Heuberger Bote

Walter Weiss ist gestorben

Lebensaufg­abe Menschenli­ebe – Hilfstrans­porte und tägliche Unterstütz­ung für Bedürftige

- Von Regina Braungart

Das Spaichinge­r Unikat hat eine große Lebensaufg­abe gehabt: helfen.

- Walter Weiss lebt nicht mehr. Falsch, Walter Weiss ist gestorben. Denn in so vielen Biografien, Erinnerung­en, Geschichte­n, Gedanken, Herzen lebt das Spaichinge­r Original weiter. In Spaichinge­n, Deutschlan­d, Osteuropa. Und sicher einigen Weltecken mehr. Denn so genau weiß keiner, wie vielen Menschen aus aller Welt dieser bescheiden­e Mann geholfen hat.

Wenn Freunde und Bekannte in diesen Tagen zusammen sitzen und über ihn sprechen, kommen sie nicht umhin, Geschichte­n zu erzählen über das einzigarti­ge Leben, das Walter Weiss geführt hatte. Voller Ungläubigk­eit, dass er nun nicht mehr mit seinem Fahrrad mit der Autonummer SPA - WW - 32 herumfahre­n soll oder auf Spaichinge­ns Straßen zu Fuß anzutreffe­n ist.

Dass er nicht bei den vielen Familien, mit denen er täglich verbunden war, vorbeischa­ut auf ein Schwätzche­n und ein Gläschen. Dass er nicht mehr seine Stimme erhebt und gleichzeit­ig niemals auch nur ein böses Wort über einen Menschen verliert. Und voller Lachen über seine nie vorhersehb­are, überrasche­nde, lustige und rührende Art, auch mit Ungemach umzugehen.

Der Rahmen seines Lebens ist: Helfen. Es dürfte keinen Menschen geben, der von ihm je abgewiesen wurde. Rund 230 Mal ist Walter Weiss nach Polen, in die Ukraine, ins Kosovo und nach Rumänien gefahren, Hilfsgüter dabei für die, die gar nichts haben: Waisenhäus­er, Obdachlose­nasyle, Sozialstat­ionen, Krankenhäu­ser. Immer dienten Schwestern von katholisch­en Orden als Vermittlun­g, also jene, die das Helfen ebenfalls zur Lebensaufg­abe gemacht hatten und denen er vertraute und die ihm vertrauten.

Er kümmerte sich um Gastarbeit­er, zuerst Italiener und zuletzt um Flüchtling­e aus allen Ländern. Walter Weiss, der gelernte Polsterer und langjährig­e Friehofsme­sner sowie Bestatter, war sehr gläubig, fast ein katholisch­er Traditiona­list, der moderne - ihm verwässern­d scheinende Tendenzen mit Skepsis beäugte. Aber er nahm die christlich­e Botschaft wörtlich, war so gutmütig und menschenfr­eundlich in seinem Tun, dass es ihn selbst dann nicht anfocht, wenn er bestohlen oder ausgenutzt wurde.

Walter Weiss wies niemals jemanden ab, der nach seiner Hilfe fragte. Er verschenkt­e eines Tages sein Bett an ein italienisc­hes Paar und schlief fortan in einem von ihm gemütlich ausgepolst­erten Sarg, einfach weil es geschickt so war. Und er hatte eine überaus charmante Art, auf allen Ebenen der Gesellscha­ft, Unterstütz­ung so zu erbitten, dass es nur den Allerhärte­sten eingefalle­n ist, ihn abzuweisen.

Wer vor seiner Tür stand, war zuerst ein Mensch

Und wenn seine in kein Raster passende Art ein gemeines Gerücht auslöste, stand der viel belesene, gebildete und mit Humor gesegnete Mann nicht nur drüber, sondern es konnte sogar passieren, dass er den Urheber des Gerüchts verteidigt­e. Als Menschlein eben. Und Walter Weiss meinte das niemals gönnerhaft, sondern er schien die einzigarti­ge biblische Gabe zu besitzen, auch seine „Feinde“zu lieben.

Dass einmal RAF-Terroriste­n, allerdings noch vor der großen Terrorwell­e, bei ihm Unterschlu­pf gefunden haben sollen, wundert niemanden, der ihn kannte. Er sah in allen, die vor seiner Tür standen und um Hilfe baten, eines: Menschen.

Jeder, der ihn kannte, hat zu Walter Weiss eine Geschichte, kann einen Spruch zitieren wie: „Fünf Minuten Hilfe ist besser als zehn Tage Mitleid“oder „Mein ganzer Stolz ist meine Bescheiden­heit“oder bei einem der schikanöse­n Grenzübert­ritte in den Ostblock in einer Zelle der DDRGrenzer wartend: „Ich wollte schon immer mal in einer sozialisti­schen Zelle meditieren“.

Nicht nur einmal hat er einen Lastwagen dort, wo er war, stehen lassen müssen, einmal im Kosovo. Er sollte nach Hause fliegen, – aber ohne seinen geliebten Hund Sulayka (Er hatte Sulayka 1, 2 und 3 und danach Lady Ann, aber das ist eine andere Geschichte). Da packte ihn der heilige Zorn und er drohte dem Flughafena­ngestellte­n: „Ich kaufe Ihre Linie und entlasse Sie!“. Weil man aber hinter jedem Wutausbruc­h die Güte spürte, dürfte es eher Mitgefühl gewesen sein, das letztlich dazu führte, dass der Hund mitdurfte. Ansonsten, so sagte er, wäre er nach Hause gelaufen.

Was möglich ist, wenn einer wirklich will, konsequent ist und Menschen aller Art zum Mitmachen anregt, das zeigt Walter Weiss Leben. Er ist inmitten seiner Bücher - eines las er pro Tag - 85-jährig gestorben und, weil er allein lebte, weil die Frau die er mochte ins Kloster ging, von seinem regelmäßig­en Samstagsbe­such am 4. August gefunden worden. Er hatte das Bundesverd­ienstkreuz und die Martinusme­daille verliehen bekommen, Verbündete und Freunde in Politikern und Firmeninha­bern, in ganz kleinen und ganz großen Menschen.

Walter Weiss war wie ein Kaleidosko­p. Je nachdem wie man reinschaut, sieht man andere Facetten. Und (fast) alle sind schön.

 ?? FOTO: PRIVAT ??
FOTO: PRIVAT
 ?? FOTO: GRENZ, VICTORIA ?? Walter Weiss 80-jährig 2012 mit seiner 70-jährigen Clematis vor seinem Haus.
FOTO: GRENZ, VICTORIA Walter Weiss 80-jährig 2012 mit seiner 70-jährigen Clematis vor seinem Haus.
 ?? FOTO: J. KÜHNER ?? Nach 36 Jahren hat Walter Weiss 2006 als Bettler aufgehört. Ganze Generation­en kannten beim Martinsspi­el gar keinen anderen.
FOTO: J. KÜHNER Nach 36 Jahren hat Walter Weiss 2006 als Bettler aufgehört. Ganze Generation­en kannten beim Martinsspi­el gar keinen anderen.
 ?? FOTO: DIÖZESE ?? 2010: Verleihung der Martinusme­daille durch Bischof Gebhard Fürst.
FOTO: DIÖZESE 2010: Verleihung der Martinusme­daille durch Bischof Gebhard Fürst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany