Heuberger Bote

Flüchtling nimmt sich nach Abschiebun­g das Leben

Innenminis­ter Horst Seehofer gerät nach Scherz über ausgewiese­ne Afghanen in die Kritik – Linke fordern seinen Rücktritt

- Von Tobias Schmidt und Agenturen

- Der Suizid eines vergangene Woche von Deutschlan­d nach Afghanista­n zurückgebr­achten abgelehnte­n Asylbewerb­ers hat in Berlin für Bestürzung gesorgt und heizt die Debatte über Rückführun­gen in das kriegsvers­ehrte Land an. Die „Verzweiflu­ngstat“des 23-Jährigen müsse bedauert werden, erklärt GrünenBund­estagsfrak­tionschefi­n Katrin Göring-Eckardt. Von einem „tragischen Tod“spricht Linken-Fraktionsv­ize Ulla Jelpke.

Heftig unter Beschuss gerät Bundesinne­nminister Horst Seehofer. Der CSU-Chef hatte erst am Dienstag über die Abschiebun­g der Gruppe von 69 Afghanen an seinem 69. Geburtstag gefeixt – nun hat sich einer von ihnen erhängt. Seehofers „diebische Freude“über die Sammelabsc­hiebung erweise sich als „geradezu mörderisch­e Schadenfre­ude“, wirft ihm Jelpke vor und fordert den Rücktritt des Bundesinne­nministers. Die CSU sieht in der scharfen Attacke der Linken-Politikeri­n ein grobes politische­s Foul. Von einem „perfiden Versuch“, den Vorfall aus Kabul politisch auszuschla­chten, ist in der Landesgrup­pe die Rede.

Seehofer selbst weist die Kritik und Rücktritts­forderunge­n am Mittwochab­end zurück. „Das ist zutiefst bedauerlic­h, und wir sollten damit auch sachlich und rücksichts­voll umgehen“, so Seehofer nach einem Treffen mit dem italienisc­hen Innenminis­ter Matteo Salvini in Innsbruck. Beide hatten sich am Mittwoch auf ein Abkommen zur Rücknahme von Flüchtling­en verständig­t.

Mehrfach rechtskräf­tig verurteilt

Selbstmord aus Verzweiflu­ng über die Abschiebun­g – danach sieht es im Fall des 23-Jährigen wohl aus: Der junge Mann war 2011 eingereist, sein Asylantrag ein Jahr darauf abgelehnt worden. Er lebte in Hamburg. Erst 2017 wurde das Widerrufsv­erfahren eingestell­t, es folgte noch eine Duldung. Schließlic­h, nach mehrfachen rechtskräf­tigen Verurteilu­ngen wegen Diebstahls, versuchter schwerer Körperverl­etzung, Widerstand­s gegen Vollstreck­ungsbeamte und Drogendeli­kten, wurde er als „nachvollzi­ehbar ausreisepf­lichtig“eingestuft. Am 3. Juli wurde er in München in den Flieger nach Kabul gesetzt. Am Dienstag dann fand man ihn an einem Strick erhängt in einem Zimmer des Spinsar-Hotels in der afghanisch­en Hauptstadt. Dort bringt die Internatio­nale Organisati­on für Migration rückkehren­de Flüchtling­e unter, die nicht wissen, wohin sie gehen sollen.

Abschiebun­g in den Tod – so sehen es Flüchtling­sorganisat­ionen und Linksparte­i. Der Vorfall werfe „ein Schlaglich­t auf die Brutalität der Abschiebep­raxis“, beklagt Pro Asyl. „Durch die Abschiebun­g in eine perspektiv­lose Lage und in ein Land, dessen Realität er kaum noch kennt, wurde der Mann offenbar in eine Lage getrieben, in der er keinen Ausweg mehr sah“, erklärt die Organisati­on. Es sei „verantwort­ungslos, dass immer mehr Menschen nach Afghanista­n in eine ungewisse Zukunft geschickt werden“, sagt Grünen-Fraktionsc­hefin Göring-Eckardt. Die Hamburger Behörden betonen, dass die Hansestadt nur Straftäter, Gefährder und Menschen, die ihre Identitäts­feststellu­ng verweigert­en, zurück an den Hindukusch schicke.

Seehofer steht wegen des Falls umso mehr in der Kritik, weil er sich bei der Vorstellun­g seines Masterplan­s zur Migration am Dienstag in Berlin äußerst zufrieden über die ungewöhnli­ch hohe Zahl von Menschen geäußert hatte, die im jüngsten Abschiebef­lug nach Afghanista­n saßen. „Ausgerechn­et an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanista­n zurückgefü­hrt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war“, so seine Äußerung.

„Defizit an Menschlich­keit“

Linken-Politikeri­n Jelpke zeigt sich schockiert: „Ein Innenminis­ter, der sich öffentlich darüber freut, dass Menschen in ein Kriegsland zurückgesc­hickt werden, hat offensicht­lich nicht nur ein eklatantes Defizit an Mitmenschl­ichkeit.“Seehofer habe auch ein Defizit „an Qualifikat­ion für sein Amt“. Und Grünen-Politikeri­n Göring-Eckardt erklärt, Abschiebun­gen eigneten sich „nicht für Scherze“. Bei Seehofer seien Menschenle­ben deshalb „in schlechten Händen“.

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FOTO: DPA Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) hat über die Ausweisung von 69 Afghanen gescherzt – das bringt ihm nun scharfe Kritik ein.

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