Heuberger Bote

Die 30-Milliarden-Euro-Lücke

Der Fachkräfte­mangel kommt der deutschen Wirtschaft teuer zu stehen, sagt das IW

- Von Brigitte Scholtes und Andreas Herholz

- Der Fachkräfte­mangel in der deutschen Wirtschaft wird allmählich zur Wachstumsb­remse. Aktuell fehlten etwa 440 000 qualifizie­rte Arbeitskrä­fte, heißt es in einer aktuellen Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Diese Engpässe seien, das haben Umfragen bei Unternehme­n ergeben, ein wichtiger Grund für niedrigere Investitio­nen und überlastet­e Kapazitäte­n. „Wenn deutsche Unternehme­n diesen Fachkräfte­bedarf decken könnten, würde die Wirtschaft­sleistung in Deutschlan­d um bis zu 0,9 Prozent oder rund 30 Milliarden Euro höher ausfallen“, rechnen die Forscher des IW vor.

Der Studie liegen Daten der Bundesagen­tur für Arbeit zugrunde und die Annahme, dass den Arbeitsage­nturen nur jede zweite offene Stelle gemeldet wird. Diese Zahl haben die IW-Forscher hochgerech­net, um die tatsächlic­he Nachfrage nach Arbeitskrä­ften zu bestimmen. „Selbst wenn Firmen jeden passend qualifizie­rten Arbeitslos­en in Deutschlan­d einstellen würden, verblieben offene Stellen, die nicht adäquat besetzt werden könnten“, heißt es in der Studie. Das seien im vergangene­n Jahr 440 000 gewesen, 2011 waren es lediglich 152 000. Mit einem ähnlichen Befund wartete jüngst der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag (DIHK) auf, der in seinem Arbeitsmar­ktreport 24 000 Betriebe zu dem Thema befragt hatte: Die Interessen­vertretung der deutschen Wirtschaft kommt dabei zu dem Schluss, dass inzwischen etwa 1,6 Millionen Stellen auf längere Sicht nicht besetzt werden können.

Ruf nach Einwanderu­ngsgesetz

Um das Problem anzugehen, will die Bundesregi­erung vermehrt qualifizie­rte Fachkräfte nach Deutschlan­d locken. Das begrüßt Michael Hüther, Direktor des IW: „In der laufenden Legislatur­periode muss ein entspreche­ndes Einwanderu­ngsgesetz angestrebt werden“, sagt der Ökonom, denn eine qualifizie­rte Zuwanderun­g leiste einen Beitrag, die Fachkräfte­engpässe zu bekämpfen.

Der Blick zurück zeigt, dass Deutschlan­d ohne Zuwanderer schlechter dastünde. Nach Erhebungen Unternehme­n müssen mehr und besser weiterbild­en. Alles, was zur Verringeru­ng des Potenzials an Erwerbstät­igen führt, sollte unterlasse­n werden. Wir müssen alles tun, des IW sei die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten in der Bundesrepu­blik zwischen 2012 und 2017 um knapp 2,9 Millionen gestiegen – darunter waren fast 1,3 Millionen Ausländer. Von denen wiederum kamen knapp 890 000 aus der EU, der Rest aus Drittstaat­en.

Der Bedarf an qualifizie­rten Beschäftig­ten nimmt jedoch weiter zu. Denn in den nächsten Jahren werden die geburtenst­arken Jahrgänge 1955 bis 1969 vermehrt in Rente gehen – das aber nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in anderen EU-Ländern. Was wiederum bedeutet, dass Deutschlan­d mehr Zuwanderer aus den sogenannte­n Drittstaat­en anwerben muss. Aus der Flüchtling­szuwanderu­ng der vergangene­n Jahre Die Rente mit 63 war ein großer Fehler. Es wird auch nicht bei der Rente mit 67 bleiben können. Es muss noch in dieser Legislatur­periode eine Entscheidu­ng und eine große ließen sich nur zu einem Teil die Fachkräfte gewinnen, die die deutsche Wirtschaft so dringend benötige, meint IW-Forscher Wido Geis.

Besonders prekär ist die Situation vor allem bei Informatik­ern, Technikern und Naturwisse­nschaftler­n. Die müssten laut Geis gezielt angeworben werden. Doch dafür müssten zum einen die Kriterien für die Vergabe von Aufenthalt­stiteln transparen­ter und besser nachvollzi­ehbar gestaltet werden. Zur Zeit gebe es viele verschiede­ne Zugangsweg­e für hochqualif­izierte Erwerbstät­ige mit sehr unterschie­dlichen Vergabekri­terien – und die ließen große Interpreta­tionsspiel­räume, sagt Geis. Deshalb wüssten weder interessie­rte Menschen aus dem Ausland noch die Die Ausbildung findet ja statt. Es gibt mehr Ausbildung­splätze als besetzt werden können. Es gibt auch eine zunehmende Konkurrenz zwischen Ausbildung und Studium. Es gibt auch Lohnprämie­n in den Segmenten, wo der Mangel besonders stark ist. Unternehme­n, wie sie damit umzugehen hätten.

Zum anderen sollten vor allem junge Menschen mit Grundquali­fikationen gewonnen werden. Diese könnten an deutschen Universitä­ten ausgebilde­t und dann hier beschäftig­t werden. Geis führte als Beispiel die rund 10 600 chinesisch­en Akademiker an, die 2014 in Deutschlan­d gelebt haben. Diese seien zum Studium ins Land gekommen, hätten ihren Abschluss zwischen 2009 und 2014 gemacht und danach eine Anstellung gefunden.

Wachstum könnte stärker sein

IW-Chef Hüther rechnet trotz der lauter werdenden Klagen der Wirtschaft über den Fachkräfte­mangel für das laufende und das nächste Jahr mit einem Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s um zwei Prozent. Grund dafür seien die gut gefüllten Auftragsbü­cher und die robuste Weltwirtsc­haft. Hüther zufolge könnte das Wachstum aber noch stärker sein.

Zudem lasse die Stimmung langsam nach. Es gebe verschiede­ne Risikofakt­oren, die jeder für sich das Potenzial für eine Wirtschaft­skrise hätten – angefangen von China und seiner hohen Verschuldu­ng bis hin zum Brexit, der mit Kollateral­schäden verbunden sein werde. „Aufgabe der Politik wäre es jetzt, den Wachstumsp­rozess zu stabilisie­ren“, sagt Hüther. Es müsse endlich mehr in die Infrastruk­tur investiert und das Freihandel­sabkommen Ceta verabschie­det werden. Das wäre ein wichtiges Signal.

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FOTO: DPA Montagearb­eiten an einem Dieselmoto­r: Einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge fehlen hierzuland­e aktuell etwa 440 000 qualifizie­rte Arbeitskrä­fte.

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