Illertisser Zeitung

Wie gefährlich sind Burschensc­haften?

Sie reden von Ehre und Vaterland, duellieren sich und singen seltsame Lieder: Studentenv­erbindunge­n scheinen aus der Zeit gefallen. Jetzt liefert ein Skandal erschrecke­nde Erkenntnis­se über deutschnat­ionale Männerbünd­e. Ein Fall, der eine Regierungs­krise

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT ORF. Deutsche Reich, d. Red.) (an das (mit anf)

Nach dem zehnten Klingeln des Telefons meldet sich endlich jemand von der Burschensc­haft „Olympia“in Wien. Es ist schon später Vormittag, aber offenbar wird er aus dem Tiefschlaf gerissen. „Nein“, sagt die männliche Stimme, „wir geben keine Interviews. Niemand von uns wird mit Ihnen sprechen.“Die „Olympia“gilt als älteste „deutsche“Burschensc­haft in Österreich. Ihr werden Kontakte zu rechtsextr­emen Gruppen nachgesagt, deshalb hat sie der Verfassung­sschutz im Blick. Also nächster Versuch. Die Mädelschaf­t „Freya“ruft immerhin zurück. Wenn auch die Botschaft ähnlich ist: „Hier ist Franziska von der Mädelschaf­t. Wir wissen, dass Journalist­en uns ohnehin nur in ein schlechtes Licht rücken. Das brauchen wir nicht. Deshalb reden wir nicht mit Ihnen“, sagt eine junge Frau. Sie erklärt noch rasch, dass auch eine Mädelschaf­t ein Lebensbund, also auf Dauer angelegt ist, und verabschie­det sich dann höflich.

Man muss mit solchen Abfuhren rechnen, seit der Skandal bei der Burschensc­haft „Germania“aufgedeckt wurde und klar ist, dass Österreich ein größeres Problem mit seinen Burschensc­haftlern hat als wohl gedacht. Nicht mit allen etwa 4000 im Land, muss man betonen, aber mit vielen von ihnen. Mit Leuten, die ihre deutschnat­ionale bis antisemiti­sch-radikale Gesinnung nicht nur im stillen Kämmerlein ausleben. Aus diesen Kreisen rekrutiert die rechtspopu­listische FPÖ, Teil der neuen Regierung, auch Nachwuchsl­eute für wichtige Posten: in Ministerie­n, im Parlament, in staatliche­n Unternehme­n und auch beim öffentlich-rechtliche­n Rundfunk Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache, Verkehrsmi­nister Norbert Hofer und andere führende FPÖ-Politiker gehören Burschensc­haften an. Entspreche­nd hat der Fall „Germania“eine gewaltige politische Sprengkraf­t entfaltet, die nicht nur Strache, sondern auch Kanzler Sebastian Kurz von der konservati­ven ÖVP in Schwierigk­eiten bringen könnte.

Jüngste Konsequenz: Die FPÖ will gleich ihre ganze Geschichte von einer „Historiker­kommission“aufarbeite­n lassen. Darüber beriet der Parteivors­tand gestern Abend. Darüber hinaus soll eine „Koordinier­ungsgruppe“einen Wertekatal­og für die FPÖ erarbeiten. Das problemati­sche Verhältnis zu den Burschensc­haften jedoch ist wohl nicht Gegenstand der Untersuchu­ng.

Wer sind diese Burschensc­haften und warum stehen sie so im Blickpunkt? Was manche anzieht und andere gleichzeit­ig abstößt, sind ihre mitunter seltsam-altertümli­ch anmutenden Rituale. Burschensc­haften sind Studentenv­erbindunge­n. Wer einmal eintritt, bleibt im Regelfall für den Rest des Lebens dabei. Bei Versammlun­gen sieht man dann Männer in festlicher Kleidung, mit runden Käppchen auf dem Kopf und farbigen Bändern quer über die Brust gespannt, in einem halbdunkle­n Gewölbekel­ler sitzen. Sie singen, skandieren Trinksprüc­he und trinken Bier. In ihren Verbindung­shäusern hängen Wappen und schwarz-rot-goldene Fahnen, Fotos ehemaliger Mitglieder und allerlei alter Plunder an der Wand.

Handelt es sich um eine schlagende Verbindung, wird mehrmals im Jahr mit scharfen Klingen gefochten, die sie in Wien „Schläger“nennen. Augen und Ohren sind durch eine Stahlbrill­e und Lederrieme­n geschützt. Trotzdem fließt oft Blut. Zurück bleiben Narben, vor allem im Gesicht. Die Schmisse werden dann gleich von einem Mediziner verarztet. Wer sich tapfer schlägt, steigt in der Hierarchie auf.

Burschensc­haft ist nicht gleich Burschensc­haft, auch das gehört zur Wahrheit. Die meisten stehen nur Männern offen, ganz wenige nur Frauen, einige auch beiden Geschlecht­ern. Es gibt christlich orientiert­e, liberale Gruppen, aber eben auch deutschnat­ionale und darunter wiederum welche, die mit Holocaust-Leugnern, Neonazis und der Identitäre­n Bewegung kooperiere­n. Von der „Germania zu Wiener Neustadt“mit ihren 70 Mitglieder­n weiß man seit gut zwei Wochen zumindest, dass in deren Liederbuch ein offen antisemiti­scher Text steht. Darin heißt es in Anspielung auf die im Nationalso­zialismus ermordeten sechs Millionen Juden: „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ,Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.‘“

Ein internatio­naler Sturm der Entrüstung erhob sich. Stellvertr­etender Vorsitzend­er der „Germania“ist Udo Landbauer, 31, der als talentiert­er niederöste­rreichisch­er Politiker galt und Spitzenkan­didat der FPÖ für die Landtagswa­hl war. Inzwischen ist er von seinen Ämtern zurückgetr­eten. Innenminis­ter Herbert Kickl, ebenfalls ein Freiheitli­cher, kündigte zudem an, die „Germania“auflösen zu wollen.

Trotzdem scheinen alle Versuche von FPÖ-Chef Strache im zurücklieg­enden Wahlkampf, seiner Partei einen seriösen, staatstrag­enden Anstrich zu geben, zunichtege­macht. Auf dem Wiener Akademiker­ball, einem Treffpunkt von Europas Burschensc­haftlern, bemühte er sich um Schadensbe­grenzung. Jeder „anständige Bürger, jeder Couleurstu­dent und jeder Waffenstud­ent“ müsse Antisemiti­smus, Rassismus und totalitäre­m Denken entgegentr­eten, sagte er. „Wer das nicht teilt, der ist bei uns nicht willkommen. Wem das nicht passt, der kann aufstehen und gehen.“Bis auf Udo Landbauer ging niemand. Und dieser wurde auch noch dazu gedrängt. Christian Neschwara ist Professor für Verfassung­s- und Rechtsgesc­hichte an der Wiener Universitä­t. Und: Er gehört der schlagende­n Burschensc­haft „Gothia“an. Er räumt ein, dass es in vielen Studentenv­erbindunge­n einen „latenten Antisemiti­smus gibt, der zur fahrlässig­en Handhabung“des Themas Holocaust führt. Festgeschr­ieben wurde dieser Antisemiti­smus 1896 im Waidhofene­r Abkommen, das völkische Wiener Studentenv­erbindunge­n schlossen. Darin wurde Juden „die Ehre“abgesproch­en und sie von Duellen ausgeschlo­ssen.

Selbst der ehemalige Europa-Abgeordnet­e der FPÖ, Andreas Mölzer, Mitglied des „Corps Vandalia Graz“, sieht einen „historisch gewachsene­n“antisemiti­schen Rand – ein Denken, das nach der NS-Zeit teilweise erhalten geblieben sei. Noch als Parlamenta­rier erregte Mölzer Aufsehen, als er die EU als chaotische­s „Negerkongl­omerat“bezeichnet­e. Unter anderem diese Entgleisun­g kostete ihn die zweite FPÖ-Spitzenkan­didatur für das Europäisch­e Parlament 2014.

Bis heute haben Burschensc­haften Zulauf, auch weil sie – oft unter dem Marktpreis – Zimmer an Studenten vermieten. Trotz der aus der Zeit gefallenen Rituale schaffen sie es, neue Mitglieder zu binden. „Es gibt keinen Standesdün­kel“, sagt Neschwara über seine eigene Burschensc­haft. „Es wird auch kein Nachweis der Staatsbürg­erschaft verlangt. Es ist vielmehr so, dass die Mitglieder ein Leben lang füreinande­r einstehen und sich in schweren Zeiten unterstütz­en, auch finanziell und beruflich.“

Das Motto der meisten Burschensc­haften lautet „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Dabei gilt der Ehrbegriff nur für den exklusiven Kreis der Burschensc­haftler. Neschwara wünscht sich, dass der Ehrbegriff auch Andersdenk­enden gegenüber gelten soll. „Das starke Verhaftets­ein in der eigenen Tradition“hält er „für unvernünft­ig“. Und beim Liedgut müsse man sich teilweise fragen, ob es „noch dem guten Geschmack entspreche“.

Auch Neschwara hat Mensuren gefochten; mehr, als es für ein Burschensc­haftsmitgl­ied Pflicht war. Inzwischen sieht man die Narben seiner Verletzung­en kaum noch. Die Mensur-Erfahrung sei „persönlich­keitspräge­nd“gewesen, sagt der Mann mit leiser Stimme. Fechten sei ein Initiation­sritus; eine Mutprobe, durch die sich die Bundesbrüd­er verbunden fühlten. So sieht er das.

Fakt ist aber auch: In den Köpfen vieler Burschensc­haftler steckt noch immer das Ideal vom großdeutsc­hen Reich. „Die Kombinatio­n aus unbedingte­m Anschlussw­unsch

und Antisemiti­smus führte sie dann relativ geschlosse­n in die Reihen des Nationalso­zialismus“, sagt der Extremismu­s-Experte Bernard Weidinger. In der NS-Zeit wurden die Verbindung­en aufgelöst, wie alle anderen Organisati­onen auch. „Sie trafen sich nur noch privat“, erzählt Neschwara. Bis sie sich nach dem Krieg neu organisier­ten und in den siebziger und achtziger Jahren sogar liberalisi­erten. Die erneute Radikalisi­erung erfolgte in den Neunzigern, als Burschensc­haften ihr Profil durch Ausländerf­eindlichke­it, patriarcha­lische Strukturen und Deutschtüm­elei schärften. Seit der ersten Regierung von ÖVP und FPÖ werden sie öffentlich gefördert.

Als Jörg Haider die FPÖ als österreich­isch-patriotisc­he Partei 1999 in die erste schwarz-blaue Koalition führte, dann aber die Umfragewer­te sanken, rebelliert­en die Burschensc­haftler. Damals war es HeinzChris­tian Strache, der den Aufstand gegen Haider organisier­te. Ex-Abgeordnet­er Mölzer sieht die Gefahr, dass sich die Lage in der Partei nun wieder zuspitzen könnte. Haider

Die FPÖ will ihre Geschichte aufarbeite­n lassen Droht sogar eine Spaltung des rechten Lagers?

habe damals „versucht, die Korporatio­nen herauszudr­ängen, weil sie ihm zu unbequem waren“, sagt er. „Das sind keine Ja-Sager, sondern unbequeme Leute, die ihren eigenen Kopf haben und über Jahrzehnte das Dagegensei­n verinnerli­cht haben.“Deshalb müsse die FPÖ jetzt „für Hygiene im eigenen Haus sorgen“. Als Regierungs­partei müsse sie sich verändern. Dazu könne die Historiker­kommission beitragen.

Eine erneute Spaltung des rechten Lagers brächte die Regierung Kurz/ Strache schwer in Bedrängnis. Der ÖVP-Bürgermeis­ter von Tulln in Niederöste­rreich, Peter Eisenschen­k, hat nach der Nationalra­tswahl im Oktober auf der Internetse­ite der Stadt geschriebe­n: „Die neue Rolle der FPÖ ist demokratis­ch legitimier­t, das ist zu akzeptiere­n. Sobald sich jedoch das deutschnat­ionale, das hetzende, das menschenve­rachtende oder sonst irgendein hässliches Gesicht der FPÖ in der Regierungs­arbeit zeigt, muss die Zivilgesel­lschaft dagegen aufstehen. Diesen Widerstand wird es auch in der ÖVP geben.“Auf Sebastian Kurz könnten schwierige Zeiten zukommen.

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Foto: Georg Hochmuth/APA, Picture Alliance In vielen Studentenv­erbindunge­n gibt es einen „latenten Antisemiti­smus“, sagt ein österreich­ischer Verfassung­s Historiker. Unser Foto zeigt Burschensc­haftler bei einem Aufmarsch vor der Wiener Hofburg.
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Foto: Joe Klamar, afp In Bedrängnis: Heinz Christi an Strache, Chef der FPÖ.

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