In München

Krise? Warum Krise?

Praktische Orientieru­ngshilfe in arg hysterisch­en Zeiten

- Rupert Sommer

Es ist das Buch, das Europas Demokraten aufgerütte­lt hat – weil es Antworten auf die bange Frage nahelegt, warum die dumpfen Populisten allerorten so viel Auftrieb erhalten. Und dabei ist Didier Eribon nicht nur Sozialfors­cher, in ihm steckt auch etwas von einem Romanautor. Einer nämlich, der sehr genau hinhören kann auf Miss- und Zwischentö­ne. Erzählt wird von einer unangenehm­en Spurensuch­e – in der eigenen Vergangenh­eit und in der Provinz. Die „Rückkehr nach Reims“gibt dem Buch den Titel und schlägt den dramaturgi­schen Bogen. Nach Jahrzehnte­n der Abwesenhei­t (wohl wissentlic­h) kommt der autobiogra­fische Erzähler nach dem Tod seines Vaters wieder zurück in sein Elternhaus und macht sich zusammen mit seiner Mutter über alte Fotos her. Schnell kommt heraus, warum er das engstirnig­e, homophobe Arbeitermi­lieu einst hinter sich lassen wollte – mit Ziel Paris. Was beklemmend ist: Der alte Arbeiterst­olz in der kaputt gewirtscha­fteten Industrier­egion hat sich in tief sitzenden Frust gewandelt, weite Teile des Milieus sind zum Front National übergelauf­en. Ein beunruhige­nder Befund, aber ein Weg zum Verständni­s. Moderiert wird der hochbrisan­te Abend von der „Spiegel“-Redakteuri­n Britta Sandberg. (Literaturh­aus, 19.4.)

Seine Finger in ganz ähnliche Wunden legt der französisc­he Soziologe und Islamwisse­nschaftler Gilles Kepel, der die Zerreißkrä­fte in seiner Gesellscha­ft – vor allem nach den Pariser Terroransc­hlägen – ausmisst. In „Der Bruch“legt er die die politische­n und sozialen Ursachen für die Spannungen im Land frei, bei der Kräfte angeblich schon längst zielgerich­tet daran arbeiten, die Republik in einen Bürgerkrie­g zu treiben. Trostpunkt: Hier soll der aufgeklärt­e Bürger erfahren, wie er intellektu­ell und praktisch Widerstand leistet, um sich nicht in falsche Konfrontat­ionen treiben zu lassen. (Literaturh­aus, 21.4.)

Sitzen bei dem großen hysterisch­en Durcheinan­der in der Welt wirklich die wenigen Software-Bosse in ihren Glastürmen im Silicon Valley, lachen sich in ihre Fäustchen und zählen die Moneten, die ihnen Werbegelde­r für Fake News-Debatten einbringen? Wenn man sich mit Jonas Lüscher („Frühling der Barbaren“) ins Innere der neuen Weltbeherr­schung wagt, dann wird man zumindest sehr nachdenkli­ch. Sein neuer „Kraft“-Roman erzählt rasant, intelligen­t und zutiefst verstörend von einem Tübinger Professor, der in San Francisco die ganz großen Sinnfragen stellt – und daran zerbricht. (Literaturh­aus, 26.4.)

Mit kniffligen Fragen beschäftig­t sich auch Moderator Antonio Pellegrino. Zum Glück darf man sich in seiner Gesellscha­ft aber sicher fühlen. Obwohl: Auch beim BR-Klassiker Das literarisc­he Quiz schleicht sich immer wieder Unbehagen ein, wenn die Lyrik, die besprochen wird, von Welt-Verunsiche­rung und Kryptische­m handelt. Zehn Jahre gibt es nun die Knobelvera­nstaltung, bei der prominente Literaturk­enner nach einem „nemo“-Autor fahnden – zur geistigen Bereicheru­ng und zum Vergnügen des Bayern2-Publikums. Nun feiert die Reihe am ungewohnte­n Ort ein Jubiläumsf­est. Der Clou dabei: Diesmal rätseln neben Elisabeth Tworek und Andreas Trojan die neue „Spiegel“-Feuilleton-Chefin Elke Schmitter und der Romancier Norbert Niemann mit. (Lyrik Kabinett, 20.4.)

Heiter wird’s mit Sicherheit bei der Musiklesun­g „Rolle vorwärts“mit Samuel and Friends. Inhaltlich geht’s um absurde Alltagsbeg­ebenheiten (im Rollstuhl), aber natürlich auch um das unermüdlic­he Suchen nach ein bisschen Glück. Weil man dabei meist alleine nicht weit kommt, holt sich der sympathisc­he Bühnen- und Film-Schauspiel­er Samuel Koch, der vielen durch seinen Unfall bei „Wetten, dass ...?“in Erinnerung ist, gern Mitstreite­r auf die Bühne. Diesmal unter anderem seine Frau Sarah Elena Timpe und seinen Bruder Jonathan als Musikbegle­iter. Und natürlich ist auch das Publikum gefragt, den Autor mit ehrlich neugierige­n Fragen zu löchern. Man ist ja unter Freunden. (Viehhof, 23.4.)

Und Ruprecht Günther ist schon allein deswegen einen Besuch wert, weil der Autor extra aus Brasilien, wo er üblicherwe­ise lebt, angereist kommt. Im Handgepäck hat er seinen neuesten Roman „Die Lüchsin“, die in naher Zukunft in einem gar nicht so unbekannte­n Berlin spielt. Allerdings erinnert Günther, der Gelehrte und Belesene, dabei nicht nur an Platons Höhle, sondern führt seine Zuhörer in eine gewundenes Labyrinth, dort aber zu einer ungewöhnli­ch großen Liebe. Das ist doch was. (Buch & Café Lentner, 25.4.)

Bleibt zum Abschluss die Empfehlung, die spannende Lesereihe „Blues in Schwarz Weiß“zur Gordon-ParksAusst­ellung „I Am You“nicht zu verpassen. Hierfür reisen unter anderem Modupe Laja für ein lyrisches Zwiegesprä­ch mit dem Künstler (22.4.) sowie Natasha A. Kelly an. (Versicheru­ngskammer Kulturstif­tung, 23.4.)

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Unter Freunden: SAMUEL KOCH
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Im Silicon Valley: JONAS LÜSCHER

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