Krise? Warum Krise?
Praktische Orientierungshilfe in arg hysterischen Zeiten
Es ist das Buch, das Europas Demokraten aufgerüttelt hat – weil es Antworten auf die bange Frage nahelegt, warum die dumpfen Populisten allerorten so viel Auftrieb erhalten. Und dabei ist Didier Eribon nicht nur Sozialforscher, in ihm steckt auch etwas von einem Romanautor. Einer nämlich, der sehr genau hinhören kann auf Miss- und Zwischentöne. Erzählt wird von einer unangenehmen Spurensuche – in der eigenen Vergangenheit und in der Provinz. Die „Rückkehr nach Reims“gibt dem Buch den Titel und schlägt den dramaturgischen Bogen. Nach Jahrzehnten der Abwesenheit (wohl wissentlich) kommt der autobiografische Erzähler nach dem Tod seines Vaters wieder zurück in sein Elternhaus und macht sich zusammen mit seiner Mutter über alte Fotos her. Schnell kommt heraus, warum er das engstirnige, homophobe Arbeitermilieu einst hinter sich lassen wollte – mit Ziel Paris. Was beklemmend ist: Der alte Arbeiterstolz in der kaputt gewirtschafteten Industrieregion hat sich in tief sitzenden Frust gewandelt, weite Teile des Milieus sind zum Front National übergelaufen. Ein beunruhigender Befund, aber ein Weg zum Verständnis. Moderiert wird der hochbrisante Abend von der „Spiegel“-Redakteurin Britta Sandberg. (Literaturhaus, 19.4.)
Seine Finger in ganz ähnliche Wunden legt der französische Soziologe und Islamwissenschaftler Gilles Kepel, der die Zerreißkräfte in seiner Gesellschaft – vor allem nach den Pariser Terroranschlägen – ausmisst. In „Der Bruch“legt er die die politischen und sozialen Ursachen für die Spannungen im Land frei, bei der Kräfte angeblich schon längst zielgerichtet daran arbeiten, die Republik in einen Bürgerkrieg zu treiben. Trostpunkt: Hier soll der aufgeklärte Bürger erfahren, wie er intellektuell und praktisch Widerstand leistet, um sich nicht in falsche Konfrontationen treiben zu lassen. (Literaturhaus, 21.4.)
Sitzen bei dem großen hysterischen Durcheinander in der Welt wirklich die wenigen Software-Bosse in ihren Glastürmen im Silicon Valley, lachen sich in ihre Fäustchen und zählen die Moneten, die ihnen Werbegelder für Fake News-Debatten einbringen? Wenn man sich mit Jonas Lüscher („Frühling der Barbaren“) ins Innere der neuen Weltbeherrschung wagt, dann wird man zumindest sehr nachdenklich. Sein neuer „Kraft“-Roman erzählt rasant, intelligent und zutiefst verstörend von einem Tübinger Professor, der in San Francisco die ganz großen Sinnfragen stellt – und daran zerbricht. (Literaturhaus, 26.4.)
Mit kniffligen Fragen beschäftigt sich auch Moderator Antonio Pellegrino. Zum Glück darf man sich in seiner Gesellschaft aber sicher fühlen. Obwohl: Auch beim BR-Klassiker Das literarische Quiz schleicht sich immer wieder Unbehagen ein, wenn die Lyrik, die besprochen wird, von Welt-Verunsicherung und Kryptischem handelt. Zehn Jahre gibt es nun die Knobelveranstaltung, bei der prominente Literaturkenner nach einem „nemo“-Autor fahnden – zur geistigen Bereicherung und zum Vergnügen des Bayern2-Publikums. Nun feiert die Reihe am ungewohnten Ort ein Jubiläumsfest. Der Clou dabei: Diesmal rätseln neben Elisabeth Tworek und Andreas Trojan die neue „Spiegel“-Feuilleton-Chefin Elke Schmitter und der Romancier Norbert Niemann mit. (Lyrik Kabinett, 20.4.)
Heiter wird’s mit Sicherheit bei der Musiklesung „Rolle vorwärts“mit Samuel and Friends. Inhaltlich geht’s um absurde Alltagsbegebenheiten (im Rollstuhl), aber natürlich auch um das unermüdliche Suchen nach ein bisschen Glück. Weil man dabei meist alleine nicht weit kommt, holt sich der sympathische Bühnen- und Film-Schauspieler Samuel Koch, der vielen durch seinen Unfall bei „Wetten, dass ...?“in Erinnerung ist, gern Mitstreiter auf die Bühne. Diesmal unter anderem seine Frau Sarah Elena Timpe und seinen Bruder Jonathan als Musikbegleiter. Und natürlich ist auch das Publikum gefragt, den Autor mit ehrlich neugierigen Fragen zu löchern. Man ist ja unter Freunden. (Viehhof, 23.4.)
Und Ruprecht Günther ist schon allein deswegen einen Besuch wert, weil der Autor extra aus Brasilien, wo er üblicherweise lebt, angereist kommt. Im Handgepäck hat er seinen neuesten Roman „Die Lüchsin“, die in naher Zukunft in einem gar nicht so unbekannten Berlin spielt. Allerdings erinnert Günther, der Gelehrte und Belesene, dabei nicht nur an Platons Höhle, sondern führt seine Zuhörer in eine gewundenes Labyrinth, dort aber zu einer ungewöhnlich großen Liebe. Das ist doch was. (Buch & Café Lentner, 25.4.)
Bleibt zum Abschluss die Empfehlung, die spannende Lesereihe „Blues in Schwarz Weiß“zur Gordon-ParksAusstellung „I Am You“nicht zu verpassen. Hierfür reisen unter anderem Modupe Laja für ein lyrisches Zwiegespräch mit dem Künstler (22.4.) sowie Natasha A. Kelly an. (Versicherungskammer Kulturstiftung, 23.4.)