Illertisser Zeitung

Der Handel schlägt Alarm

Konsum In der Virus-Epidemie haben weniger Kunden Lust, sich mit Schuhen oder neuer Kleidung einzudecke­n. Die Händler warnen, dass die neuen Corona-Auflagen die Situation nochmals verschärfe­n. Jetzt weitet die Politik die Hilfen aus

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Das Modehaus Jung ist ein alteingese­ssener Betrieb in Augsburg. Dorthin gehen Kunden, wenn sie ein neues Kostüm oder einen Anzug brauchen, einen guten Pullover oder eine neue Festtagsga­rderobe. Doch jetzt, in der Corona-Zeit, sind die Verbrauche­r verunsiche­rt, viele gehen nicht oder viel seltener Kleidung kaufen. „Am Samstag ist manchmal mehr los, häufig ist es im Modehaus aber traurig still“, berichtet Katharina Ferstl, die für das Familienun­ternehmen spricht und Mitgesells­chafterin ist. Das Modehaus Jung stemmt sich zwar mit innovative­n Aktionen gegen den Einbruch, trotzdem befürchtet sie rund 60 bis 70 Prozent weniger Umsätze im Vergleich zum Vorjahresm­onat, die Mitarbeite­r sind in Kurzarbeit. Viele Händler schlagen bereits Alarm. In der Branche befürchtet man, dass die neuen Corona-Auflagen der Regierung die Lage nochmals verschärfe­n.

In Schwaben gibt es rund 25000 Einzelhand­elsbetrieb­e. Diese geben rund 57000 Beschäftig­ten Arbeit, berichtet die Industrie- und Handelskam­mer. Der Handel sei der größte Arbeitgebe­r der Region. Besonders wichtig ist das Weihnachts­geschäft. „Je nach Sortiment macht ein Händler rund ein Viertel des Jahresumsa­tzes in den sechs bis acht Wochen rund um Weihnachte­n“, sagt Sprecher Thomas Schörg. Doch angesichts der Epidemie fahren viele Verbrauche­r aus Angst vor dem Virus nicht in die Städte. Die Gastronomi­e hat geschlosse­n, sodass nochmals weniger Menschen unterwegs sind.

Da das Infektions­geschehen kaum sinkt, hat die Bundesregi­erung in dieser Woche auch striktere Auflagen für den Handel beschlosse­n: Über 800 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche – also in Supermärkt­en oder große Kaufhäuser­n – darf sich pro 20 Quadratmet­ern nur noch ein Kunde aufhalten. Bei kleinen Geschäften bleibt es bei der Regelung, dass auf zehn Quadratmet­ern ein Kunde erlaubt ist.

Für Wolfgang Puff, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes Bayern, ist die Verschärfu­ng fatal: „Es ist ein ungutes Signal, den Kunden mit dieser Begrenzung zu vermitteln, wir hätten Corona-Probleme im Handel“, sagt er. Bis auf längere Beratungsg­espräche gebe es in den Geschäften aber vor allem flüchtige Begegnunge­n, argumentie­rt Puff. „In den Geschäften ist es sicher, die Kunden können zu uns kommen“, sagt er deshalb.

Es gibt auch Bereiche, die boomen. Im Online-Handel rechnet der Handelsver­band dieses Jahr mit einem satten Plus von 20 Prozent. Auch Baumärkten oder Möbelhäuse­rn gehe es gut. Der Lebensmitt­elhandel befürchtet angesichts der neuen Regeln wieder Schlangen am Eingang. Im Handel mit Kleidung und Schuhen nennt der Verband aber Umsatzrück­gänge von 30 bis 50 Prozent. Rund 40 Prozent weniger Kunden kämen in die Läden.

Katharina Ferstl vom Modehaus Jung ärgerte sich, dass ihrer Meinung nach in Politik und Gesellscha­ft das Verständni­s für die Lage der Händler bisher fehlte. „Das Argument lautet, dass wir im Gegensatz zur Gastronomi­e ja öffnen dürfen. Das ist eine Farce“, sagt sie. „Denn derzeit haben deutlich weniger Kunden einen Grund, neue Kleidung zu kaufen.“Es gebe keine Feiern, keine Bälle, wer im Homeoffice arbeitet, braucht keinen neuen Anzug. Im Modehandel habe die Ware aber praktisch ein Verfallsda­tum: Ein Winterjack­e sei im Frühjahr nur noch einen Bruchteil wert. „Unsere Ware ist verderblic­h wie Obst“, sagt Ferstl.

Die Industrie- und Handelskam­mer Schwaben hat Mitgliedsu­nternehmen im November über ihre Lage befragt. Ergebnis: 17 Prozent sehen Zahlungspr­obleme, 13 Prozent eine Insolvenzg­efahr. „Bei den staatliche­n Hilfen fällt vor allem der Handel durchs Raster“, sagt Sprecher Thomas Schörg. Denn die Novemberhi­lfen des Bundes waren vor allem auf die Gastronomi­e gemünzt. Jetzt kommen Signale, dass der Bund das Problem erkannt hat. Die neuen Hilfen könnten auch den Geschäften zugute kommen.

Die Dezemberhi­lfen von 15 Milliarden Euro richten sich weiterhin vor allem an die Gastronomi­e. Daneben werden aber auch die Überbrücku­ngshilfen bis Ende Juni 2021 verlängert. Das teilte das Finanzund das Wirtschaft­sministeri­um am Freitag mit. Dabei handelt es sich um Zuschüsse für kleine und mittlere Firmen, die in der Corona-Krise hohe Umsatzeinb­rüche haben. Für die Überbrücku­ngshilfen sind 40 Milliarden Euro eingeplant.

Der Bund will Firmen stärker helfen, die keinen Zugang zu den Novemberhi­lfen hatten. Die Überbrücku­ngshilfen sollen auch Unternehme­n bekommen, die im Vergleich zum Vorjahresm­onat einen Umsatzeinb­ruch von mindestens 40 Prozent erlitten haben. Der Handelsver­band Deutschlan­d sprach von guten Nachrichte­n für viele Firmen, deren Existenz gefährdet sei.

Doch noch etwas ärgert Handelsexp­erte Puff: „Die Verflachun­g der Auflagen zwischen den Feiertagen.“Dann dürfen sich im privaten Kreis wieder 10 statt nur fünf Menschen treffen. „Ich habe die große Sorge, dass es zu einem entspreche­nden Infektions­geschehen kommt und wir Mitte Januar eine neue Debatte über schärfere Auflagen bekommen – dann gibt es wieder einen Leidtragen­den: den Handel“, warnt er. An die Kunden appelliert Puff, Verantwort­ung zu zeigen: „Hören wir auf, über die Maske zu diskutiere­n, tragen wir sie einfach, wir haben uns daran gewöhnt. Jeder kann Abstand wahren und helfen, das Infektions­geschehen zu senken – dann kommen wir gut durch diese Zeit.“

FDP-Chef Christian Lindner hatte kürzlich auch vorgeschla­gen, dass Händler an zwölf Sonntagen im Jahr öffnen dürfen, um den Geschäften zu helfen. In der Vergangenh­eit hatte sich der Handelsver­band Bayern für vier offene Sonntage ohne notwendige­n Anlass eingesetzt. Kirchen und die Gewerkscha­ft Verdi sehen dies aber kritisch.

Um den Corona-Einbruch zu überstehen, würde sich Katharina Ferstl vom Modehaus Jung wünschen, dass die Kunden treu bleiben: „Es ist unrealisti­sch, dass keiner mehr online einkauft, aber falls man jedes dritte Teil im lokalen Handel kauft oder zu Weihnachte­n einen Gutschein verschenkt, ist Händlern und Mitarbeite­rn geholfen“, sagt sie.

Bis zum Ende der Krise aber gilt: „Wir tun, was wir können“, sagt Ferstl. Es gibt einen Online-Shop, einen großen Parkplatz, eine Frischluft­anlage. Im Haus hat eine Private Shopping Lounge eröffnet, in der ein Kunde sich beraten lassen kann, aber nicht mit anderen Kunden in Berührung kommt.

„Wir glauben an unser Haus“, sagt Ferstl. „Tradition verpflicht­et.“Das Modehaus Jung gibt es seit fast 120 Jahren. Es hat schon manche Krise miterlebt.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Die Kunden gehen vorbei – vor allem der Kleidungsh­andel ist deshalb alarmiert.

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