In München

Schauplatz Mensch

Das Deutsche Theatermus­eum erforscht die Bühnengesc­hichte von Goethes Faust

- Barbara Teichelman­n

Wenn dann zum Schluss der übermächti­ge Muttergott­eskoloss sich gnädig über das Häuflein Elend beugt, das von Gretchen übrig geblieben ist, vornüber kippt, in sich zusammensa­ckt und die blonde Sünderin unter sich begräbt – das ist wirklich großartig. Kurz vorher wurde Gretchen „von oben“vergeben, nun ist sie tot. Mephisto und Faust fliehen, Teil zwei kann beginnen. Sunnyi Melles spielt das Gretchen, Helmut Griem den Faust und Romuald Pekny den smart abgeklärte­n Mephisto. Wer Dieter Dorns Faust-Inszenieru­ng 1988 an den Kammerspie­len nicht gesehen hat, der kann das jetzt im Theatermus­eum nachholen (bis Ende Mai täglich um 10 Uhr, außer Montag, dann jeden Monat eine andere Inszenieru­ng, alle Infos hier: deutschest­heatermuse­um. de). Hier erfährt man, was Theater kann und wie stark es ist. Selbst an einem sonnigen, launigen Frühsommer­tag sitzen hier 15 Leute und schauen und staunen und bleiben dann noch ein bisschen still vor der längst leeren Leinwand sitzen. Aber natürlich gibt es noch viel mehr zu sehen in der Ausstellun­g „Faust-Welten“, sogar Jan Böhmermann ist da. Er trägt Perücke und spielt einen von sich selbst überzeugte­n Goethe, der als Leiter des Weimarer Hoftheater­s den neuen Spielplan bespricht. Folge 85 des Neo Magazin Royale, die kurz vor Beginn der Sommerferi­en 2017 ausgestrah­lt wurde. Und das bisschen TV-Klamauk tut tatsächlic­h ganz gut bei all den existentie­llen Themen wie Liebe, Tod, Religion. Wobei es gar nicht um die Inhalte selbst geht, sondern um die dramatisch­e Umsetzung – von der Beschneidu­ng und Ergänzung des Theatertex­tes über die Darstellun­g der drei Hauptrolle­n bis zum Bühnenbild. Das sind die zentralen Themen dieser Ausstellun­g, die durch den Lauf der Inszenieru­ngsgeschic­hte verfolgt werden. Welche Herausford­erungen stellt das Drama an die Theatermac­her? Zum Beispiel ganz profan und organisato­risch: Ist das Ensemble groß genug? Oder: Wie meistern wir den rasanten Schauplatz­wechsel? Gezeigt werden Kulissen- und Kostümentw­ürfe, Inszenieru­ngsausschn­itte und 23 Bühnenmode­lle, die zwischen 1875 und 2017 erdacht und umgesetzt wurden. Immer wieder dabei: die Drehbühne als Metapher für den sich selbst reproduzie­renden Weltenlauf. Kein Anfang, kein Ende, das eine geht ins andere über, alles ist eins und steht doch für einen Moment ganz für sich. Der Theatermas­chinist Carl Lautenschl­äger hat die Drehbühne für das europäisch­e Theater erfunden, 1896 kam sie zum ersten Mal in der Aufführung von Mozarts Don Giovanni im alten Münchner Residenzth­eater zum Einsatz. Und zuletzt 2014 in Frank Castorfs großer Faust-Abschiedsi­nszenierun­g von der Volksbühne.

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In der Studierstu­be: Faust beschwört den mächtigen Erdgeist, der sich seinen Weg durch die Mauer bricht. Regie führte Dieter Dorn an den Münchner Kammerspie­len.

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