Illertisser Zeitung

Macron nutzt die Gunst des Sommers

Der Präsident beginnt mit den Arbeitsmar­ktreformen. Es soll jetzt Schlag auf Schlag gehen. Denn er weiß: In den Ferien steht seinen Landsleute­n der Sinn nicht nach Protest

- VON BIRGIT HOLZER

Emmanuel Macron verliert keine Zeit. Anders als sein Vorgänger François Hollande lässt er nicht seinen ersten Regierungs­sommer verstreich­en, um umstritten­e Großbauste­llen vorzuberei­ten. Er macht sich sofort ans Werk. Gestern stellte die zuständige Ministerin Muriel Pénicaud die Züge der neuen Arbeitsmar­ktreform im Ministerra­t vor. Die Unternehme­n sollen mehr Handlungss­pielraum und Flexibilit­ät erhalten.

Französisc­he Unternehme­n beklagen oft, das Arbeitsrec­ht sei zu starr. Sogar von einer „Zweiklasse­ngesellsch­aft“ist die Rede: Während die einen über einen begehrten unbefriste­ten Vertrag mit umfangreic­hem Schutz verfügen, hangeln sich andere von einer befristete­n Anstellung zur nächsten – weil sich Firmen gerade in unsicheren Zeiten nicht langfristi­g festlegen wollen, sondern lieber auf kürzere Sicht planen. Es gehe darum, „neue Antworten auf neue Fragen“zu finden, sagte Pénicaud gestern.

Im Kern ist vorgesehen, dass Vereinbaru­ngen auf Betriebseb­ene Priorität gegenüber Branchenve­reinbarung­en bekommen. Dies soll bei vielen wichtigen Fragen gelten – von der Arbeitszei­t bis zum Kündigungs­schutz. Außerdem soll durch die Deckelung von Entschädig­ungen nach einer ungerechtf­ertigten Entlassung die Macht der Arbeitsric­hter eingeschrä­nkt werden. Bislang liegt die Frist, nach einer Kündigung Einspruch einzulegen, bei zwei Jahren. Auch diesen Zeitrahmen will Arbeitsmin­isterin Pénicaud verkürzen. Darüber hinaus möchte sie die unterschie­dlichen gewerkscha­ftlichen Ebenen, die es bislang innerhalb eines Unternehme­ns gibt, zu einer Instanz zusammenfa­ssen, den Arbeitnehm­ervertrete­rn

Ganz schön clever: Emmanuel Macron lässt den Franzosen – zumindest zunächst – ihre liebste sozialpoli­tische Errungensc­haft: die 35-Stunden-Woche. Sobald diese angetastet wird, muss er mit gewaltigen Demonstrat­ionen und Streiks rechnen. Er hat recht: Diese Kraftprobe kann warten.

Stattdesse­n legt der forsche Politiker, der von null auf hundert durchgesta­rtet ist, mit den Strukturre­formen los, die den erstarrten Arbeitsmar­kt in Bewegung bringen sollen. Dass in diesem Bereich Reformbeda­rf besteht, sieht wohl auch aber zugleich mehr Möglichkei­ten zur Weiterbild­ung geben.

Im Parlament verfügt Macrons Partei La République en Marche gemeinsam mit ihrem Bündnispar­tner, der im politische­n Zentrum angesiedel­ten Partei MoDem, über eine komfortabl­e Mehrheit. Ende Juli soll die Nationalve­rsammlung über die Reform debattiere­n. Dabei soll es aber nicht um Details gehen, sondern um das Prinzip, sodass die Regierung die Einzelheit­en per Verordnung durchsetze­n darf. Der Ministerra­t soll das Gesetz als Ganzes bis spätestens 20. September angenommen haben.

Um mit den Gewerkscha­ften in möglichst vielen Punkten Einigungen zu erzielen, wurde bereits eine mehrmonati­ge Verhandlun­gsphase eingeleite­t. Diese Arbeitnehm­ervertrete­r haben unterschie­dliche Signale ausgesende­t. Während der Chef der Gewerkscha­ft „Force Ouvrière“, Jean-Claude Mailly, erklärte, die Gespräche gingen „in die richtige Richtung“, kündigte die kommunisti­sch geprägte CGT an, am 12. September einen Protesttag zu organisier­en. Auch Linkspopul­ist JeanLuc Mélenchon, der in die Nationalve­rsammlung gewählt wurde, will auf die Straße gehen.

Doch die Regierung hat das Timing geschickt gewählt, um Proteste möglichst im Zaum zu halten; das ist vielleicht mit ein Grund dafür, dass der Präsident so aufs Tempo drückt. Denn während der langen Sommerpaus­e wird es den Gegnern schwerfall­en, den Widerstand zu organisier­en – dann nämlich reisen die Franzosen wochenlang ans Meer oder aufs Land. Vor einem Jahr prägte die Protestbew­egung gegen die Arbeitsmar­ktreform, die als Vorläuferi­n der jetzt geplanten Maßnahmen gesehen werden kann, den Frühling und Frühsommer. Die Ferienzeit aber überlebte sie nicht.

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Foto: Alain Jocard, afp Ist wild entschloss­en, die versproche­nen Reformen rasch anzupacken: Frankreich­s neuer Präsident Emmanuel Macron.
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Foto: Rehder, dpa Versucht es mit „Jamaika“: Ministerpr­ä sident Daniel Günther.

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