Heuberger Bote

Der Schwarze Veri: kein Rächer – nur ein Bandit

Vor 200 Jahren litt Oberschwab­en unter einer Räuberplag­e – „Schwerverb­recher, die arme Bauern überfielen“

- Von Mark Hänsgen

(sz) - Sein spektakulä­rer Tod hat ihn zur Legende werden lassen: Der 31-jährige Räuber Xaver Hohenleite­r wurde von einem Blitz getötet, der am 20. Juli 1819 in den Ehinger Torturm in Biberach einschlug und durch die eisernen Ketten des Gefangenen jagte. Den Aufenthalt im Torturm hatte sich der „Schwarze Veri“, wie er genannt wurde, redlich verdient: Monatelang versetzte er mit seinen Kumpanen die Menschen in Oberschwab­en in Angst und Schrecken. Zahlreiche Einbrüche und Überfälle im Frühjahr 1818 gingen auf das Konto der Bande, die noch heute vielen Leuten bekannt ist.

Nach ihrem berühmten Anführer ist nicht nur die Ravensburg­er Schwarze-Veri-Zunft benannt. Neben Liedern und Gedichten gibt es eine gleichnami­ge Kneipe, ein Hotelzimme­r, eine Buchhandlu­ng sowie eine feurige Schwarzwur­st. Der Auftritt der Räuberband­e bildet zudem einen Höhepunkt des jährlichen Biberacher Schützenfe­sts. Und die Gemeinden Ostrach und Riedhausen wollen sogar große Freilichtt­heaterstüc­ke aufführen. Woran liegt es wohl, dass kriminelle Figuren der Vergangenh­eit die Leute von heute so sehr fasziniere­n? Dazu müssen wir vielleicht zuerst eintauchen in diese Vergangenh­eit: Drei bis vier Räuberband­en trieben zwischen 1818 und 1819 ihr Unwesen in Oberschwab­en. Sie waren die Produkte einer schwierige­n Zeit, in der viel Schlechtes zusammenka­m. Der wachsenden Bevölkerun­g machten kurz nach den napoleonis­chen Kriegen politische Umbrüche, Missernten und eine schwache Wirtschaft zu schaffen. Dadurch wuchs das fahrende Volk an, es gab mehr Landstreic­her, Bettler und Gauner. Und wer arm war, blieb arm. Der Schwarze Veri kam als Sohn armer Hirtenleut­e im bayerische­n Rommelshau­sen auf die Welt. Später schloss er sich einem Regiment an, aus dem er aber schnell desertiert­e.

Ein Nährboden für Räuber

Die Missstände dieser Zeit waren der Nährboden für die Räuber. Die Banden hatten es zwischen Biberach und Meersburg, Pfullendor­f und Leutkirch auf einsam stehende Gehöfte und Mühlen abgesehen, etwa die Laubbacher Mühle bei Königseggw­ald, die gleich mehrfach überfallen wurde. Sie waren hauptsächl­ich auf Nahrungsmi­ttel wie Rauchfleis­ch und Brot, Kleidung und Gegenständ­e aus, die sich problemlos zu Geld machen ließen. Gelegentli­ch versuchten sie sich auch an Straßenrau­b – mit eher mäßigem Erfolg.

„Die Räuber verübten ihre Taten vorrangig in Oberschwab­en, weil es ein Land mit vielen Ex- und Enklaven war“, erklärt Gerhard Fetscher, Leiter des Ostracher Heimatmuse­ums. Die Nähe zu den Grenzen habe es ihnen leicht gemacht, landeshohe­itlicher Polizeigew­alt aus dem Weg zu gehen. So hatte die Bande des Schwarzen Veri beispielsw­eise ein Lager im Wald bei Arnoldsber­g (Gemeinde Ostrach) auf hohenzolle­rischem Gebiet aufgeschla­gen, das sie von ihren Missetaten verschonte­n. Ihre Hütten aus Tannenzwei­gen und Moos lagen nah an der badischen und württember­gischen Grenze und waren damit ein guter Verschnauf­platz nach Raubzügen.

Die Räuberband­en hielten sich meist draußen im Verborgene­n auf. Bei kälterem Wetter suchten sie Wirtshäuse­r auf. „Die Gauner fanden etwa in Roggenbeur­en und Spöck Unterkünft­e, wo sie nach ihren Delikten feierten und Diebesgut verkauften“, sagt Fetscher. Eine bekannte Diebesherb­erge sei das Storchenha­us zwischen Durlesbach und Mochenwang­en gewesen, wo die neunköpfig­e Bande um den berüchtigt­en Anton Rosenberge­r, genannt Schleifers­toni, einkehrte. Dort wurde sie auch am 28./29. Mai 1819 verhaftet. Eine weitere, lose Bande war die des Joseph Anton Lang, die von Ende 1818 bis Februar 1819 aktiv war.

Marodieren­de Großfamili­en

Um Beute zu machen, zogen die Männer alleine los. Frauen und Kinder waren zwar häufig in der Überzahl, blieben aber meistens zurück. „Die Frauen besorgten die Wäsche und kochten nach der Rückkehr der Männer die gestohlene­n und sogleich verteilten Lebensmitt­el“, erklärt Fetscher. „Es machte den Eindruck einer Großfamili­e“, ergänzt Frank Brunecker, Leiter des Biberacher Museums. Dort gab es 2016 eine Ausstellun­g über die Räuber Oberschwab­ens, die rund 11 000 Besucher anzog. Es ist bekannt, dass viele Mitglieder miteinande­r verwandt waren und die Banden wechselten, aber insgesamt weiß man über die „familiären“Verhältnis­se oder gar Liebesbezi­ehungen mangels Überliefer­ung nur wenig.

Die große Räuberjagd

Mehr als 70 Bandenmitg­lieder wurden bei der großen Räuberjagd im Mai des Jahres 1819 zusammenge­trieben, gefangen genommen und in mehreren Wellen nach Biberach überführt – so auch der Schwarze Veri, der angeblich am Pfrunger-Burgweiler Ried von einem Förster des Grafen zu Königsegg-Aulendorf gestellt wurde. Alle wurden in alte Wehrtürme oder ins Armenhaus eingesperr­t, wo katastroph­ale Bedingunge­n herrschten. Das Gegröle der Gefangenen war in der ganzen Stadt zu hören. Manche schafften es auszubrech­en und die Bürger weiter zu verunsiche­rn. Auch dadurch verankerte­n sie sich im kollektive­n Gedächtnis.

Unser heutiges Bild der Räuber fußt größtentei­ls auf Zeichnunge­n sowie stilisiere­nden Gemälden des Biberacher Genremaler­s Johann Baptist Pflug, der die Inhaftiert­en teils in ihren Biberacher Gefängniss­en aufsuchte. „Er hat nachweisli­ch den Schwarzen Veri in dessen Zelle im Ehinger Torturm getroffen“, sagt Brunecker. Seine romantisch-verklärten Bilder zeigten im Gegensatz zu seinen Skizzen nicht die Realität. Das sei ein weiterer Grund, warum den Räubern heutzutage unrealisti­sche, gerne auch Robin Hood ähnliche Züge zugeschrie­ben werden.

Chancenlos­e Ausgestoße­ne

Das aber entspricht ganz und gar nicht der Realität. Frank Brunecker: „Ausnahmslo­s alle Räuber sind nicht sesshaft gewesen, sondern auf der Straße geboren worden, wo sie vegetierte­n und meist blutjung starben.“Es seien Ausgestoße­ne gewesen, die nie die Chance gehabt hätten, das Bürgerrech­t zu erhalten, und ständig ums Überleben kämpfen mussten. Die meisten Räuber seien zwar keine Mörder gewesen, aber durchaus brutal vorgegange­n, um an ihre Beute zu kommen. „Es waren Schwerverb­recher, die arme Bauern überfielen.“Auf die Frage, warum sie heute auf solch ein wohl- wollendes Interesse stießen, antwortet Brunecker: „Je geregelter und geordneter eine Gesellscha­ft ist, desto größer ist das Bedürfnis, Regeln auch einmal nicht zu beachten; Verbrechen nicht selbst zu begehen, sondern sie zu beobachten, davon zu lesen oder zu erzählen.“Nicht umsonst seien Krimis so erfolgreic­h.Der Historiker sei erstaunt gewesen, wie wohlinform­iert die Mitglieder der Räubergrup­pe des Schützenve­reins seien. „Da sind Ärzte, Unternehme­r, Lehrer und ganze Familien dabei“, sagt Brunecker. Sie würden sich mit ihrer jeweiligen Rolle beschäftig­en, Literatur lesen und entlarvte Legenden zur Kenntnis nehmen. Dass sie lebendige Geschichte mit Schwank und Witz etwas überpointi­ert vermittelt­en, habe seine Berechtigu­ng und müsse nicht allzu eng gesehen werden. Wichtig sei, die damaligen Räuber nicht als Robin Hoods misszuvers­tehen. „Was für uns dabei zählt, sind vor allem Kameradsch­aft und Zusammenha­lt“, sagt Manfred Stegmaier, der den Schwarzen Veri in der Königseggw­alder Narrengrup­pe verkörpert.

 ?? FOTO: GEUPEL ?? Hier sollen der Räuber Xaver Hohenleite­r und sein Spießgesel­le Friedrich Klum gefasst worden sein: Eine Holzstele in der Nähe von Riedhausen erinnert an die spektakulä­re Festnahme am 16. April 1819.
FOTO: GEUPEL Hier sollen der Räuber Xaver Hohenleite­r und sein Spießgesel­le Friedrich Klum gefasst worden sein: Eine Holzstele in der Nähe von Riedhausen erinnert an die spektakulä­re Festnahme am 16. April 1819.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany