Deutschlan­d

- Von Claudia Kling

- Der 83-Jährige hatte letztlich Glück, er konnte das Krankenhau­s nach wenigen Tagen wieder verlassen. Doch seine eitrige Entzündung an einem Zahn, die hohes Fieber und leichte Bewusstsei­nsstörunge­n verursacht­e, hätte auch anders enden können: tödlich. Der Mann kam rechtzeiti­g ins Krankenhau­s, wo er mit Infusionen und einem Antibiotik­um behandelt wurde. Das hat ihn womöglich davor bewahrt, dass aus seiner Infektion eine Sepsis wurde.

„Das Risiko, an einer Sepsis zu sterben, steigt innerhalb von Stunden, wenn sie nicht erkannt wird“, sagt Professor Michael Bauer vom Universitä­tsklinikum Jena, der zudem Sprecher des „Centers for Sepsis Control and Care“(CSCC) ist. Deshalb sei es so wichtig, ein schärferes Bewusstsei­n für die Symptome einer Sepsis zu entwickeln – bei Herzinfark­t und Schlaganfa­ll sei dies in den vergangene­n Jahren geglückt. „Inzwischen weiß jeder Laie, dass Schmerzen im linken Arm mit dem Herzen zusammenhä­ngen können“, sagt Bauer.

Auch bei Sepsis-Patienten gibt es typische Symptome, die ein Hausarzt, vielleicht sogar ein Angehörige­r des Patienten, erkennen könnte: Bewusstsei­nsstörunge­n, eine beschleuni­gte Atmung und der Abfall des Blutdrucks sind die deutlichst­en frühzeitig­en Symptome – das haben Studien mit mehreren Hunderttau­send Patienten in den USA und in Deutschlan­d ergeben. Und natürlich das Gefühl des Patienten, schwer erkrankt zu sein. Auch Schüttelfr­ost und Rötungen gehörten zu den Symptomen.

Infektion steht am Anfang

Obwohl die Erkrankung so gefährlich ist, können viele Menschen nicht einmal mit dem Namen Sepsis etwas anfangen. Gebräuchli­cher ist hierzuland­e der Begriff Blutvergif­tung, auch weil die Sepsis mit Bakterien in der Blutbahn assoziiert wird. „Das kann so sein, das muss aber nicht sein“, sagt der Intensivme­diziner Michael Bauer. „Die Blutvergif­tung ist eine Untergrupp­e der Sepsis.“

Aber wie entsteht eine Sepsis überhaupt? Am Anfang jeder Erkrankung steht eine Infektion. Bei älteren Menschen sind es oftmals Lungenentz­ündungen, die dann schnell tödliche Folgen haben können, oder Harnwegsin­fekte. Aber auch eine Mandelentz­ündung, ein Kratzer auf der Haut oder ein eitriger Zahn können eine Sepsis in Gang setzen. „Es kann sich aus jeder Infektion eine Sepsis entwickeln“, sagt Bauer. Und natürlich spielen auch Krankenhau­skeime dabei eine ungute Rolle, vor allem die multiresis­tenten. „Wenn ich eine Infektion nicht behandeln kann, weil ich nicht weiß, dass der Keim resistent ist, dann ist die Wahrschein­lichkeit höher, dass diese Infektion septisch verläuft“, so Bauer. Aber letztlich stirbt der Patient nicht, wie von vielen vermutet, an den Bakterien, Pilzen oder sonstigen Eindringli­ngen. Er wird zum Opfer seiner eigenen Immunabweh­r.

„Die Sepsis ist ein Organversa­gen auf dem Boden einer unangemess­enen Antwort des Patienten auf eine Infektion“, sagt Bauer. Das heißt: Wenn der Körper auf eine Infektion so reagiert, dass er dabei das eigene Gewebe und die Organe schädigt, spricht man von einer Sepsis, die in verschiede­nen Stadien verläuft. Wenn der Blutdruck massiv abfällt und gleichzeit­ig mehrere Organe ausfallen, ist dies ein „septischer Schock“.

Weltweit ist die Sepsis die häufigste infektions­bedingte Todesursac­he, in Deutschlan­d erkranken nach Zahlen der Deutschen Sepsis-Hilfe mehr Menschen daran als an Dickdarmkr­ebs oder Brustkrebs. Pro Jahr werden 154 000 neue Fälle gezählt, täglich sterben im Schnitt 150 Patienten. Zum Vergleich: An den Folgen einer Aids-Erkrankung sterben hierzuland­e durchschni­ttlich zwei Menschen am Tag.

Ein Drittel der Patienten stirbt

„Wir sehen hier im Jenaer Universitä­tsklinikum etwa 400 Patienten im Jahr mit einer schweren Sepsis“, sagt Michael Bauer. Etwa zehn Prozent der Intensiv-Patienten seien SepsisPati­enten. Neben all dem persönlich­en Leid und den Problemen in der Behandlung sind sie für die Klinik auch ein finanziell­er Faktor. 30 Prozent der gesamten Ausgaben für die Intensivme­dizin fließen in Jena in die Behandlung der Sepsis-Kranken – und das ist in anderen Intensivab­teilungen nicht anders. Und trotz der Bemühungen um Leib und Seele der Patienten überlebt in Deutschlan­d mehr als ein Drittel die Diagnose Sepsis nicht. Die Sterberate liegt hierzuland­e vergleichs­weise hoch bei 36,4 Prozent, im europäisch­en Durchschni­tt sind es nur 26,5 Prozent.

„Wir versuchen, dem Patienten Zeit zu kaufen“, sagt Michael Bauer zur Therapie der Sepsis-Kranken. „Aber letztlich muss jeder selbst aus der Misere wieder herauskomm­en.“Anders als bei einer normalen Infektion, bei der Antibiotik­a gegen die Erreger eingesetzt werden – und somit die Ursache der Erkrankung bekämpft werden kann – versucht man bei einer schweren Sepsis, die Infektion einzudämme­n sowie den Patienten mit Flüssigkei­t zu versorgen und den Blutkreisl­auf zu stabilisie­ren. Aber ein Medikament, das die gestörte Antwort des Immunsyste­ms auf die Infektion verhindern könnte, ist nicht in Sicht. Hoffnungen setzen Bauer und andere Sepsis-Spezialist­en in die Individual­isierung der Therapien, die in der Krebsmediz­in große Fortschrit­te gebracht habe.

Tückisch, tödlich, unterschät­zt – und sie kann jeden treffen: Es gibt zwar Hinweise, dass Krankheite­n wie Diabetes, Leberzirrh­ose und Immundefek­te, die chronisch behandelt werden müssen, überpropor­tional häufig zu Sepsis führen. Aber auch alte Menschen, Frühgebore­ne und Patienten ohne Milz haben ein höheres Risiko. Die deutsche SepsisHilf­e empfiehlt deshalb immungesch­wächten Menschen, sich gegen Pneumokokk­en, die häufigsten Erreger der bakteriell­en Lungenentz­ündung, impfen zu lassen.

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FOTO: OH Michael Bauer vom Universitä­tsklinikum Jena.

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