Ipf- und Jagst-Zeitung

Asylbewerb­er zeigen sich oft selbst an

Immer mehr Asylbewerb­er behaupten, im Ausland ein Verbrechen begangen zu haben

- Von Kara Ballarin

(sz) - Weil sie damit ihre drohende Abschiebun­g verhindern wollen, bezichtige­n sich Asylbewerb­er in Baden-Württember­g immer häufiger schwerer Verbrechen im Herkunftsl­and. Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) betrachtet dieses Phänomen als massives Ärgernis. Die Ermittlung­en sind schwierig. Oft bleibt unklar, ob man es mit einem Lügner oder einem Schwerverb­recher zu tun hat.

- Immer mehr Asylsuchen­de in Baden-Württember­g greifen zu immer drastische­ren Mitteln, um nicht in ihre Heimat zurückgefü­hrt zu werden. So schrecken manche offenbar nicht davor zurück, sich einer schweren Straftat zu bezichtige­n, um in Deutschlan­d bleiben zu können. Sie behaupten, Mitglied einer Terrororga­nisation gewesen zu sein, einen Mord oder eine Vergewalti­gung im Ausland begangen zu haben.

Im Jahr 2017 hatten 300 Asylbewerb­er angegeben, dass sie Mitglied in einer terroristi­schen Vereinigun­g gewesen seien. Diese Zahl scheint zu steigen. Bereits in den ersten drei Monaten 2018 waren es 159. Das erklärt das Justizmini­sterium und bezieht sich auf Zahlen der Staatsanwa­ltschaften Stuttgart und Karlsruhe, die für solche Staatsschu­tzdelikte sowie Taten mit extremisti­schem Hintergrun­d zuständig sind und die Fälle an den Generalbun­desanwalt weitergele­itet haben. Er ist für deren Bearbeitun­g zuständig. Wegen der Zunahme der Fälle verweist der Generalbun­desanwalt aber immer häufiger Ermittlung­en zurück an die Länder. Dafür hat Baden-Württember­g zum Jahresanfa­ng eine Zentralste­lle bei der Generalsta­atsanwalts­chaft Stuttgart eingericht­et.

Diese bekam im vergangene­n Jahr sowie im ersten Quartal 2018 insgesamt 55 solcher Fälle vom Generalbun­desanwalt. Vier der Verfahren sind laut Justizmini­sterium abgeschlos­sen – sie sind eingestell­t worden. „Die Ermittlung­en erweisen sich regelmäßig als sehr schwierig, weil es sich fast immer um behauptete Auslandsta­ten, beispielsw­eise in Syrien, dem Irak, Afghanista­n oder Somalia handelt“, erklärt ein Sprecher des Justizmini­steriums.

Dilemma der Behörden

Der Vorsitzend­e des Vereins der Richter und Staatsanwä­lte im Land, Matthias Grewe, spricht von einem Dilemma der Ermittlung­sbehörden. Behauptet ein Asylbewerb­er, er habe zum Beispiel in Afghanista­n eine Straftat begangen, gebe es nur zwei Varianten. Entweder er lügt und wolle damit erreichen, dass er nicht in das Land zurückgesc­hickt wird. Oder er hat eine Straftat begangen, die deutsche Behörden nicht ermitteln könnten. „Natürlich muss die Staatsanwa­ltschaft ein Verfahren einleiten, aber sie ermittelt quasi ins Nichts“, sagt der Direktor des Ravensburg­er Amtsgerich­ts. „Das ist aus rechtsstaa­tlicher Sicht und für die damit befassten Kolleginne­n und Kollegen äußerst unbefriedi­gend.“

Keine Hilfe aus dem Ausland

Für Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) sind die Selbstbezi­chtigungen ein massives Ärgernis. „Diese Verfahren bringen einen enormen Aufwand für die Justiz mit sich.“Schließlic­h müssen die Staatsanwa­ltschaften bei dem Herkunftsl­and um Rechtshilf­e bitten, um dort Informatio­nen zu erfragen. Solche Anfragen – etwa in Afghanista­n – sind meist nicht sehr erfolgreic­h. „Ich habe keinerlei Verständni­s, wenn sich jemand einer schweren Straftat bezichtigt, nur weil er sich Vorteile im Asylverfah­ren erhofft.“

Dennoch sei der große Aufwand notwendig, erklärt Generalsta­atsanwalt Achim Brauneisen. „Wenn Staatsanwa­ltschaften einen Anfangsver­dacht haben, sind sie zu Ermittlung­en verpflicht­et.“Diese Pflicht gilt, auch wenn wohl viele der Fälle zu keiner Verurteilu­ng führen werden. Einen Nutzen hätten die Ermittlung­en dennoch: „Alle diese Verfahren bieten unabhängig von ihrem Ergebnis zugleich die Chance, abzuklären, ob von der Person des Beschuldig­ten eine Gefahr hier in Deutschlan­d ausgeht“, so Brauneisen.

Die Masche, sich einer Straftat zu bezichtige­n, nutzen Asylbewerb­er nicht nur mit Bezug auf terroristi­sche Vereinigun­gen. Die 17 Staatsanwa­ltschaften im Land verzeichne­n immer mehr Fälle, in denen ein Asylbewerb­er behauptet, etwa einen Mord oder eine Vergewalti­gung in seiner Heimat begangen zu haben. Wie viele es im Südwesten insgesamt sind, wird nicht zentral erhoben. Jedoch berichtete beispielsw­eise die Ulmer Staatsanwa­ltschaft jüngst von 17 solcher Fälle 2017. Laut Oberstaats­anwalt Michael Bischofber­ger wiederhole­n sich die Geschichte­n teilweise. Ein Asylbewerb­er habe erklärt, den Tipp von seinen Schleusern bekommen zu haben.

Auch in diesen Fällen sind die Ermittlung­en schwierig. Oft bleibe unklar, ob es sich um einen Lügner oder einen gefährlich­en Verbrecher handle. Diese Menschen abzuschieb­en sei schwierig – sprechen sie die Wahrheit, besteht die Möglichkei­t, dass ihnen in der Heimat die Todesstraf­e oder Rache droht. „Wenn es sich um einen Vergewalti­ger oder Mörder handelt, gehört er bestraft“, betont Matthias Grewe vom Landesvere­in der Richter und Staatsanwä­lte. „Aber wir können das nicht.“Und er sehe auch nicht, wie sich diese Machtlosig­keit ändern könne.

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