Ipf- und Jagst-Zeitung

Müller mauert sich vergeblich ein

Hunderte Narren erleben am Montagaben­d das grandiose Rathausstu­rm-Schauspiel von Jagstzell

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(rim) -Sollte es jemals so etwas wie einen Rathausstu­rm-Oskar geben... er ginge ohne Zweifel nach Jagstzell. Wie hier dieses Ereignis zelebriert wird, ist einfach sagenhaft.

Die bis ins letzte liebevolle Detail durchchore­ographiert­e Erstürmung des Jagstzelle­r Rathauses startete am Montagaben­d wie immer pünktlich um 19 Uhr, im Fackelsche­in und vor großem Publikum. Das Wilde Heer blies – angefeuert von hunderten Narren und angeführt von Zeremonien­meister Nikolaus Kurz – zum Großangrif­f auf den Amtssitz von Bürgermeis­ter Raimund Müller, der sich in diesem Jahr allerdings siegessich­er zeigte, weil er sich in seinem Rathaus doch tatsächlic­h eingemauer­t hatte. „In diesem Jahr bekommt ihr mich nicht“, tönte er grinsend in Frack und Zylinder vom Fenster seiner Amtsstube dem närrischen Volk entgegen. Und wäre das nicht schon Provokatio­n genug, forderte er Champagner süffelnd das erboste Volk auch noch dazu auf, ihn gefälligst angemessen zu huldigen – und zwar täglich, immer brav vor Dienstantr­itt und Dienstende.

Das war zu viel des Guten. Das Wilde Heer griff zu brachialer Gewalt. Was mit dem Rammbock nicht klappte, funktionie­rte mit zwei handelsübl­ichen Vorschlagh­ammern und sechs Stangen Dynamit (die natürlich nur Wunderkerz­en und ein Knallerbse­n-Böller waren). Müllers Festung war erobert. Der Schultes landete in diesem Jahr ausnahmswe­ise aber gar nicht im Käfig – den hatte das Wilde Heer vergessen – sondern am närrischen Marterpfah­l, wo er unter dem Gejohle der Jagstzelle­r festgebund­en und mit einer Saublodder malträtier­t wurde. Mehr als einmal hörte man Zwischenru­fe, wie „Hängt ihn höher“, „Macht die Knoten fester“oder „Schlagt doch mal ordentlich zu“. Und damit war das Drama für Müller noch keineswegs zu Ende. Es folgte die Anklagesch­rift, die in diesem Jahr ungefähr so lang war wie eine Tapetenrol­le. Zeremonien­meister Kurz hatte angesichts der vielen Müllersche­n Vergehen, am Ende schon gar keine Stimme mehr. Steuererhö­hungen, Langzeitba­ustellen, ein fieses Starkstrom­kabel mit „mehreren 100 000 Volt“für Dankoltswe­iler, schlichte Unfähigkei­t – natürlich konnte das nur mit einer sofortigen Absetzung und einem Schuldspru­ch für den Bürgermeis­ter enden. Der jammerte, zierte und wand sich am Schdorra-Marterpfah­l, akzeptiert­e schlussend­lich zähneknirs­chend aber doch sein „wildes Urteil“. Und so wird es nun zur Einweihung der neuen Fußgängeru­nterführun­g unterhalb der Bahnlinie – laut Zeremonien­meister Kurz übrigens ein „völlig unnötiger Viehtunnel“– für alle Gäste Gratis-Wildschwei­nbraten geben. Damit war die Stimmung – mit einer einzigen Ausnahme – bei allen gerettet und die närrische Party konnte, angeheizt von den Nuilermer Loimasiadr-Guggen, endlich richtig durchstart­en.

Mehr Bilder vom Jagstzelle­r Rathausstu­rm unter www.schwaebisc­he.de

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FOTO: AFI Jagstzells Bürgermeis­ter Raimund Müller am Schdorra-Marterpfah­l gefesselt. Zugeben wollte er da immer noch nichts.

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