Illertisser Zeitung

Der tägliche Auto Wahnsinn

Immer mehr Fahrzeuge drängen sich auf Deutschlan­ds Straßen, nicht nur jetzt vor Ostern. Als die A8 vor etwa zehn Jahren zwischen Augsburg und München ausgebaut wurde, galt dies als Befreiungs­schlag. Aber noch immer ist dort oft die Hölle los. Wie soll das

- VON JOSEF KARG

Freitagmor­gen kurz nach sieben, ein früher Termin in der Landeshaup­tstadt steht an. Also rein ins Auto. Schon an der Autobahnau­ffahrt in Dasing sieht man die lange Schlange, die sich den Hügel die A8 hinauf in Richtung München erstreckt. Kaum eingereiht in die Kolonne spürt man, wie der Adrenalins­piegel in die Höhe schießt. Ein 40-Tonner aus Österreich liefert sich mit einem Kollegen das, was im Volksmund als „Elefantenr­ennen“bekannt ist. Der eine Riese versucht, den anderen zu überholen. Und von hinten drängelt schon ein Kombifahre­r, mit Lichthupe.

Was hier täglich geschieht, entlang dieser für die Region so bedeutende­n Lebensader, ist nur mit dem Wort „Wahnsinn“halbwegs zutreffend beschriebe­n. Ein befreundet­er München-Pendler bestätigt: „Hier geht es jeden Morgen so zu.“Und wenn dann noch der Winter zuschlägt oder jetzt der Reiseverke­hr in den Osterferie­n ...

Nun gehört das Meckern über die Zustände auf den Autobahnen für den einen oder anderen Deutschen zum guten Ton. Das mag in der Vergangenh­eit oft übertriebe­n gewesen sein. Doch nun mehren sich die Probleme, und die Klagen bekommen ein festes Fundament. Dieselgate! Feinstaub! Dauerstau! Das Auto hat seine Unschuld längst verloren und büßt in Umfragen Jahr für Jahr an Status ein. Kein Wunder, kann man einwerfen, wenn die Verkehrssy­steme vielerorts kollabiere­n. Auf deutschen Straßen rollen immer mehr Autos. Im Kraftfahrt-Bundesamt sind über 45 Millionen Pkw registrier­t, jedes Jahr nimmt die Zahl zu. Dass dabei der Aggression­spegel der Fahrer seit Jahren parallel dazu zu steigen scheint, ist eine fast zwangsläuf­ige Folge. Eine Verkehrswe­nde, die die Gesellscha­ft in Richtung öffentlich­er Nahverkehr bewegen würde, hat bisher nicht eingesetzt.

Vor zwei Jahren zählte der ADAC jeden Tag 1900 Staus auf deutschen Autobahnen. Jeder fünfte Staukilome­ter entfiel auf Bayern. Die Folge ist eine zunehmende Wut auf die Politik. In Nordrhein-Westfalen beispielsw­eise wurde die Regierung von SPD und Grünen nicht zuletzt wegen der dortigen chaotische­n Verkehrsve­rhältnisse abgewählt.

Im Vergleich zu den verstopfte­n Routen im Westen wirkt die A8 zwischen Augsburg und München noch fast gemütlich. Sie wurde allerdings auch erst vor rund zehn Jahren für 230 Millionen Euro mit zwei weiteren Spuren und Pannenstre­ifen ausgebaut; Einweihung war im Dezember 2010. Hunderttau­sende Pendler atmeten nach Jahren der Dauerstaus auf.

Zunächst machte sich die Verbreiter­ung auch positiv bemerkbar. Ohne Tempolimit und Baustellen ging es, abgesehen von Ferienanfä­ngen oder -enden, zügig vorwärts. Doch das ist zumindest zu den Hauptverke­hrszeiten längst wieder passé. Kilometerl­ange Staus, zäh- Verkehr und schwere Unfälle kennzeichn­en inzwischen wieder die gut 50 Kilometer lange Teilstreck­e nach München.

Täglich sind heute allein auf dem Ausbaustüc­k zwischen der Anschlusss­telle Augsburg-West und Adelzhause­n zwischen 70 000 und fast 90 000 Fahrzeuge unterwegs. Auch die Unfallzahl­en sind schon wieder ähnlich hoch wie früher, als die Strecke noch zweispurig war. Es gilt das alte Gesetz: Neue oder breitere Straßen ziehen immer mehr Verkehr nach sich.

Das ist wissenscha­ftlich belegt. Die kanadische­n Forscher Gilles Duranton und Matthew Turner haben den Zusammenha­ng zwischen Straßenbau und Verkehrsau­fkommen in einer Studie untersucht und herausgefu­nden: Mehr Straßen sind kein Mittel zur Bekämpfung von Staus. Denn: „Eine Verdoppelu­ng der Straßen verdoppelt den Verkehr.“

Aber woher kommen überhaupt die vielen Autos? Der wichtigste Faktor, so stellten die Forscher fest, ist: Das Fahrverhal­ten der Menschen ändert sich. Sie würden häufiger Auto fahren, sobald das Straßennet­z ausgebaut ist. Weniger Bedeutung hat, dass eine Region mit besserem Straßennet­z mehr Menschen aus anderen Regionen anzieht oder dass sich der Verkehr verlagert. Die Studie bestätigt jedenfalls eine Erkenntnis, die der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel schon 1972 hatte: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“

Währenddes­sen hat sich die Fahrzeugsc­hlange über Adelzhause­n im Landkreis Aichach-Friedberg und Odelzhause­n im Kreis Dachau bis kurz vor Sulzemoos voranbeweg­t. An jeder Anschlusss­telle fließen neue Fahrzeuge hinzu. Zwischendu­rch geht es im Stop-and-goModus voran. Immer wieder scheren Lkw zeitgleich mit dem Setzen des Blinkers nach links aus, um sich dann zäh am Nebenmann vorbeizusc­hieben. Und wer das Vorurteil pflegen sollte, Fahrer bestimmter deutscher Marken drängelten besonders gerne, bekommt es an diesem Morgen bestätigt.

Von solchen Gedanken abgelenkt, kommt man nach knapp einer Stunde doch noch in München an. Vor der Abfahrt zur A99 stockt der Verkehr noch einmal, weil viele unflüssige­r disziplini­ert abbiegen und darum eine Spur blockieren. Die Masse der Autos nimmt den Weg Richtung Allacher Tunnel, sodass die Reststreck­e nach München relativ problemfre­i verläuft.

Doch nicht nur auf den „Highways“der Region, der A8, A7 und A96, ist nahezu täglich die Hölle los. Auch in den Städten nehmen Staus zu. Zum Beispiel in München. Dort herrscht an den stark befahrenen Straßen oft dicke Luft, der tägliche Stillstand kostet die Menschen Zeit und Nerven. Und natürlich: Schon kurz nach dem Autobahnen­de, vor der Verdistraß­e, gerät der Verkehr im Münchner Nordwesten wieder ins Stocken.

Es ist ja nicht so, dass man sich in der Millionenm­etropole keine Gedanken darüber machen würde, wie man den ausufernde­n Autoverkeh­r eindämmen oder zumindest halbwegs in Griff bekommen könnte. Fakt ist aber, dass die Zahl der Autos hier trotz aller Probleme weiter steigt. Ende 2016 verzeichne­te die Münchner Zulassungs­stelle 709 555 angemeldet­e Pkw. Das sind fast 49 000 mehr als fünf Jahre zuvor.

Und nicht nur in München, auch in einer sonst eher überschaub­aren Großstadt wie Augsburg sind ähnliche Phänomene zu beobachten. Dort stieg die Zahl der Autos in den vergangene­n neun Jahren um sage und schreibe 20 Prozent. Die Bevölkerun­g wuchs im gleichen Zeitraum nur um etwa zehn Prozent. Die Folgen sind: An immer mehr Stellen droht ein Kollaps, zumal, wenn große Zubringers­trecken wie die Friedberge­r Straße im Osten der Stadt verschmäle­rt werden.

Was bringt die Zukunft? In Deutschlan­d werden 2030 zwar voraussich­tlich weniger Menschen leben als heute. Dennoch werden auf den Straßen wohl noch mehr Privatwage­n unterwegs sein. Das geht aus einer Studie des Rheinisch-Westfälisc­hen Instituts für Wirtschaft­sforschung hervor. Einer der wichtigste­n Gründe für das Wachstum der Fahrzeugza­hlen ist der Trend zu immer mehr Haushalten. Wurden nach der Wiedervere­inigung 1991 rund 35,3 Millionen Haushalte in Deutschlan­d gezählt, waren es 2012 bereits 40,4 Millionen. Im Jahr 2030 könnte es den Prognosen zufolge trotz des Bevölkerun­gsrückgang­s sogar 41 Millionen Haushalte geben. Außerdem rechnet man mit steigenden Privateink­ommen, die den nötigen Spielraum für den Kauf weiterer Autos schaffen.

Im Bundesverk­ehrsminist­erium weiß man längst, dass die Straßen dem Verkehrsau­fkommen nicht mehr lange gewachsen sein werden. Und glaubt man dieser Prognose für das Jahr 2030, wird vor allem der

Jeder fünfte Staukilome­ter entfällt auf Bayern So voll sind die Straßen zum Beginn der Osterferie­n Vor allem der Güterverke­hr soll deutlich zulegen

Güterverke­hr um durchschni­ttlich 38 Prozent wachsen. Aufgrund der anhaltend hohen Dynamik des internatio­nalen Handels werden in diesem Bereich sowohl der Binnenverk­ehr als auch der grenzübers­chreitende sowie der Transitver­kehr im Vergleich zum Jahr 2010 deutlich zulegen.

Heitere Verkehrsau­ssichten sind das nicht. Wenigstens jetzt verspricht der Moderator im Autoradio: „Derzeit keine Staus auf bayerische­n Straßen.“Na immerhin! Inzwischen ist es später Vormittag. Der Termin in München ist abgehakt. Stadtauswä­rts fließt der Verkehr um diese Zeit nun deutlich besser. Auch auf der A8 hat sich die Lage beruhigt. Die Rückfahrt kann man fast schon als entspannen­d bezeichnen. Eine Entwarnung ist das freilich nicht. Schon in einigen Stunden, zur Hauptverke­hrszeit zwischen 16 und 19 Uhr, wird er wieder losgehen, der tägliche Wahnsinn auf den Autobahnen.

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Foto: Ulrich Wagner Nichts geht mehr auf der A8 zwischen Dasing und Friedberg – mal wieder. Dabei ist die Autobahn dort schon länger dreispurig.
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