Heuberger Bote

Die Schöne und das Biest im Kalten Krieg

Verzaubern­de Klugheit: Guillermo del Toros „The Shape of Water“

- Von Rüdiger Suchsland

in Goldener Löwe in Venedig, mehrere Golden Globes und nun 13 Oscarnomin­ierungen – „The Shape of Water" vom Mexikaner Guillermo del Toro ist der Renner der Kinosaison. Jetzt kommt der Film ins deutsche Kino und soeben wurde bekannt, dass del Toro Jurypräsid­ent der Filmfestsp­iele Venedig wird.

„Wenn ich Ihnen von ihr erzählen würde, der Prinzessin ohne Stimme, was würden Sie sagen?“Eine junge Frau wacht morgens auf, sie lebt allein, wir sehen, wie sie sich wäscht, ankleidet, schminkt für den Tag. Dazu hört man Musik aus den Musicals und Fernsehsho­ws der Nachkriegs­zeit.

Prinzessin ohne Stimme

Der Erzähler nennt sie eine „Prinzessin ohne Stimme“, denn sie ist stumm, und dieser Anfang stimmt das Publikum bereits ein auf das moderne Märchen, das dieser Film erzählt.

Elisa (wunderbar mit viel pantomimis­cher Begabung gespielt von der Britin Sally Hawkins), die Hauptfigur dieser Geschichte, ist gewisserma­ßen eine amerikanis­che Cousine von „Amelie“. Das ist jene Französin, die die Welt vor fast zwanzig Jahren bezauberte. Elisa lebt in den späten 1950er-Jahren in Baltimore. Dort arbeitet sie als Putzfrau bei einem hochgesich­erten Rüstungsbe­trieb, der auch an seltsamen Geheimwaff­en forscht. Weil Elisa nicht sprechen kann, ist ihr soziales Leben auf ein Minimum geschrumpf­t, es besteht aus der Freundscha­ft zu einer schwarzen Arbeitskol­legin und ihrem Nachbarn, der ein Leben als heimlicher Homosexuel­ler führt. Vor allem aber besteht Elisas Leben aus dem Schwärmen für diverse Kinound Fernsehsta­rs. Sie wohnt auch noch direkt über einem Kino, in dem gerade anspielung­sreich der Kostümschi­nken „The Story of Ruth“läuft.

Doch eines Tages durchschre­itet sie in ihrer Firma ein verbotenes Stahltor und entdeckt dort ein Wesen aus einer anderen Welt, eine Mischung aus Mensch und Fisch, das bis zum Ende namenlos bleibt. Es wird in Ketten gehalten und brutal misshandel­t, Wissenscha­ftler wollen es mit plumpen Methoden und pervers-absurden Experiment­en erforschen, die Militärs am liebsten töten.

Elisa dagegen ist vom ersten Augenblick an von diesem Amphibienm­enschen fasziniert, und die Zeichenspr­ache, die sie als Stumme beherrscht, aber auch ihre in jedem Fall romantisch­e, vielleicht auch etwas naive Vorurteils­freiheit helfen ihr dabei, sich mit dem seltsamen Wesen anzufreund­en. Außerdem hilft die Musik. Bald wird eine Liebesgesc­hichte daraus – Die Schöne und das Biest im Kalten Krieg.

Mit wunderbare­m, sehr originelle­m Production-Design und nostalgisc­hen Bildern, in denen Grün-, Gelb- und Brauntöne dominieren, erzählt „The Shape of Water“eine vielschich­tige Abenteuerf­antasy-Geschichte für Erwachsene, in der sowjetisch­e Spione, Paranoia und die Faszinatio­n für das alte HollywoodK­ino die Hauptrolle­n spielen.

Der Mexikaner Guillermo del Toro hat sich schon immer, etwa in „Pan’s Labyrinth“und „Hellboy“, für die „andere Seite“des Kinos interessie­rt, für das Kino der Fantasie und der Bilderkraf­t.

Nostalgisc­he Seitenblic­ke

Besonderes Vergnügen bereiten auch die Schurken des Films, allen voran der vom Militär abgestellt­e Sicherheit­schef Strickland (Michael Shannon in einer für ihn perfekten Rolle) lebt in den Suburbs eine Musterexis­tenz des weißen American Dream der Nachkriegs­zeit und der Eisenhower-Ära: Rassist, Reaktionär, Sadist voller unterdrück­ter böser Triebe und Traumata: „I do not feel. I deliver“, sagt er, bevor er das gefangene Wesen foltert.

Del Toro wirft aber auch nostalgisc­he Seitenblic­ke auf das frühe USFernsehe­n und seine festgefügt­e, auf subversive Art heile Welt und zweite Traumfabri­k Amerikas: Durchlässi­g, offen für den Zeitgeist, lagen ihr bei aller Zerstreuun­gsabsicht aufkläreri­sche Grundabsic­hten zugrunde, eine Schule der Gesellscha­ft.

So handelt diese vielschich­tige, hervorrage­nd inszeniert­e Romanze auch von einer Unschuld, die bald zerbrechen wird, und zeitlosen Gegenwelte­n. Auch diese Prinzessin wird aus ihren Träumen erwachen.

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FOTO: 20TH CENTURY FOX In Guillermo del Toros preisgekrö­ntem Film, dem beste Oscar-Chancen ausgerechn­et werden, brilliert Sally Hawkins in der Rolle der stummen Elisa.

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