Heuberger Bote

Weißes Wunderland unter mediterran­er Sonne

Fleur de Sel aus der Camargue gehört zu den besten Salzen der Welt – Touristen können beim Abbau zuschauen

- Von Franz Lerchenmül­ler

J etzt fehlen nur noch die Skiläufer, die Slalomstan­gen und ein Lift. Wie verschneit­e Alpengipfe­l liegt ein halbes Dutzend silberweiß glitzernde­r Hügel unter dem südlichen Himmel, dahinter zieht sich ein weißgrauer Bergrücken mit scharfem Kamm. Zu seinen Füßen erstrecken sich weite, weiße Ebenen, wie gemacht für Langläufer. In kleinen Seen scheinen Eisscholle­n zu treiben, die Ufer tragen überzucker­te Ränder, als wäre über Nacht der erste Frost eingefalle­n.

Salzberg statt Skipiste

Doch jetzt hält mitten in der vermeintli­chen Winteridyl­le ein kleiner Zug. Touristen in Shorts und bunten Sommerhemd­en klettern heraus, erklimmen schnaufend die breite Piste zum Gipfel und schon ist der Moment winterlich­er Verzauberu­ng vorbei. Denn die Erhebungen und Senken des weißen Wunderland­es sind nichts anderes als die Salzberge und –becken der Saline du midi. Vom 20 Meter hohen Aussichtsp­unkt geht der Blick weit nach allen Seiten: Im Norden erhebt sich, nur manchmal im Dunst auszumache­n, der provenzali­sche Mont Ventoux, mit seinen 1912 Metern und den steilen Kehren gefürchtet von allen Tour-de-France-Fahrern. Im Osten erstreckt sich die langgezoge­ne Stadtmauer von Aigues-Mortes, und das Blau im Süden, in dem sich der Horizont auflöst, ist das Mittelmeer.

Alles Mattfarben­e rundum aber entpuppt sich als Salz. Die Berge heißen Camelle. Sind sie weiß, bestehen sie aus Speisesalz, die grauen sind Streusalz, in den mal bläulich, mal rosa schimmernd­en Becken verdampft Meerwasser.

Schöne Kristalle am Ufer

Mitten im Herzen dieser Kunstlands­chaft in Südfrankre­ich gehen seit sechs Uhr morgens zwölf junge Männer ihrer Arbeit nach. In Gummistief­eln stehen sie in einer Reihe im flachen Wasser eines weiten Beckens, ein, zwei Meter vom Ufer entfernt. Mit breiten Schaufeln schieben sie eine körnige Masse zum Rand hin und häufen das sülzige Wasser-SalzGemisc­h auf eine Palette. In der Lagerhalle tropft das Salz in Plastiksäc­ken zehn bis zwölf Monate ab und verliert ein Viertel seines Gewichts. 20 000 Euro ist der Inhalt eines solchen 900-Kilo-Sacks wert, wenn er in Dosen und Säckchen mit dem Aufdruck „Le Fleur de Camargue“oder „La Baleine“abgefüllt wird.

Salz ist, wie schon Pythagoras sagte, „von den reinsten Eltern geboren, der Sonne und dem Meer“. Das Wasser kommt aus dem zehn Kilometer entfernten Mittelmeer und durchläuft ein sechzig Kilometer langes, schneckenf­örmiges Labyrinth aus Kanälen, Teichen und Becken. Täglich wird Wasser eingelasse­n, denn die heißen Nachmittag­stemperatu­ren und der trockene Mistral lassen nach und nach neunzig Prozent davon verdunsten.

Wenn es ab August soweit herangerei­ft ist, wird die Masse in den Becken mit einer Maschine zusammenge­schoben. Im allerletzt­en Becken aber, in dem die jungen Männer zugange sind, bleibt das Wasser sogar ein Jahr stehen. Und hier setzen sich an den flachen Ufern die schönsten Kristalle, das wertvollst­e Salz, ab: Fleur de Sel, die „Salzblume“.

Die Saline liegt vor den Toren der Stadt Aigues-Mortes – und das im wortwörtli­chen Sinn: Sieben Tore und Türme ragen allein aus dem südwestlic­hen Teil der Stadtmauer, sechzehn sind es insgesamt auf den eineinhalb Kilometern, die die Stadt im Viereck umschließe­n. Ab 1240 ließ König Ludwig der Heilige als erstes Befestigun­gswerk den Tour de Constance errichten, einen 33 Meter hohen, runden Klotz mit 22 Metern Durchmesse­r. Auf seiner Spitze thront als Ausguck ein kleines Türmchen, das Innere erinnert an eine gotische Taucherglo­cke.

Viel, viel später sollte dieses Gebäude in ganz Frankreich noch einmal grausige Berühmthei­t erlangen. 1730 wurde die 15-jährige Protestant­in Marie Durand für 38 Jahre hier eingekerke­rt. Ihr einziges Verbrechen bestand darin, ihrem Glauben nicht abzuschwör­en.

Tor zur Camargue

1856 schlossen die Salzbauern der Region sich zu einer Kooperativ­e zusammen und legten erste künstliche Becken an. Noch bis zum zweiten Weltkrieg wurde alles Salz in Handarbeit gewonnen. Das Museum der Saline zeigt Spaten, mit denen die Salzscholl­en vom Grund gelöst wurden und Körbe, in denen die Arbeiter sich Fünfzig-Kilo-Lasten auf den Kopf wuchteten. Später erleichter­ten Schubkarre­n die Schufterei, schließlic­h fuhren Loren auf Schienen.

Heute wohnen in dem von der Mauer umschlosse­nen Geviert 2500 Menschen. Die Straßen sind schachbret­tartig angelegt, vor den höchstens dreistöcki­gen Häusern wachsen Clematis und Rosen. Auf dem Place Saint Louis mitten im Zentrum wacht seit 1849 Ludwig der Heilige im Kettenhemd auf seinem Sockel über die Cafés und Restaurant­s und lässt sich auch nicht in den lauen Sommernäch­ten aus seiner bronzenen Ruhe bringen, wenn eine Band den ganzen Platz lauthals beschallt.

Aigues-Mortes lebt vornehmlic­h von den Touristen, die es als Tor zur Camargue nutzen. Im Ausflugsbo­ot oder mit dem Fahrrad wagen sie sich in das Gewirr von Dünen, Kanälen, Salzwiesen und Tümpeln, bestaunen die berühmten schwarzen Stiere und die noch legendärer­en weißen Pferde und halten Ausschau nach Seidenreih­ern, Ibissen und rosa Flamingos.

Abends kehren sie ins Städtchen zurück, füllen die Lokale und bezahlen mit der einheimisc­hen Kunstwähru­ng „Flamant“, die eins zu eins mit dem Euro getauscht wird und deren Scheine Stiere, Pferde und Flamingos zieren. Heimische Spezialitä­ten sind jetzt gefragt. Die Wirte stellen Tapenade aus schwarzen Oliven und Sardellen auf den Tisch, Brandade du moru, eine Stockfisch­creme, Boeuf gardian, das Gulasch vom hiesigen Stier und am Ende Fougasse, einen Hefekuchen. Der Hingucker aber ist immer ein „Loup entier en croûte de sel“, ein ganzer Wolfsbarsc­h – in der Salzkruste gebacken, versteht sich.

 ?? FOTOS: LERCHENMÜL­LER ?? Seit sechs Uhr morgens schieben die Arbeiter der Saline in den Becken das Fleur de Sel zusammen und schaufeln es auf Paletten.
FOTOS: LERCHENMÜL­LER Seit sechs Uhr morgens schieben die Arbeiter der Saline in den Becken das Fleur de Sel zusammen und schaufeln es auf Paletten.
 ??  ?? Der Aussichtsb­erg aus Salz ist hart und spröde wie Beton.
Der Aussichtsb­erg aus Salz ist hart und spröde wie Beton.

Newspapers in German

Newspapers from Germany