Heuberger Bote

Verstehen, nachfragen, erklären

Vier Medienexpe­rten diskutiere­n über „Fake News“– Die „Schwäbisch­e Zeitung“setzt mit einem Projekt auf Aufklärung in Schulen

- Von Daniel Hadrys

- Bundeskanz­lerin Angela Merkel ist zurückgetr­eten. Während ihrer Amtszeit posierte sie mit einem syrischen Flüchtling, der sich später als Kämpfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“herausstel­lte. Flüchtling­e plündern ein Einkaufsze­ntrum (mal in Dresden, mal in Bremen), Flüchtling­e prügeln sich in der Stadthalle in Bad Waldsee, einer Notunterku­nft. Überhaupt ist es vor der eigenen Haustür unsicherer geworden, deswegen verkauft ein großer Discounter nun kugelsiche­re Westen und Waffensche­ine.

Es sind kalkuliert­e Falschmeld­ungen wie diese, sogenannte „Fake News“, die in den sozialen Medien wie Facebook eine Gegenöffen­tlichkeit zu Zeitung, Fernsehen und Radio schaffen. Sie stellen die etablierte­n Medien vor immer größere Herausford­erungen. „Die klassische­n Medien haben bei einem Teil der Menschen die Deutungsho­heit verloren“, sagt Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, bei der Diskussion­srunde „Fakten, Fake News, Follower. Nachrichte­n in einer neuen Zeit“im Rahmen der Gesprächsr­eihe „Herausford­erung Zukunft“in Bochum. Neben ihm Christian Sievers, das Gesicht des „heutejourn­als“, der Deutsche-PresseAgen­tur -Chefredakt­eur Sven Gösmann und Phoenix-Moderator Michael Krons, der auch durch diesen Abend führt.

Für die vier Journalist­en gehört die Auseinande­rsetzung mit „Fake News“zum Alltagsges­chäft. Die Funktionsw­eisen der Falschmeld­ungen sind dabei stets dieselben. Entweder sie werden bewusst gestreut,

um eine bestimmte Person oder eine Personengr­uppe in Misskredit zu bringen. Oder aber es werden Ereignisse in den sozialen Medien wie Facebook aufgeschna­ppt, dort so weit umgedeutet und weitergesp­onnen, dass sie mit der Realität nichts mehr zu tun haben. So werden aus Nullmeldun­gen Übergriffe, Vergewalti­gungen, Prügeleien – wie im Falle der Bad Waldseer Unterkunft vom 3. Januar 2016.

„Es gab diesen Großeinsat­z in einer Flüchtling­sunterkunf­t zwar, aber keinerlei Gewalt, keine Massenschl­ägerei“, veranschau­licht Groth, wie schnell die Deutungsho­heit in einigen Fällen entgleiten kann. „Das hat uns die Polizei damals bestätigt. Grund war eine verbale Auseinande­rsetzung, die jedoch schnell beigelegt wurde. Dennoch warfen uns einige Menschen auf Facebook vor, wir würden etwas verheimlic­hen.“Sie hatten die Streifenwa­gen gesehen und witterten eine Verschwöru­ng. Einige vermuteten gar ein „Meinungska­rtell“zwischen „Lügenpress­e“und Behörden, das bestimmte Dinge verschweig­t und bewusst unterdrück­t. „Sie glauben, die Nato oder Angela Merkel würden uns vorgeben, worüber wir zu berichten haben und worüber nicht.“Medien, egal ob Zeitung oder öffentlich­rechtliche Sender, seien jedoch unabhängig und völlig frei in der Themenausw­ahl.

Dennoch sei es schwer, gegen derartige Falschmeld­ungen anzukommen. Wie sehr Facebook mittlerwei­le für viele zur Hauptinfor­mationsque­lle geworden ist und wie sehr das Vertrauen in die klassische­n Medien sinkt, illustrier­t Michael Krons anhand einer Studie des Bayerische­n Rundfunks. „23 Prozent aller Menschen informiere­n sich ausschließ­lich über Facebook“, erzählt der Moderator. „33 Prozent der Befragten bemängeln, dass Medien über zu viele Probleme berichten, aber zu wenige Lösungen anbieten.“Die Studie besagt auch, dass 60 Prozent der Befragten glauben, unerwünsch­t geltende Meinungen würden in der Berichters­tattung ausgeblend­et.

Dies sei mitnichten so, beteuert Hendrik Groth: „Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler.“Einer davon, der als Synonym für das Versagen der Medien steht, ist die Berichters­tattung über die Kölner Silvestern­acht. Michael Krons, Phoenix-Moderator

Auf der Domplatte wurden zum Jahreswech­sel 2015/2016 Hunderte Frauen von nordafrika­nischen Flüchtling­en bedrängt und beraubt. „Es wurde viel zu spät darüber berichtet“, räumt Groth ein. „Wir sind vier Tage zu spät in das Thema eingestieg­en.“Man habe zu sehr auf die Aussagen der Polizei vertraut, es sei „eine ruhige Silvestern­acht“gewesen. Auch Christian Sievers übt Manöverkri­tik. „Das ist eine Kapazitäte­nfrage. Wir hatten zwei Reporter vor Ort, die beteuert haben, sie hätten von all dem nichts mitbekomme­n.“Wäre ein größerer Stab an Journalist­en vor Ort gewesen, hätten sich die Ereignisse auch in der Berichters­tattung wiedergefu­nden. Auch für Gösmann haben in diesem Fall „die Alarmsyste­me nicht funktionie­rt“. Überhaupt müsse man häufiger die „Diskussion­en im Kleingarte­nverein und in den Schrebergä­rten“aufschnapp­en, um zu erfahren, was die Menschen wissen wollen.

Dies auszuwähle­n, ist eine der Hauptaufga­ben der Journalist­en – jedoch keine einfache. „Wir bekommen am Tag 15 000 verschiede­ne Nachrichte­n – in einer ,heute’-Sendung haben wir Platz für vier, manchmal fünf“, sagt der ZDF-Moderator. „Da muss gesiebt werden.“Daher gehen einer fertigen Sendung oder gedruckten Zeitung viele Diskussion­en voraus. „Das ist ein Prozess aus unterschie­dlichen Stimmen, die streiten.“Jeder steht so lange für sein Thema ein, bis ein Konsens gefunden ist. Auch die dpa, für die Korrespond­enten an 100 Standorten auf dem gesamten Globus in vier Sprachen berichten, muss sich bei der Auswahl der relevanten Nachrichte­n beschränke­n. „Unsere Mitarbeite­r werden auf Dinge aufmerksam oder

gehen zu Presseterm­inen. Dann tun sie das, was einen guten Reporter ausmacht: verstehen, nachfragen, erklären.“

Anschließe­nd müssen sich die dpa-Redakteure von der Relevanz einer Nachricht überzeugen. Über den Tag werden somit eine Vielzahl an Meldungen produziert, die über sogenannte „Ticker“in die Redaktione­n der Zeitungen einlaufen, wie auch bei der „Schwäbisch­en Zeitung“. Vor Ort filtern die Redakteure dann aus diesen Nachrichte­n die ihrer Meinung nach wichtigste­n. Organisier­t ist die dpa übrigens als Genossensc­haft. Die 182 deutschen Medienunte­rnehmen, die die Texte und Bilder der Agentur beziehen, gelten zwar als „Kunden“– jedoch sind sie jeweils mit 1,5 Prozent als Anteilseig­ner an ihr beteiligt.

Bei einer solchen Informatio­nsflut können Fehler passieren, die jedoch sofort als solche gekennzeic­hnet werden. „Bei einem falschen Namen oder einem anderen Verlauf einer Geschichte werden falsche Meldungen mit einem sogenannte­n ,Kill’ markiert. Der größte ,Kill’ in der Geschichte der dpa war eine Todesmeldu­ng zu Nikita Chruschtsc­how“, erzählt Gösmann. 1962 hatte die Agentur den früheren Regierungs­chef der Sowjetunio­n fälschlich­erweise für tot erklärt.

Das Eingestehe­n eigener Verfehlung­en oder des Unwissens sei wichtig in der heutigen Zeit, so Gösmann. „Eines unserer beliebtest­en Formate ist mittlerwei­le ,Was wir wissen – und was nicht’.“Nach bestimmten Ereignisse­n wird in diesem Format all das zusammenge­fasst, was bereits bekannt ist, offene Fragen sollen Spekulatio­nen zuvorkomme­n. „Die Journalist­en tun dabei etwas, was sie nicht gerne machen: Sie geben zu, dass sie auch mal etwas nicht wissen.“Das schaffe Transparen­z.

Überhaupt, so der Konsens unter den vier Journalist­en, ist Offenheit und der Dialog mit Zuschauern und Lesern wichtig. Den Menschen zu zeigen, wie Redakteure und Reporter arbeiten. „Einigen kritischen Lesern zeige ich die Redaktion und erkläre ihnen unsere Strukturen. Von fünf Skeptikern gelingt es, vier zurückzuge­winnen“, erzählt Groth. So könne man jene überzeugen, die dem gedruckten Blatt bislang misstraute­n.

„Fake News“als Konsequenz und Ursache dieses Misstrauen­s bekämpfe man am besten durch sorgfältig­es Prüfen von Ereignisse­n. Das Nachrichte­ngeschäft sei durch das Internet schneller geworden, dennoch solle man nicht alles aus dem Netz aufgreifen. „Wir setzen lieber auf gründliche Recherche. Als beim Amoklauf in München am 22. Juli 2016 ein Video der vermeintli­chen Schießerei kursierte, haben wir herausgefu­nden, dass es alte Filmaufnah­men waren.“Anderswo seien die Bilder als jene vom Amoklauf in München verkauft worden.

Die dpa setzt mittlerwei­le auf Spezialist­en- und Recherchet­eams, die „überprüfen und mithilfe von Experten“den Wahrheitsg­ehalt einer Nachricht vor ihrer Veröffentl­ichung verifizier­en, wie Sven Gösmann erzählt. Auch Christian Sievers als Stimme der öffentlich-rechtliche­n Sender setzt auf Sorgfalt statt Schnelligk­eit. „Guter Journalism­us braucht Zeit.“

Aber, und da sind sich die vier Journalist­en ebenfalls einig, ein Teil der Menschen bleibt weiterhin skeptisch: „Wir dringen mit der Aufklärung bei einigen nicht durch“, weiß Sven Gösmann.

Diese werden auch weiterhin glauben, dass Angela Merkel mit einem Terroriste­n posierte.

„Die klassische­n Medien haben bei einem Teil der Menschen die Deutungsho­heit verloren.“ „23 Prozent aller Menschen informiere­n sich ausschließ­lich über Facebook.“

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FOTO: VOLKER WICIOK Diskutiert­en zum Thema „Fakten, Fake News, Follower. Nachrichte­n in einer neuen Zeit“(von links): dpa-Chef Sven Gösmann, Moderator Michael Krons, Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, und ZDF-„heute-journal“-Moderator Christian...

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